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Tiefgang

Wie der neue Bundestag mit der AfD umgehen sollte

152 Abgeordnete wird die AfD im nächsten Bundestag stellen. Das bedeutet: mehr Redezeit, mehr Mitarbeiter, mehr Möglichkeiten, Fragen zu stellen – und dazwischenzurufen. Zwei Drittel aller Ordnungsrufe hat die AfD in dieser Legislaturperiode erhalten, 84 waren es an der Zahl, berichtete der Deutschlandfunk kürzlich. Als größte Oppositionsfraktion antwortet die AfD in Zukunft zuerst auf Regierungserklärungen des Kanzlers und kann die Generaldebatte über den Haushalt eröffnen. All das wird den Bundestag verändern.

Wenn die Parlamentarierinnen und Parlamentarier am 25. März zum ersten Mal zusammenkommen, wird es fortan darum gehen, wie die anderen Parteien mit dem gewachsenen blauen Block umgehen werden. Und wie sich die AfD selbst verhalten wird.

Als Fernziel gilt in der in Teilen rechtsextremen Partei das Jahr 2029. Dann will die AfD Teil einer Bundesregierung werden. Jetzt steht sie aber erst einmal vor einer Legislaturperiode, in der sie zwar so viele Abgeordnete stellt wie nie zuvor, aber niemand mit ihr zusammenarbeiten will.

Entsprechend gebe es für die AfD auch keinen Anlass zur Mäßigung, sagt die Politikwissenschaftlerin Anna-Sophie Heinze von der Universität Trier. „Die AfD muss sich nicht deradikalisieren. Dafür gibt es keine Anreize“, sagt sie. Entsprechend könne die Partei also erst einmal abwarten und auf ihre übergeordnete Strategie zurückgreifen, die Union zu delegitimieren, sie als korrupte Altpartei zu bezeichnen und etwa alte Anträge von CDU und CSU aus den Archiven kramen, um sie vorzuführen.

In der Art und Weise, wie die AfD parlamentarisch arbeitet, erwartet Heinze also kaum Veränderungen. „Sie wird den Bundestag als Bühne nutzen, um zu provozieren, um Schnipsel aus den Debatten in sozialen Medien zu verbreiten. Jetzt eben mit mehr Abgeordneten“, sagt Heinze.

Mit der neuen Größe der Fraktion stellt sich aber auch die Frage neu, wie mit ihr umzugehen ist. Etwa wenn es darum geht, ob ein Politiker der AfD Bundestagsvizepräsident oder Ausschussvorsitzender werden soll. Nach parlamentarischem Brauch könnte die AfD etwa Anspruch auf den Vorsitz im mächtigen Haushaltsausschuss erheben. Den hat traditionell die größte Oppositionsfraktion inne. Allerdings handelt es sich dabei um informelle Regeln. Abgeordnete sind frei, Politikerinnen und Politiker in ein solches Amt zu wählen, oder eben nicht. Die Frage, welche Ämter die AfD besetzen soll und darf, stellt sich also eher vor einem politischen Hintergrund.

Auch die Wissenschaft ist sich an dieser Stelle nicht einig. So spricht sich beispielsweise der Politikwissenschaftler Hendrik Träger von der Universität Leipzig dafür aus, die AfD stärker in die Pflicht zu nehmen, statt sie auszugrenzen. „Es wird schwierig, wenn der zweitstärksten Partei kategorisch etwa der Posten des Vizepräsidenten verweigert wird“, sagte er im Februar Zeit Online. Dies würde der AfD weiter Munition liefern, um ihre Opferrolle zu entwickeln. Außerdem wäre es ungünstig, sagte Träger, wenn sich viele Wähler aus Ostdeutschland im Bundestagspräsidium nicht repräsentiert fühlten.

Heinze tendiert eher zur anderen Seite: „Wenn man die Normalisierung der AfD stoppen will, dann gehört dazu auch, dass sie solche Posten nicht wie jede andere Partei besetzen darf.“ Die AfD spiele eben nicht nach demokratischen Spielregeln. „Deswegen ist es nur korrekt, sie auch formal nicht so zu behandeln wie andere.“

Eine Brandmauer, sagt Heinze, sei aber nur dann sinnvoll, wenn sich die anderen Parteien gleichzeitig die Frage stellten, warum die AfD so stark ist. Da sei es viel zu kurz gedacht, nur auf sie zu reagieren. „Man muss an der Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie arbeiten“. Da hätten alle Parteien gerade ein massives Problem.

Durch Investitionen in Infrastruktur, Bildung oder Gesundheit zum Beispiel könne aber bei vielen und gerade auch jüngeren Menschen wieder der Eindruck entstehen, dass wirklich etwas passiere; dass die etablierten Parteien auch gute Arbeit leisteten, sagt Heinze. AfD-Stammwähler erreiche das zwar nicht, aber den übrigen – wenn auch kleinen – Teil der AfD-Wählerschaft möglicherweise schon. Tim Frehler