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Tiefgang

Ohne Aktionsplan gegen Desinformation in die Bundestagswahl

Der Bund und die Länder schaffen es nicht, einen geplanten Aktionsplan gegen Desinformation zu finalisieren. Das Bundesinnenministerium (BMI) bestätigte auf Anfrage, dass das Papier nicht vor der Bundestagswahl fertig wird. Der Aktionsplan werde nach derzeitiger Einschätzung „keine Rolle“ im Wahlkampf spielen und könne frühestens im Juni beschlossen werden, wenn das nächste Mal die Innenministerkonferenz (IMK) tagt, sagte ein Sprecher des Ressorts SZ Dossier.

Klar ist damit: Während Staaten wie Frankreich („Viginum“) und Schweden („Behörde für psychologische Verteidigung“) bereits eigene Behörden für den Kampf gegen Desinformation und ausländische Einflussnahme aufgebaut haben, gibt es in Deutschland wenige Wochen vor der Wahl nicht einmal ein zwischen Bund und Ländern abgestimmtes Papier.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) kündigte bereits 2022 an, einen „gemeinsamen Aktionsplan von Bund und Ländern gegen Desinformation und für eine wehrhafte Demokratie“ erstellen zu wollen. In dem Jahr fasste auch die IMK einen Beschluss dazu. Eines der Ziele: bestehende Strukturen bündeln und ein bundesweites Netzwerk aufbauen, um Desinformationskampagnen besser und schneller aufzudecken.

Federführend für die Erstellung des Aktionsplans ist das BMI unter Einbindung der Ende 2021 gegründeten „Bund-Länder-offenen Arbeitsgruppe Hybride Bedrohungen“ – kurz BLoAG Hybrid. Dort sind neben mehreren Bundesministerien und den Ländern unter anderem auch Sicherheitsbehörden und die kommunalen Spitzenverbände vertreten.

Im Frühjahr 2023 gab es einen Workshop. Ende 2023 lagen zwar erste Empfehlungen vor, einen Aktionsplan hat die IMK aber nicht wie geplant beschlossen. Im Frühjahr 2024 sollte erneut der Stand diskutiert werden, der Aktionsplan kam im vergangenen Jahr aber nicht mehr auf die Agenda der IMK. Schwerpunkt war, dass der Bund und alle Länder eine zentrale Stelle für die Bekämpfung hybrider Bedrohungen, einschließlich Desinformation, benennen.

Woher die Gemächlichkeit? Die Länder verweisen auf Anfrage auf das BMI. Von dort wird der Ball zurückgespielt: Man habe die Länder gebeten, ihre Maßnahmen für den gemeinsamen Aktionsplan zu übermitteln, sagte ein Sprecher. Sobald dies geschehen sei, könne der Aktionsplan finalisiert und der IMK zum Beschluss vorgelegt werden. Welche Länder geliefert haben und welche säumig sind, wollte das BMI nicht verraten. Deutschland unterscheide sich durch die föderale Struktur von anderen Staaten, hieß es auf die Frage, warum Staaten wie Frankreich und Schweden so viel schneller agieren.

Der Sprecher verwies zudem auf den Aufbau einer Zentralen Stelle zur Erkennung ausländischer Informationsmanipulation (ZEAM) auf Bundesebene, die im BMI angesiedelt ist und Anfang Juni vergangenen Jahres ihre Arbeit aufgenommen hat. Neben dem BMI haben das Bundeskanzleramt, das Auswärtige Amt, das Justizministerium und das Bundespresseamt dafür jeweils Mitarbeitende abgeordnet, so der Sprecher. Konkrete Maßnahmen, die bereits umgesetzt werden, nannte er nicht.

Dass schon so lange an dem Strategiepapier gewerkelt wird, könnte Auswirkungen haben: „Der Aktionsplan kann der veränderten Bedrohungslage kaum gerecht werden“, sagte Digitalexperte und Fellow der Mercator-Stiftung, Felix Kartte, SZ Dossier. Die Planung und die Beschlüsse für das Papier kämen aus einer anderen Zeit.

„Einflussoperationen, die sich gegen demokratische Institutionen richten, kommen nicht mehr nur aus Russland“, so Kartte. „Musks Kampagne ist ungleich effektiver als Russlands Desinformation, weil er es schafft, den medialen Diskurs in seinem Interesse zu steuern.“ Das sei möglich, weil Musk anders als der Kreml „nicht nur Trolle oder einzelne Pseudomedien kontrolliert, sondern eine ganze Plattform, mit der er Debatten verzerrt“.

Besorgniserregend sei, dass nun auch Meta auf diesen Kurs einschwingt: „Mit den Änderungen an den Plattformen, die Zuckerberg angekündigt hat, dürften auch Facebook und Instagram noch mehr als bisher zum Nährboden für Desinformation und Radikalisierung werden.“ Gerade rechtsextreme Akteure dürften sich durch Zuckerbergs Rhetorik ermutigt fühlen, alle Filter rauszunehmen, so Kartte.

„Desinformation und Propaganda sind keine Nischenphänomene des Internets mehr, sie durchdringen zunehmend den medialen Mainstream“, so Kartte. „Der alte Werkzeugkasten, der vor allem auf russische Operationen abgestimmt war, den Schwerpunkt auf Erkennung und technische Analyse legte, wird der neuen Bedrohungslage nicht mehr gerecht.“ Nach Desinformation werde man kaum noch proaktiv suchen müssen, sagte der Experte. „Wenn die Tech-Konzerne ihren Kurs fortsetzen, wird es reichen, werden wir einfach nur die Apps öffnen müssen, um auf solche Kampagnen zu stoßen.“ Matthias Punz

Dieser Text erschien zuerst in unserem Dossier Digitalwende (hier geht es zur Anmeldung).