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Tiefgang

Die Probleme der deutschen Stahlbranche

Politikerinnen und Politiker sind schnell zur Stelle, wenn es darum geht, die Schuld für wirtschaftliche Probleme in fernen Ländern zu suchen: Robert Habeck sieht den Grund für die Entlassungen bei Thyssenkrupp in den Überkapazitäten in Fernost und will die Branche möglichst retten. Doch Ökonominnen und Ökonomen widersprechen: Dauerhafte Förderung einer wenig wettbewerbsfähigen Branche kostet Geld, ohne viel zu bringen. Zudem droht Deutschland keine Stahlabhängigkeit von China. Derzeit kann es seinen Eigenbedarf nämlich locker selbst decken.

Nachfragemangel wegen Rezession: Der Hauptgrund für die Probleme der Stahlbranche liegt in der allgemeinen Wirtschaftsschwäche. Schon vor der Ankündigung der Entlassungen durch Thyssenkrupp erwartete die Branche einen Absatzrückgang. Im laufenden Jahr sank die Nachfrage erneut. Sie liegt sogar rund zehn Prozent unter dem Pandemie-Tief. Grund ist die Multi-Krise mehrerer in Deutschland so großer Branchen wie Auto und Maschinenbau. „Nahezu alle stahlverarbeitenden Branchen befinden sich gegenwärtig im Rückwärtsgang“, sagte Martin Theuringer, Geschäftsführer der Wirtschaftsvereinigung Stahl, dem Handelsblatt.

Es ist also nicht so, dass in Deutschland kräftig Stahl verbraucht wird, sich die Kunden aber Billigangeboten aus Asien zuwenden. Tatsächlich ist es umgekehrt: Mit 35 Millionen Tonnen haben die deutschen Stahlhersteller im vergangenen Jahr mehr produziert als die 29 Millionen Tonnen, die hierzulande nachgefragt wurden. Das bedeutet nicht, dass Deutschland sich selbst versorgt hat, es findet viel Handel verschiedener Stahlsorten statt. Die deutsche Stahlhandelsbilanz ist aber in der Regel ausgeglichen.

Stahl ist ein regionales Geschäft: „Die Stahlindustrie ist immer noch sehr stark dort, wo die Kunden sind“, sagte Stefan Lechtenböhmer, Experte für wirtschaftliche Transformation an der Universität Kassel, SZ Dossier. Viele Produkte entwickelt die Branche zusammen mit ihren Abnehmern in der Industrie. Er sieht die deutschen Hersteller nicht in erster Linie von günstigen Importen bedrängt.

Das bestätigt Clemens Fuest vom Ifo-Institut. Die Industrie leide unter „stark steigenden Kosten, vor allem Energiekosten, strengen Umweltauflagen und sinkender Nachfrage, vor allem aus der Autoindustrie, am Standort Deutschland“.

Das heißt nicht, dass China keine Rolle bei dem Dilemma spielt. Das Land leistet sich weiterhin gigantische Überkapazitäten und schiebt seine Produkte günstig auf den Weltmarkt. Das ist für kleinere Herstellerländer wie Deutschland eine laufende Belastung. Die Wirtschaftsvereinigung Stahl fordert daher, den europäischen Markt mit Handelsinstrumenten vor dem Verdrängungswettbewerb zu schützen.

Subventionen bringen wenig. Langfristige staatliche Förderung für konventionellen Stahl gelten aber als wenig zielführend. „Industrien, die man dauerhaft subventionieren muss, zerstören Wohlstand. Industrieunternehmen sollten Steuern zahlen, nicht Subventionen empfangen“, sagte Fuest SZ Dossier.

Transformationsschmerzen lindern: Andere Ökonomen sehen Subventionen dagegen als sinnvolles Instrument, wenn es darum geht, den Übergang zu umweltfreundlicher Stahlerzeugung zu unterstützen. „Gerade für die Erschließung von absolut neuen Technologien wie der Verwendung von grünem Wasserstoff sollte die Regierung unterstützende Instrumente nutzen“, sagte Lechtenböhmer.

Industriepolitik sollte klug gemacht sein, dann bringt sie langfristig einen Wettbewerbsvorteil – da sind sich Ökonominnen und Ökonomen unterschiedlicher Richtungen einig. Früher oder später muss auch die Stahlbranche anderer Länder auf emissionsneutrale Verfahren umsteigen.

Was tun? Die deutsche Stahlbranche braucht massive Förderung zur Umstellung auf klimaneutrale Herstellung und dazu eine Versorgung mit günstigem, anfangs subventioniertem Wasserstoff. So kann sie ihre Nische für die Zukunft finden. Zudem sollte eine Basisproduktion in der Größenordnung des deutschen Stahlverbrauchs erhalten bleiben. Dafür sind bessere Rahmenbedingungen nötig, hier fallen die üblichen Stichworte wie Energiepreise und Bürokratie.

Einen von der Idee her eleganten Mechanismus zum Schutz der europäischen Hersteller vor der chinesischen Konkurrenz hat sich die EU ausgedacht: den Emissionsgrenzausgleichsmechanismus CBAM. Das steht für „Carbon Border Adjustment Mechanism“. Importe einer Reihe von Produktgruppen, darunter Stahl, werden an der Grenze besteuert. Die Höhe der Abgabe richtet sich danach, wie viel Emissionen im Herkunftsland bei der Produktion angefallen sind.

Stahlverband befürwortet Handelshürde. Andere Branchen sehen CBAM als neuen Bürokratie-Horror, denn ihre Zulieferer in China und anderswo müssen nachweisen, wie viel Emissionen in den Waren stecken. Deren Motivation dazu ist gleich null – und China sieht in CBAM vor allem ein neues Handelshemmnis. Doch die Wirtschaftsvereinigung Stahl befürwortet den Mechanismus – gerade, weil er für Importe aus China eine neue Hürde aufstellt.

CBAM ist zudem insofern fair, da es wirklich um den Ausstoß von Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen geht. Je sauberer die europäische Stahlbranche wird, desto höher die Ausgleichszahlungen an der Grenze. Auch das könnte ein Anreiz sein, schneller grün zu werden als die Konkurrenz. Finn Mayer-Kuckuk, Felix Lee

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