Hyperventilieren als Wahlkampfmethode
„Als ich Generalsekretär war, haben wir ein Fairness-Abkommen unter den demokratischen Parteien abgeschlossen“, sagte SPD-Chef Lars Klingbeil dem Handelsblatt. „Wir haben uns damals auf ein respektvolles Miteinander verständigt, wir haben vereinbart, keine Fake News und Desinformationen zu verbreiten.“
Geklappt hat das damals, im Bundestagswahlkampf 2021, nur beschränkt. Klingbeil und Kollegen diffamierten den Kandidaten der Union, Armin Laschet, in einem Kinospot (das Video mit den Matrjoschka-Puppen). Es gab Vorwürfe, die SPD verwende „negative campaigning“, um den politischen Gegner schlechtzumachen, in Deutschland eigentlich ein Tabu. Der Begriff der „Klingbeilisierung“ war geboren.
Trotz alledem schlägt der SPD-Chef ein solches Fairness-Abkommen auch für den kommenden Wahlkampf vor. „Das sollten wir jetzt wieder zwischen den Parteien verabreden. Eine solche Verabredung sollte auch beinhalten, dass wir Künstliche Intelligenz nicht einsetzen, um politische Konkurrenten zu diskriminieren“, sagte Klingbeil.
Doch das respektvolle Miteinander, das Klingbeil anspricht, ist gleich zu Beginn des Wahlkampfs der politischen Hyperventilation gewichen. In den vergangenen Tagen konnte man im Regierungsviertel und vor allem in den sozialen Netzwerken schon erahnen, wie die kommenden Wochen aussehen werden.
Da war zunächst der „D-Day“ der FDP, der Kampf um die Deutungshoheit des Ampel-Exits. Gerade in der SPD wählten sie drastische Worte: Arbeitsminister Heil warf den Liberalen „Bösartigkeit als Methode“ vor, Fraktionschef Mützenich bezeichnete Lindner als „ehrlosen Mann“.
Dann, als weiterer Aufreger am Wochenende, eine Meldung von Focus Online, die nach einigen Stunden spurlos von der Seite verschwand. (Für die Nachwelt gesichert wurde sie hier.) Der Inhalt: Die SPD plane einen „Frontalangriff auf Friedrich Merz“, eine „Angst-Kampagne in den sozialen Medien“. Hundert Frauen sollten verraten, warum sie Angst vor Merz haben. Die CDU wisse von der Kampagne, ein „Insider“ habe Focus Online erzählt, man sei „sehr stark sensibilisiert“. Von der SPD erwarte man nichts anderes.
Die Sozialdemokraten haben sich im Übrigen letzte Woche schon keinen Gefallen getan, als ihr Bundestagsabgeordneter Bengt Bergt ein KI-generiertes Video mit einem künstlich erzeugten Friedrich Merz in seiner Instagram-Story teilte. Das Video, das er nicht selbst erstellte, sei „klar gekennzeichnet“ gewesen (eingeblendet wurde der Hinweis „Achtung: Künstliche Inkompetenz“). „Wir verachten die Demokratie“, wurde Merz darin unter anderem in den Mund gelegt.
Eine Nummer kleiner ging es erst bei der Reaktion von Bergt, nachdem er von Mützenich gerügt worden war. Der Abgeordnete entschuldigte sich bei Merz und nahm zur Kenntnis, dass das Video „irreführenden Charakter haben kann“. Dass Medienbildung scheinbar auch im Bundestag eine Rolle spielen sollte, offenbarte er gleich dazu: Bergt verstand das Fake-Video nämlich nicht als bewusste Falschinformation, sondern vielmehr als „überspitzte Satire“.
Der große Gewinner ist die Aufregungsplattform X. Auf Elon Musks sozialem Netzwerk überschlagen sich dieser Tage die Anfeindungen, Beleidigungen und Shitstorms. Los ging es zunächst mit Bergt und der SPD, dann war Wirtschaftsminister Robert Habeck an der Reihe. Am Wochenende dann: erst Lindner und die Liberalen, dann wieder die SPD.
Der Teil des Regierungsviertels, der samstags auf X weilt, hatte ein neues Thema, Unionsanhänger suchten schnell Videos von Frauen zusammen, die zur Kampagne passen sollen. Der letzte Plottwist: ein langer Tweet des Werbers Raphael Brinkert, dem Kopf hinter der SPD-Kampagne von 2021 – und damit auch verantwortlich für das Matrjoschka-Video.
Brinkert schrieb auf X, keiner in der SPD und auch in seiner Agentur kenne die angebliche Kampagne. Dann wurde er grundsätzlicher: „Wir tun alle gut daran, dass wir in diesen Zeiten nachfragen, Rücksprache halten und bei allen Berichten schauen, welche Quellen zitiert werden“, schrieb er.
Was bleibt: Einen Wahlkampf, der wie in den USA auf „negative campaigning“ baut und Desinformation als Mittel nutzt, will in Berlin eigentlich keiner. Passiert er trotzdem? „Ich habe den vorhergehenden Post gelöscht, weil es sich bei dem Focus-Artikel offenbar um eine Ente gehandelt hat“, twitterte FDP-Vize Wolfgang Kubicki, nachdem er den Artikel geteilt hatte. „Ich bleibe aber dabei: Es wird ein schmutziger Wahlkampf.“ Gabriel Rinaldi