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Tiefgang

Zwei Kandidaten, zwei Welten

Olaf Scholz vor roter Wand mit SPD-Wahlplakaten, Friedrich Merz vor blauem Hintergrund mit Bild von Konrad Adenauer. Die ersten großen Auftritte von Kanzler und Kandidat gestern waren kein Fernduell, sondern fanden in verschiedenen Welten statt. Merz gab auf dem geschichtsträchtigen Petersberg bei Bonn den Staatsmann, Scholz gefiel sich in seiner schon vor Weihnachten eingeübten Rolle als Kämpfer statt Kanzler.

Merz – als Hauptredner der Konrad-Adenauer-Stiftung zum 149. Geburtstag des ersten Kanzlers der Bundesrepublik – versuchte sich als Urenkel des CDU-Gründungsvaters. Die kommende Bundestagswahl könne durchaus als so wichtig wie die erste Bundestagswahl 1949 im Westen oder 1990 in Gesamtdeutschland gesehen werden.

Warum? In den ersten Jahren wurde über die Westbindung der Bundesrepublik und die soziale Marktwirtschaft entschieden. Was in der Rückschau selbstverständlich erscheine, hätte auch anders entschieden werden können, sagte Merz. Nun, 2025, sei nach Zeiten der Ruhe eine „Zeit der Bewegung“ eingebrochen, die Grundlagen der Demokratie, der Freiheit und der Marktwirtschaft stünden wieder zur Debatte.

Für seine mögliche Kanzlerschaft prophezeite Merz „Entscheidungen, die sehr weit in die Zukunft reichen“. Der frühere SPD-Kanzler Helmut Schmidt habe sich bei ihm einmal beklagt, dass in seiner Regierungszeit von 1974 bis 1982 eigentlich gar keine historischen Entscheidungen zu treffen gewesen seien. „Wir werden heute wieder Entscheidungen treffen müssen. Geschichte schreibt sich nicht von selbst, sie wird geschrieben“, beschrieb Merz schon einmal die Rolle der nächsten Regierung und des nächsten Bundestages.

Sehr konkret wird Merz nicht, aber auf jeden Fall will er keine deutschen Alleingänge, sondern europäischen Schulterschluss, vor allem mit Frankreich, Polen und den baltischen und nordischen Ländern. Nur ein starkes Europa werde in der Welt bestehen.

Die Bedrohungen für Freiheit, Demokratie und Wohlstand beschreibt Merz nicht im Detail, was ihm eine erneute Auseinandersetzung mit Tech-Milliardär Elon Musk erspart. Olaf Scholz wiederum hilft in der Frage des Umgangs mit Musk eine generelle Unempfindlichkeit gegenüber Menschen, die an seiner Eignung für das Amt zweifeln.

Dafür taugt Musk aber, anders als gewöhnliche deutsche Nicht-SPD-Wähler, für Klassenkampf und Heroismus in langer Linie. „Wir sind es als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten seit dem 19. Jahrhundert gewohnt, dass reiche Medienunternehmer anderer Meinung sind als die sozialdemokratische Partei“, sagte Olaf Scholz am Sonntag im Willy-Brandt-Haus. „Das ist nichts Neues.“

Zum Kampagnenstart enthüllte die SPD in Berlin gestern ihre Plakatmotive, von denen meist der Kanzler schaut, vor Deutschland-Flagge, in deren rotem Streifen die SPD auftaucht. Die Partei glaubt noch an den Kanzlerbonus, auch wenn Meinungsforscher den mittlerweile in einen Scholz-Malus verwandelt sehen.

Nach der Unruhe der Ampel sollen Wählerinnen und Wähler Scholz abnehmen, dass er für Bestandswahrung und – das zentrale Stichwort der Großplakate – „Sicherheit“ stehe. Im Sinne der SPD, versteht sich: „sichere Renten“, „mehr Wachstum“ und – tatsächlich – „mehr Netto“ verspricht die Partei jeweils einzelnen Wählergruppen wie heutigen oder baldigen Rentnern.

Der Grundton bei der CDU ist auch nicht wirklich neu: Echte Stabilität gebe es im Zweifel nur mit der CDU. Oder, wie es auf den seit dem Wochenende in den Straßen zu sehenden Plakaten mit Merz-Konterfei heißt: „Für ein Deutschland, auf das wir wieder stolz sein können.“

Merz fordert für die aus seiner Sicht nötige „grundsätzliche Wende in der Wirtschaftspolitik“ mehr Anstrengung von allen. Mehr Leistung der Arbeitnehmer, aber auch mehr Disziplin beim Regieren statt Dauerstreit wie in der Ampel. Wirtschafts- und Sozialpolitik müssten endlich wieder zusammen gedacht werden.

Merz’ Gedankenwelt an diesem Tag ist eine, die von einer zutiefst unsicheren Lage ausgeht, deshalb die Vergleiche mit der unmittelbaren Nachkriegszeit. Adenauers Nachfolger an Spitze von CDU und Regierung, etwa Helmut Kohl, haben sich oft eher am späten Adenauer und seinem Wahlslogan „keine Experimente“ orientiert. Ein Gedanke, der auch Scholz in seiner Hoffnung nicht fern liegt. Peter Ehrlich, Florian Eder