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Tiefgang

Lehren aus dem Ampel-Aus

Früher als erwartet, aber erwartet, ist gestern Abend die Regierung von uns gegangen. Was machen wir daraus? Auf diese Punkte achten wir in den kommenden Wochen.

Kanzler-Sound: staatstragend. „Gerade heute, einen Tag nach einem so wichtigen Ereignis wie den Wahlen in Amerika, ist solcher Egoismus vollkommen unverständlich“, sagte Scholz über Christian Lindners Beharren auf einer anderen Wirtschaftspolitik. Die Grünen äußerten sich gestern, vorbeugend auch schon in den vergangenen Tagen, nicht weniger im Sinne des Status quo. Wenn Trump, dann Ampel, Ehrensache: Die Welt wartet demnach auf Deutschland. Was auch gesagt gehört: Sie konnte zuletzt auch ganz gut ohne.

Scholz eröffnet seinen Wahlkampf: So ehrlich hat der Kanzler selten über die seit jeher dysfunktionale Koalition gesprochen, der er bis gestern Abend vorstand. So offensiv hat er selten so getan, als läge es nur am Störenfried FDP, dass wenig vorwärtsgeht. So viel Hässliches wurde nie öffentlich übereinander gesagt: Lindner sei immer „so beleidigt“ aufgetreten, erfuhr man am Abend von SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich. Lindners „egoistisches“ Verhalten gefährde „am Ende sogar unsere Demokratie“, urteilte Scholz.

So wenig hanseatisch – und so länglich auskunftsfreudig – hat man ihn zuletzt erlebt, als er sich um Angela Merkels Erbe bewarb. „Ich halte stets das Wohl unseres ganzen Landes im Blick“, sagte er gestern: Als Bundeskanzler muss das niemand betonen, als Wahlkämpfer kann es nicht schaden.

Es wurde Zeit: „Ich sehe mich zu diesem Schritt gezwungen, um Schaden von unserem Land abzuwenden“, sagte Scholz am Abend im Kanzleramt. Es folgte eine klare Schuldzuweisung: „Zu oft“ habe Lindner Gesetze „sachfremd blockiert“. Zu oft habe er „kleinkariert“ agiert. „Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen.“ Wenn Partner so übereinander sprechen, ist der Punkt längst vorüber, wo die Frage noch ist: Warum sind wir zusammen? Es war keine Kurzschlussreaktion des Kanzlers und seiner Partei: Jemand hat da seit langem Buch geführt.

Die Fahne hoch. Zum letzten Gefecht? Die FDP kam zu anderem Schluss aus der Lage in Welt und Land. Ihr kommt es gelegen, wenn das Ende als Entlassung aus dem Amte vonseiten des Kanzlers daherkommt und nicht als Aufkündigung der Koalition aus eigenem Willen. Lindner tat das seine, um die Initiative zum Bruch dem Kanzler zuzuschreiben. Trumps Sieg, wenn man ihn so lesen will, ist für die FDP eine Einladung zur Entschiedenheit – mehr als zum Kompromiss zulasten eigener Überzeugungen und Ideologie. Am Freitag kommt das nächste Politbarometer, inklusive einer Blitzumfrage ab morgen, die Aufschluss geben sollte, ob Lindner bloß um Ehre und Erbe kämpft oder auch um den Wiedereinzug in den Bundestag.

Der Kanzler erfindet sich neu: „Besonnenheit“ kam gar nicht vor in seinem Statement. Stattdessen die Erzählung, Lindner habe die Regierung an der Ukraine-Hilfe scheitern lassen. Aus dem Kanzleramt verlautete, der Überschreitungsbeschluss, den der Kanzler vorgeschlagen und verlangt habe, hätte vor allem zugunsten der Ukraine gehen sollen. Hätte, hätte, wäre, nice! Erste Lektion noch im banalsten entsprechenden Training: Der Konjunktiv ist nicht der Modus einer Führungskraft.

Scholz bleibt sich treu: Entscheidungen, Priorisierung sind weiterhin nicht die Sache seiner SPD. „Dieses Entweder-oder ist Gift!“, sagte Scholz: „Entweder Sicherheit oder Zusammenhalt, entweder die Ukraine unterstützen oder in Deutschlands Zukunft investieren“ – diesen Gegensatz aufzumachen sei „falsch und gefährlich“. Immer alles möglich, weil eh ein starkes Land: Insofern kommt ein baldiger Wahltermin dem Kanzler entgegen. Im September wäre den Wählerinnen und Wählern vielleicht schon klar, dass in der Politik, ebenso wie in ihrem eigenen Leben, Entscheidungen bedeuten, auch einmal Prioritäten zu setzen. Florian Eder