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Tiefgang

Ab durch die Merkel-Lücke

Lesedauer: 3 Min.

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Tim Frehler

Redakteur

Die Grünen haben sich gestern zum Parteitag getroffen, am Ende einer Woche der Schmerzen auch für die Partei. Da war der Fall Gelbhaar, der sowohl das feministische als auch das Rechtsstaats-Verständnis der Partei beschädigte. Und die Gewalttat in Aschaffenburg, die Migration zurück auf die Tagesordnung brachte, für die Grüne Partei kein Gewinnerthema.

Sie mussten also Antworten darauf geben, wie sie mit dem Fall Gelbhaar umgehen wollen und wie sie auf Merz' Ankündigungen reagieren sollen, Anträge zur Verschärfung der Migrationspolitik in den Bundestag einzubringen, „unabhängig davon, wer ihnen zustimmt“.

Ersteres versuchten die Grünen zu umschiffen, indem sie dem Programm für die Bundestagswahl viel Liebe widmeten. So fand die Forderung nach einem Böllerverbot noch Einzug ins Programm. Der sonst so debattenfreudigen Partei gelang es gestern allerdings, deutlich früher als geplant zum Ende zu kommen. Schon kurz nach 15 Uhr nahmen die Delegierten das Wahlprogramm an, traten kurz darauf die Heimreise an, zwei Stunden vor dem geplanten Ende.

Auch auf den Gängen in der Berliner Messe gaben sich Mitglieder der Grünen in der Causa Gelbhaar zugeknöpft. Klar, ein Problem, sagte etwa Margarete Bause, ehemalige Bundestagsabgeordnete und einstige Landesvorsitzende in Bayern. Der Sache der Frauen habe der Fall geschadet. „Aber es ist etwas, was wir Grüne miteinander klären müssen“, sagte sie. Eine aktuelle Bundestagsabgeordnete drückte es so aus: Der Fall sei eine „Blasen-Debatte“ – so jedenfalls die Hoffnung.

Gemessen an Parteitagsreden galt das für den Themenkomplex Messerattacken, Migration und Merz nicht. Die politische Geschäftsführerin äußerte sich dazu, der Parteivorsitzende ebenfalls. Dann war Robert Habeck an der Reihe. Merz‘ Ankündigung dürfe man nicht als „strategische Fehlleistung“ abtun, „nichts daran ist harmlos“, sagte Habeck.

Merz‘ Vorpreschen ist nicht einfach für die Grünen: Eine Koalition mit der Union ist derzeit (wenn überhaupt) ihre einzige Machtperspektive, gleichzeitig gibt der Kurs des CDU-Chefs jenen Grünen Auftrieb, die Schwarz-Grün äußerst kritisch sehen, wie Jette Nietzard, die Chefin der Grünen Jugend. Sie sagte dem ZDF, Opposition sei auch „eine gute Option“.

Kanzlerkandidat Habeck und andere versuchen indes, den Spieß umzudrehen. Kapital zu schlagen aus Merz‘ Agieren, indem die Grünen den Platz einnehmen, den die Union aus ihrer Sicht freimacht. Die Mitte, sagte Habeck in seiner Rede, sei jetzt leer. Mitte bedeute, dass Demokraten einigungsfähig seien müssten. Einigungsfähigkeit heiße aber nicht „friss oder stirb, heißt nicht ‚entweder stimmt ihr zu oder ich stimme mit Rechtsradikalen‘“, sagte Habeck. Das sei nicht Mitte, das sei Ideologie.

Die Grünen sehen nun ihre Chance, die Merkel-Lücke zu füllen. „Ich glaube schon, dass es Wählerpotenziale gibt, die früher Merkel gewählt haben und von Friedrich Merz abgeschreckt sind“, sagte eine Bundestagsabgeordnete. Die Union habe da einen Fehler gemacht. „Sehr doof“, sagte sie. Ausweislich ihrer Umfragewerte müssen die Grünen allerdings bangen, dass dieses Kalkül aufgeht. Tim Frehler