„Zweiter China-Schock“ trifft deutschen Maschinenbau
Die Krise der Autobranche verdeckt gerade ein zweites, nicht minder bedeutsames Drama der deutschen Industrie: Auch ihre zweitwichtigste Säule wankt, der Maschinenbau. Und zwar ebenfalls wegen China.
Der deutsche Maschinenbau hat im laufenden Jahr sehr viel weniger Aufträge erhalten als erwartet. Im September gingen die Bestellungen um vier Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat zurück. Die um Preisänderungen bereinigte Produktion werde auf das ganze Jahr gerechnet um rund acht Prozent unter dem Vorjahreswert liegen, schätzt der Branchenverband VDMA. Einen stärkeren Einbruch gab es zuletzt nur 2020, im Jahr des Corona-Ausbruchs. Auch 2022 und 2023 waren keine guten Jahre für die Branche. Für 2025 wird ein Produktionsrückgang von weiteren zwei Prozent erwartet.
Es handelt sich also nicht um eine konjunkturelle Delle, sondern um eine tiefgehende strukturelle Krise. Das sieht eine große Mehrheit der Branche so. Im Sommer ergab eine Umfrage des Branchenverbands, dass 61 Prozent der VDMA-Unternehmen sich auch in fünf Jahren in einer nur noch durchschnittlichen oder gar schlechteren Wettbewerbssituation sehen. Als einen ganz wesentlichen Faktor nennen sie: China.
Die chinesische Konkurrenz stößt auf den Weltmarkt vor. Das „Going Global“ der Chinesen führt zu einem Verdrängungswettbewerb auf Kosten der etablierten Anbieter aus Deutschland, Italien, Japan und den USA. Bis 2020 waren die Deutschen Weltmarktführer. Diesen Rang haben seither die Chinesen übernommen. „Die chinesische Maschinenbauindustrie hat sich in Qualität und Technologie rasant weiterentwickelt“, sagt Ulrich Ackermann, Leiter der Abteilung Außenwirtschaft im VDMA. „Und das zu wesentlich günstigeren Preisen.“ Damit eroberten die chinesischen Unternehmen nun den Weltmarkt.
Die Gründe für Chinas hohe Wettbewerbsfähigkeit:
1. Der chinesische Staat subventioniert die heimische Maschinenbauindustrie über direkte finanzielle Zuwendungen zum Aufbau neuer Fabriken. Sie erhalten aber auch indirekte Förderung etwa in Form günstiger Strompreise, leichtem Zugang zu Kapital und zu Landnutzung.
2. Die chinesische Führung betreibt massive Außenwirtschaftsförderung, ebenfalls häufig in Form sehr günstiger Kredite. Sie verschaffen den chinesischen Unternehmen gegenüber den deutschen Konkurrenten erhebliche Vorteile auf Drittmärkten.
3. Eine schwächelnde Binnennachfrage in der Volksrepublik selbst ist ein zusätzlicher Treiber für die neue Welle der Internationalisierung chinesischer Maschinenbauunternehmen. Um ihre Produkte loszuwerden, drängen sie ins Ausland.
Diese Kombination aus niedrigen Preisen, einer auf Marktanteile ausgerichteten Strategie, verbesserter Qualität und schnellen Lieferzeiten mache die chinesischen Maschinenbauer „zu unangenehmen Konkurrenten“, schreibt der VDMA in seiner Studie.
Einen „zweiten China-Schock“ nennt das der Ökonom Sander Tordoir vom Centre for European Reform. Der erste fand zu Beginn der Nullerjahre statt, kurz nach Chinas Beitritt zur Welthandelsorganisation, und traf damals vor allem die USA. Die amerikanische Schwerindustrie brach aufgrund des vielen billigen Stahls aus der Volksrepublik zusammen – mit Folgen, die bis heute im sogenannten Rust Belt zu spüren sind. Etwa eine Million Arbeitsplätze in der Industrie und eine weitere Million in den angrenzenden Branchen gingen verloren.
Der neue Schock betrifft Deutschland stärker, denn es geht um wertigere Sektoren. Die Maschinenbauer sind ein Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Die überwiegend mittelständisch geprägte Branche beschäftigt mehr als eine Million Mitarbeiter. Für Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Bayern ist sie essenziell. In China steckt der staatliche Bausektor in der Krise, die chinesischen Provinz- und Lokalregierungen lenken nun viel Kapital in Richtung hochwertiger Industrien um.
Der Maschinenbau laufe nun in China im „Hyperdrive“, so Tordoir. Die Umlenkung der gewaltigen chinesischen Industriekapazitäten erklärt auch viele andere aktuelle Phänomene: China überschwemmt den Weltmarkt mit günstigen Solarzellen, chemischen Vorprodukten oder Autos, die technisch mit der deutschen Konkurrenz mithalten können und zugleich sehr viel günstiger sind.
Welche Optionen bleiben den Maschinenbauern? „Wir können die Wettbewerbsverzerrungen durch den chinesischen Staat beklagen, daran ändern können wir aber nichts“, sagt Ackermann. Neben einer Stärkung der Innovationskraft plädiert er dafür, dass europäische Maschinenbauer enger kooperieren und so die gemeinsame Wettbewerbsfähigkeit erhöhen. Ackermann schlägt zudem vor, dass die deutschen Maschinenbauer gezielt Märkte auswählen, die es zu stärken und zu verteidigen gilt. Einige Märkte müssten allerdings auch aktiv verloren gegeben werden, um Ressourcen für die Fokusmärkte freizusetzen. Felix Lee
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