Staatsmodernisierung: Zentralisierung statt Kettensäge
Die nächste Bundesregierung müsse „das Klein-Klein beenden und die Transformation beginnen“, fordert die Agora Digitale Transformation (ADT) in einem Papier zur Bundestagswahl. Digitalisierung müsse Chefsache, die Arbeitsweise der Regierung modernisiert und die Möglichkeiten des Föderalismus besser genutzt werden. Die Transformationsagenda der ADT mit Fokus Staatsmodernisierung liegt SZ Dossier exklusiv vorab vor und wird heute veröffentlicht.
Verwaltungsdigitalisierung als Basis für den modernen Staat solle im Kanzleramt angesiedelt werden, fordert die Denkfabrik. „Wir schlagen dort eine Staatsministerin für digitale Transformation vor“, sagte Stefan Heumann, ADT-Geschäftsführer und Mitglied des Digitalbeirats der Bundesregierung. „Das heißt aber nicht, dass wir gegen den Vorschlag wären, diese Zuständigkeiten in ein Digitalministerium zu geben.“ Wichtig seien ausreichend Ressourcen und Personal, ein Platz am Kabinettstisch und eigene Behörden im nachgelagerten Bereich – egal, wo die Stelle letztendlich angesiedelt wird.
„Der Vorteil einer Staatsministerin oder eines Staatsministers im Bundeskanzleramt wäre, dass sich die Person ausschließlich um die Staatsmodernisierung und Verwaltungsdigitalisierung kümmern kann“, so Heumann. Denn in einem Digitalministerium werde es auch viele andere Themen geben, von Breitband bis hin zu EU-Agenden. „Der digitale Staat könnte dort wieder untergehen.“
Eine Rückkehr zum ‚Modell Dorothee Bär‘ dürfe es aber nicht geben, warnte Heumann. Sprich: eine Staatsministerin ohne Personal und Budget. „Das hat überhaupt nicht funktioniert.“ Vorbild sollte stattdessen die Stelle der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien sein, die Teil des Bundeskabinetts ist und über einen eigenen Stab verfügt.
In den Zuständigkeitsbereich des Staatsministers oder der Digitalministerin sollten dann Behörden und Organisationen wie das ITZBund, die Bundesdruckerei, der Digitalservice oder Teile des Bundesverwaltungsamts fallen. In einer Digitalagentur sollten viele Zuständigkeiten gebündelt werden, heißt es in dem Papier. Zudem soll er oder sie zentral für die IT des Bundes zuständig sein.
Gesteuert werden könne durch ein zentrales Digitalbudget, so Heumann. Dieses könne aus zwei Teilen bestehen: einem IT-Budget für die gesamte Bundesverwaltung, mit dem Soft- und Hardware zentral eingekauft werden. Das machen bisher alle Ressorts und Behörden in Eigenregie – ohne zentralen Plan. Der zweite Teil könne ein Topf für Modernisierungsvorhaben sein, eine Art Projektbudget für Digitalprojekte aus den Ressorts. Das Geld dafür könnte entweder zentral verwaltet werden oder in den Einzelplänen der Ressorts bleiben, müsste dann aber jeweils durch den Digitalminister oder die Staatsministerin freigegeben werden. Die genaue Höhe des Digitalbudgets kann Heumann noch nicht nennen. Seine Denkfabrik rechne gerade alle digitalpolitischen Posten durch. Aber: „Wir sprechen hier jedenfalls von einem Milliardenbudget.“
Ein weiterer Vorschlag der Denkfabrik sind interministerielle Arbeitsgruppen, die erstmals eigenständig über vorgegebene Projektbudgets verfügen. „Minister müssen klare Zielvorgaben machen, die Fachebene soll aber eigenständig Wege finden und sich nicht jede Rechnung und Idee rauf und runter im Ministerium freigeben lassen“, sagte Heumann. Ein Beispiel sei die Digitalisierung von Visa-Verfahren. Darum sollten sich das Innenministerium und das Auswärtige Amt in dieser Legislaturperiode gemeinsam kümmern, was nicht ganz funktionierte. „Damit die einen nicht nur auf die Ausländerbehörden schauen und die anderen auf konsularische Vorgänge, muss eine zentrale Stelle über das Geld steuern und stärker als in der Vergangenheit darauf achten, dass Vorhaben ganzheitlich umgesetzt werden“, so Heumann.
Eine Erfahrung aus dieser Legislaturperiode sei, „dass Bekenntnisse allein nicht reichen“, sagte Heumann. Es bringe nichts, wenn sich eine Regierung vornimmt, stärker interministeriell zu arbeiten. Das habe auch die Ampel getan. Konkret werde das Bekenntnis erst, „wenn man die Geschäftsordnung der Ministerien ändert und an das Ressortprinzip rangeht“.
„Die Ampel ist mit großen Hoffnungen und digitalpolitisch ambitioniert gestartet“, so Heumann. Nach den Merkel-Jahren habe sie den digitalen Aufbruch versprochen. „Am Ende hat sie aber nicht viel anders als die Vorgängerregierungen agiert und ist gescheitert.“ Die Digitalstrategie sei so geschrieben worden wie zuvor, die Arbeitsweisen hätten sich nicht geändert und auch inhaltlich sei vieles einfach fortgeführt worden. Eine neue Bundesregierung müsse Strukturen radikal ändern. „Sonst landen wir wieder bei einer Digitalstrategie mit 140 Einzelmaßnahmen, die nicht aufeinander abgestimmt sind.“
Die kommende Regierung müsse ihre Vorhaben und Ziele stattdessen sehr konkret formulieren, etwa mit messbaren Indikatoren. Beim Organisationserlass zu Beginn der Legislaturperiode müssten darüber hinaus bereits alle Zuständigkeiten klar geregelt sein.
Die Zeit drängt: Der Vertrauensverlust in die staatliche Handlungsfähigkeit sei massiv. „Aus meiner Sicht bräuchte es etwas mehr Selbstreflexion und Selbstkritik“, sagte Heumann. Es müsse stärker kommuniziert werden, dass einiges im Argen liegt – und wie man den Staat weiterentwickeln will. „Diese Diskussion wollen viele Parteien den Bürgerinnen und Bürgern aber nicht zumuten“. Stattdessen überließen sie das Thema und die schwierigen Fragen den Populisten. „Die schlagen dann auf den Staat ein und wollen mit der Kettensäge ran.“ Matthias Punz