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Tiefgang

Wie der digitale Staat gelingen kann

Trotz jahrelanger Bemühungen und hohem Mitteleinsatz arbeiten Deutschlands Amtsstuben weiterhin nicht volldigital. „Das führt zunehmend zu Unmut und ich bin auch der Meinung, dass wir viel zu sehr Flickenteppich haben“, sagte Hessens Digitalministerin Kristina Sinemus (CDU) beim Roundtable von SZ Dossier.

Bei der Veranstaltung im Büro der Agora Digitale Transformation gingen am vergangenen Donnerstag Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Verwaltung, Forschung, Wirtschaft und Gesellschaft der Frage nach, wie der moderne Staat gelingen kann. Sinemus‘ Weg: eine Balance zwischen den Vorteilen des Föderalismus und einer Zentralisierung auf Bundesebene.

Die Ministerin stellte in ihrem Eingangsimpuls vier Bausteine vor, die aus ihrer Sicht wesentlich sind, damit ein Digitalministerium gelingt. Ein zentrales Digitalbudget, die Zuständigkeit für übergreifende Themen wie digitale Infrastruktur, ein interdisziplinäres Team und eine enge Zusammenarbeit mit der Wirtschaft, insbesondere KMUs und Start-ups. Gleichzeitig dürfe man die Kommunen nicht allein lassen.

Ihre Lektion: Es brauche Standards und Basisdienste, damit nicht jede Kommune ihren eigenen Weg gehe. Derzeit gebe es allein in Hessen mehr als 1000 kommunale IT-Dienstleister. „Ich bin davon überzeugt, dass wir in eine andere Form der Zentralisierung kommen müssen, ohne dass wir den Föderalismus abschaffen.“ Zudem müsse Digitalisierung zu echtem Mehrwert für Bürgerinnen und Bürger werden. „Wenn wir das nicht hinkriegen, werden wir echt völlig abgehängt werden.“

Stefan Heumann, Geschäftsführer der Agora Digitale Transformation, nannte drei Punkte, die eine neue Regierung besser machen müsse. Die Ideen im Koalitionsvertrag der Ampel seien zwar gut gewesen, die konkrete Umsetzung blieb allerdings offen, sagte er. Auf der Kabinettsebene habe es zudem keinen Treiber für Digitalisierung gegeben. Heißt: Das Thema sei viel zu breit gestreut gewesen über unterschiedliche Ministerien. „Wir brauchen dieses Digitalministerium, um das Thema institutionell zu verankern“, sagte Heumann.

Für den personellen Aufbau forderte Heumann eine Mischung aus externer Disruption und Wissen aus dem Maschinenraum. Sein Fazit: „Für diese Instrumente, also gerade Digitalbudget und Digitalagentur, brauchen wir schnell ausführlichere Konzepte, wie dieser Aufbau angegangen werden sollte“, sagte er.

In der Runde äußerten Teilnehmende aus der Verwaltung auch Sorgen. Der Aufbau eines neuen Hauses dürfe nicht zu lange dauern, hieß es. Von der Suche eines Gebäudes über den Anschluss an die sicheren Netze des Bundes bis hin zum Wechsel von Personal aus anderen Ministerien: Es gibt viel zu tun, bis ein Ressort wirklich handlungsfähig ist.

Jutta Horstmann, Geschäftsführerin des Zentrums Digitale Souveränität (Zendis), betonte, dass sich die Debatte nicht zu sehr auf Verwaltungsdigitalisierung zuspitzen sollte. Es brauche eine ganzheitliche Strategie, sagte sie. Sie mahnte, die Themen Cybersicherheit und digitale Souveränität sowie die geopolitische Lage nicht aus den Augen zu verlieren.

Ihre Sorge: Gerade unter den Bedingungen der Trump-Administration könnten digitale Abhängigkeiten genutzt werden, um Erpressungspotenziale in anderen Politikbereichen zu schaffen. „Wir brauchen eine Strategie dafür, weil viel Software aus den USA kommt“, sagte Horstmann. Es gehe darum, sicherzustellen, wie die Demokratie weiter funktioniert. „Darauf hat das Digitalministerium ganz direkten Einfluss, indem es die richtigen Rahmenbedingungen setzt.“ Das Haus solle deshalb auch für andere Häuser Vorgaben für digitale Souveränität machen können.

Wichtig für die Zukunft sei, dass es eine „durchgängige Steuerungsverantwortung“ gebe, sagte Dirk Meyer-Claassen, Abteilungsleiter für Digitales in der Senatskanzlei Berlin. In der Vergangenheit scheiterte unter anderem das Onlinezugangsgesetz (OZG) genau daran. Ein Digitalministerium müsse also zentrale Infrastrukturen für alle bereitstellen, auch für Kommunen.

Julia Borggräfe, Beraterin und früher selbst in der Bundesverwaltung tätig, sagte, es sei wichtig, vorher eine Strategie zu entwickeln, bevor über ein Digitalministerium diskutiert werde. Erst über strategische Ziele könne definiert werden, welche konkreten Strukturen es brauche. Die Geschäftsführerin der Open Knowledge Foundation, Henriette Litta, sagte, Diskussionen um Organigramme, Zuschnitte und Zuständigkeiten seien eigentlich zu kleinteilig. Man spreche viel zu selten darüber, „wie wir als Gesellschaft stabil in die nächsten 30 Jahre gehen, ohne unsere Demokratie zu verlieren“, sagte Litta.

Und wer soll das alles umsetzen? Auf die Frage einer Teilnehmerin, ob Sinemus bald in die Hauptstadt ziehen wolle, sagte die Landesministerin, ihre Tochter halte derzeit ihre Berliner Wohnung für sie warm. Gabriel Rinaldi

Dieser Text erschien zuerst gestern in einer längeren Fassung im Dossier Digitalwende.