Vierkampf im Bundestag
Zum Start vielleicht ein Blick zurück: Am 26. Oktober 2021 kam der 20. Deutsche Bundestag zum ersten Mal zusammen. Die Sitzung eröffnete Wolfgang Schäuble, im Plenarsaal galt die 3-G-Regel, und zahlenmäßig war der Bundestag so groß wie nie. Nichts davon werden jene Abgeordneten erleben, die sich nach der kommenden Wahl zum ersten Mal treffen. Doch zuvor kam der Bundestag gestern noch einmal in alter Besetzung zur Generaldebatte zusammen. Einen Vormittag lang wurde der Reichstag zur Bühne für die Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer.
Den Auftakt machte der Kanzler. Und dabei wurde klar, mit welcher Strategie Scholz in die nächsten Tage bis zur Wahl gehen wird: Er suchte die Konfrontation mit seinem Herausforderer Friedrich Merz und folgte seinem Plan, Merz als impulsgesteuerten Affektpolitiker darzustellen. Seine ständigen Kehrtwenden hätten System, sagte Scholz über den CDU-Kanzlerkandidaten. Dabei komme es gerade in Krisenzeiten auf Besonnenheit, Erfahrung und einen klaren Kurs an.
Außerdem ging er Merz und die Union für ihre Steuerpläne an. Die Allerreichsten wolle die Union jährlich um 34 000 Euro entlasten, das sei mehr als eine Friseurin im ganzen Jahr verdiene. Und Scholz zog erneut die Glaubwürdigkeit seines Kontrahenten in Zweifel. Merz habe gezielt auf die Zustimmung der extremen Rechten gesetzt, was den SPD-Politiker zu dem Schluss brachte: „Wenn Friedrich Merz den Kompromiss unter Demokraten zu schwierig findet, dann macht er gemeinsame Sachen mit denen da.“ Gemeint war die AfD.
Der Angesprochene ließ sich nicht provozieren. Auch das passt zu diesem Wahlkampf. Merz weiß: Wenn er auf den letzten Metern die Contenance nicht verliert, kann ihm kaum mehr etwas passieren. Also drehte er den Spieß um: „25 Minuten abgelesene Empörung über den Oppositionsführer“, sagte Merz über Scholz‘ Rede. „Herzlichen Glückwunsch, Herr Bundeskanzler“, schob er hinterher. Während der Kanzler in seine Akten blickte, hielt ihm Merz die Bilanz seiner Regierung vor. Es seien Zeiten ohne Wende geblieben, sagte er mit Blick auf die Ausstattung der Bundeswehr. Auf dem Arbeitsmarkt habe die Regierung „ein schieres Desaster“ hinterlassen.
Es war mehr ein Rückblick denn ein Ausblick, den Merz abgeliefert hatte, eine Abrechnung mit Olaf Scholz. Robert Habeck sah die Lücke, die sich da vor ihm auftat. Die Wahl werde nicht über die Vergangenheit entschieden, sondern darüber, „wie wir die Zukunft gestalten“, sagte Habeck. Also sprach er über den Klimaschutz. 2021 seien sich die demokratischen Parteien immerhin noch hinsichtlich der Ziele des Klimaschutzes einig gewesen, für die kommende Wahl gelte das nicht mehr, sagte Habeck. CDU, FDP und AfD stellten sie nun aus Angst vor der Mühe bei der Umsetzung infrage. Aber, sagte Habeck: „Wir können kein Land haben, das regiert wird von Leuten, die Sorge haben, Probleme anzufassen.“
Es zeigt sich also: Die Kanzlerkandidaten von SPD, Union und Grünen haben für den Endspurt in diesem Wahlkampf ihre je eigenen Gegenpole ausgemacht. Fortan heißt es: Scholz gegen Merz, Merz gegen sein impulsives Ich, Habeck gegen die Vergangenheit und das Verdrängen.
Um Viertel vor elf konnten die drei dann erleben, wie sehr sich die Zeiten seit dem 26. Oktober 2021 verändert haben. Da trat eine Frau ans Rednerpult, die mittlerweile Anspruch auf das Kanzleramt erhebt – und sich und ihrem Publikum ausmalte, was sie mit diesem Land vorhat. „Wie würde ein Deutschland aussehen, in dem die Alternative für Deutschland als Regierungspartei ihr Programm verwirklichen würde?“, sagte Alice Weidel. Der Konjunktiv war angebracht. Mit der in Teilen rechtsextremen Partei will schließlich niemand koalieren.
Die AfD wird – so viel kann man vorwegnehmen – in einer bisher nie dagewesenen Stärke in den Bundestag einziehen. Wenn es dazu noch ein oder zwei Wackelkandidaten über die Fünf-Prozent-Hürde schaffen, wird die Koalitionsbildung reichlich kompliziert. Das könnte am Ende erneut den Politikern am extrem rechten Rand in die Hände spielen. Es lohnt sich also, schon jetzt an den 24. Februar zu denken.