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Tiefgang

Verteidigungsgipfel entlang alter Konflikte

Auf seine vielleicht letzten Wochen im Amt wird sogar Olaf Scholz noch zum Trendsetter in der EU. „Wir müssen auch langfristig zur Veränderung des Regelwerks in Europa kommen, ganz entlang dessen, was wir in Deutschland gegenwärtig auch diskutieren“, sagte der Bundeskanzler beim EU-Gipfel in Brüssel.

Deutschland stellt sich, wie zuletzt vor etwas mehr als 20 Jahren unter Gerhard Schröder, an die Spitze der Bewegung, die europäische Schuldenregeln aushebeln will. Wenn die Bundesregierung derlei fordert und nicht nur stillschweigend toleriert, wird es schon so kommen – so viel zur ersten Gewissheit in einem längst virulenten Politikfeld, das seit wenigen Wochen mit ungeahnter Wucht auf die Tagesordnung drängt: Wie die nötigen zusätzlichen Verteidigungsausgaben finanziert werden können.

Die EU wolle ihre „allgemeine Verteidigungsbereitschaft stärken“, Abhängigkeiten verringern, Fähigkeitslücken ausmerzen und die „verteidigungstechnische und -industrielle Basis in der gesamten Union entsprechend stärken“, so will es der Gipfel in der Abschlusserklärung.

In Brüssel geht es konkret dann stets um zweierlei, Geld und Entscheidungsstrukturen. Also: Wer bezahlt, und wer darf ausgeben. Der gute Zweck, an dem das durchexerziert wird, ist diesmal die Landesverteidigung. Das weist schon darauf hin, wo das Pendel hinschwingt im Konflikt zwischen Mitgliedsstaaten und Mitentscheidung: Beim Thema Verteidigung sind den Hauptstädten Spielräume recht und echtes Geld, aber keine Mitsprache etwas des Europaparlaments.

Sicherheit ist nationale Kompetenz, laut EU-Verträgen und Selbstverständnis der meisten: Gemeinsame europäische Schuldenaufnahme passt dazu kaum. „Die Position Deutschlands in dieser Frage ist traditionell bekannt und wird sich nicht sehr ändern“, sagte Scholz. Zu den Positionen für den Gipfel hatte er sich mit Merz am Mittwoch abgestimmt.

Noch zieht bei einigen das Argument, dass Deutschland auf seine Anleihen weniger Zinsen zahlen muss als der Rest der EU; warum das zusätzlich aufs Spiel setzen, wenn man gerade eine massive Kreditaufnahme plant. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hingegen teilte mit, Deutschland werde die Investitionen schon stemmen können, ohne seine Kreditwürdigkeit aufs Spiel zu setzen.

Erwartetes Wirtschaftswachstum aus den Investionen sind ein Grund für solche Zuversicht und einer, aus welchem nun vielfach von einer europäischen Verteidigungsindustrie geträumt wird. So würden die neuen Milliarden direkt in Europas Wirtschaft fließen: „Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass das Geld nur für europäische Unternehmen, für europäische Arbeitsplätze und für europäische Investitionen reserviert werden darf“, sagte Manfred Weber, Vorsitzender der Europäischen Volkspartei.

Wegen der geteilten Sicht darauf, was des Kaisers sei, war der Gipfel zu diesem Teil der Beratungen weniger konfrontativ, als manche dachten. Stichwort: Viktor Orbán. Der ungarische Ministerpräsident ist kein Alliierter der Ukraine hat einer Erklärung zur Unterstützung des Landes seine Stimme verweigert, aber beim Verteidigungs-Part war er kein Blockierer.

„Meine Treffen in Frankreich haben bestätigt, dass wir uns zwar über die Modalitäten des Friedens nicht einig sind, aber wir sind uns einig, dass wir die Verteidigungskapazitäten der europäischen Nationen stärken müssen“, sagte Orbán etwa auf X; Emmanuel Macron hatte ihn am Vorabend im Élysée zu Besuch gehabt. Orbán knüpfte seine Unterstützung an Fragen der Macht – daran, wie viel davon die EU-Kommission erhält. Diese Menge zu begrenzen, ist ein Ziel, in dem er kaum alleine ist.

Der natürliche Alliierte der EU-Kommission ist das Europäische Parlament. Ursula von der Leyen hat sich in der Ankündigung ihrer Initiative zur „Wiederbewaffnung“ Europas mehr von Realpolitik als von der Wunschvorstellung leiten lassen: Für das 150 Milliarden Euro schwere „Instrument“, das sie als Kern der Pläne vorschlug, nutzte die Kommissionspräsidentin Artikel 122 des Vertrags über die Arbeitsweise der Union. Das ist eine Art Notstandsartikel, die parlamentarische Mitbestimmung über die Mittelverwendung nicht vorsieht.

Von der Leyen hatte einen harten Gang, als sie zur Gipfelvorbereitung am Mittwoch dieser Woche die Fraktionschefs des Europaparlaments traf: Es gab EU-Beamten zufolge viel Zustimmung für den Inhalt, Kritik aber am Rückgriff auf die zwischenstaatliche Lösung.

Da der Vorschlag – der Rechtstext – bisher nicht veröffentlicht ist, bat Parlamentspräsidentin Roberta Metsola im Namen aller Fraktionen von der Leyen darum, die Sache zu „überdenken“. Es solle ja, sagte sie den Angaben zufolge, nicht zur Gewohnheit werden, dass „Ihr engster Verbündeter“ außen vor gelassen werde.