Teure Wahlversprechen treffen auf knappe Kassen
Während die Parteien mit mehr oder weniger kostspieligen Wahlversprechen werben, werden die finanziellen Spielräume aller staatlichen Ebenen deutlich kleiner. Die Kommunen haben nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes die ersten neun Monate des vergangenen Jahres mit einem Defizit von 25,9 Milliarden Euro abgeschlossen. Der Bund und viele Länder brauchen gerade ihre Rücklagen auf.
Das strukturelle Defizit – also die Lücke zwischen den Staatseinnahmen wie etwa Steuern und den Staatsausgaben – beträgt laut Bundesbank zwei Prozentpunkte und wird 2027 sogar darüber liegen. Die Staatsausgaben, auf Basis der aktuellen Haushaltsplanungen und Gesetze gerechnet, werden demnach 2027 über die 50-Prozent-Marke steigen, also auf über die Hälfte der Wirtschaftsleistung.
Was ist passiert? In den 2010er-Jahren wurden mehr Schulden abgebaut als neue gemacht, allerdings auch die Investitionen vernachlässigt. Erst in der Corona-Pandemie und dann in der Energiekrise nach dem russischen Angriff auf die Ukraine wurden die Haushaltsregeln ausgesetzt, neue Fonds und Sondervermögen kreiert. Die Inflation bescherte im Jahr 2022 erhebliche zusätzliche Steuereinnahmen. Seit 2023 aber steigen viele Ausgaben schneller als die Einnahmen, etwa für Löhne und Gehälter im öffentlichen Dienst, aber auch für neue Leistungen und Investitionen.
Viele Landesregierungen haben bereits die Haushalte für dieses oder die kommenden beiden Jahre als Sparhaushalte angelegt. Am deutlichsten das Land Berlin, das nun wegen Kürzungen bei der Kultur kritisiert wird, seinen Ruf als Kulturhauptstadt aufs Spiel zu setzen.
In Thüringen muss die neue Landesregierung die Löcher erst noch schließen. Die alte Regierung unter Bodo Ramelow (Linke) habe für Gesamtausgaben von 13,8 Milliarden Euro die Reserven von 825 Millionen Euro komplett verplant, die Investitionen um 200 Millionen gekürzt und es fehlten immer noch 300 Millionen, sagte Finanzstaatssekretär Birger Scholz SZ Dossier.
Eine komplette Übersicht über die Länderfinanzen gibt es nicht. Reserven, Nebenhaushalte und der Umgang mit den Detailregeln zur Schuldenbremse sind in jedem Land unterschiedlich. Die Bundesbank beklagt hier schon länger „Intransparenz“. Insgesamt dürfte es bei den Ländern 2025 auf eine „rote Null“ hinauslaufen, sagte Ökonom Jens Boysen-Hogrefe vom Institut für Weltwirtschaft (IfW) Kiel. Bei den Kommunen herrsche bereits Alarmstimmung. Der von der bundeseigenen Kreditanstalt für Wiederaufbau abgefragte Investitionsrückstand beträgt 186 Milliarden Euro.
Auf Bundesebene ist die aktuelle Finanzlage etwas entspannter, weil 2024 weniger Geld etwa aus dem Klima- und Transformationsfonds abgeflossen ist und der Bund mit seiner vorläufigen Haushaltsführung zumindest so lange zurückhaltend bei den Ausgaben sein wird, bis vielleicht Mitte des Jahres ein Haushalt für 2025 verabschiedet ist. Dank der Rücklagen kann die Schuldenbremse eingehalten werden.
„Insbesondere 2026 und 2027 wird die Kreditgrenze aber spürbar überschritten“, analysierte die Bundesbank in ihrem Dezember-Monatsbericht. Der basiert auf der aktuellen Gesetzeslage und der Finanzplanung. Verteidigungsausgaben von mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts oder Steuersenkungen jenseits der Vermeidung der kalten Progression sind darin nicht enthalten.
Ökonomen rechnen daher mit heftigem Widerstand der Länder, wenn es um Steuersenkungen geht, die wie bei der Einkommens- und Körperschaftsteuer auch die Einnahmen der Länder und Kommunen verringern. „Bei allen Steuersenkungsvorschlägen mit Ausnahme des Soli wird es immer ein Veto der Länder geben“, sagte Boysen-Hogrefe voraus. „Übermäßigen Steuersenkungen werden wir im Bundesrat geschlossen entgegentreten“, meinte der Thüringer Staatssekretär Scholz dazu.
Auch die Schuldenbremse wird nach der Wahl Thema werden, zumindest in Form einer Flexibilisierung unterhalb einer sonst nötigen Verfassungsänderung. „Wenn die Schuldenbremse notwendige Zukunftsinvestitionen verhindert, muss sie reformiert werden“, erklärte kürzlich Markus Lewe, Präsident des Städtetages und CDU-Oberbürgermeister von Münster. „Die Schuldenbremse ist kaum zu halten“, sagte auch Boysen-Hogrefe. Er stimmt seinem Kollegen Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) zu, der schon vor Veröffentlichung der Wahlprogramme analysiert hatte: „Die Schuldenbremse ist auch eine Steuersenkungsbremse.“
Noch basieren alle Finanzplanungen darauf, dass zumindest im kommenden Jahr die Wirtschaft wieder anfängt zu wachsen. Die Bundesbank rechnet derzeit mit 0,8 Prozent Wachstum. Das könnte aber, so die Frankfurter Ökonomen in einer Berechnung, fast komplett aufgezehrt werden, wenn der neue US-Präsident Donald Trump seine Pläne für Zölle auf alle Waren aus China und Europa wahr macht. Dann könnte der nächste Kanzler schnell das tun, was die Regierung Merkel während Corona und die Regierung Scholz am Anfang des Ukraine-Krieges getan haben: eine Notlage erklären und die Schuldenbremse aussetzen. Peter Ehrlich