Wasserstoffnetz, die neue Eisenbahn
Die Genehmigung für den Bau eines Wasserstoff-Kernnetzes hat die Bundesnetzagentur in dieser Woche erteilt. Damit es auch zügig dazu kommt, solle der Bund sein Engagement beweisen, fordert Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger von den Freien Wählern. „Für den Erfolg der Wasserstoffwirtschaft ist es entscheidend, dass das Kernnetz und weitere Leitungen schnell umgesetzt werden“, sagte Aiwanger SZ Dossier. „Der Bund muss hier geeignete Investitionsanreize schaffen.“
Eine grüne Transformation der deutschen Industrie wird es ohne grünen Wasserstoff nicht geben. Damit hat das geplante Wasserstoffnetz das Potenzial zur Neuordnung der Wirtschaftskraft in der Republik, wie entlang der Autobahnen oder einst der Bahntrassen und ihren Knotenpunkten. Wenn solche gezielte Strukturpolitik bloß eine deutsche Stärke wäre.
Das Netz soll 9040 Kilometer lang sein und fast 20 Milliarden Euro kosten; die Kosten soll die Privatwirtschaft tragen, unterstützt mit Anreizen, wie Aiwanger sie fordert. Im kommenden Jahr sollen die ersten Kilometer in Betrieb gehen, 2032 soll alles fertig sein. Für knapp ein Drittel der Strecke ist allerdings noch nicht klar, wer sie baut und betreibt.
So stellen sich schon mit der Trassenführung Fragen, die in den politischen Streit hineinführen: Wer bezahlt? Welche Landstriche werden zu Gewinnern, wer verliert? Und wie passt sich die Wasserstofffrage in die nicht gerade widerspruchsfreie deutsche Energiepolitik ein? Fragen wir Aiwanger: einen der größten Wasserstoff-Fans unter den Wirtschafts- und Energieministern, bis zu dem Punkt, dass ausgerechnet Grüne ihm schon ein Zuviel davon vorwarfen.

„Das Wasserstoff-Kernnetz ist der erste Schritt, um das Henne-Ei-Problem des Wasserstoffhochlaufs zu überwinden“, sagte mir Aiwanger. „Planungsseitig“ – gemacht in seinem Haus – sei damit in Bayern „der Grundstein für wichtige Transportrouten und Grenzübergangspunkte gelegt“.
Aiwangers Koalitionspartner Markus Söder beklagte grobe Ungerechtigkeiten in der Planung des Kernnetzes, die die großen und wirtschaftsstarken Länder Bayern und Baden-Württemberg benachteiligten. Es seien alle Länder angeschlossen, sagten hingegen Habeck und Klaus Müller, der Chef der Bundesnetzagentur, so wie durch jedes Bundesland wenigstens eine Autobahn führe.
Anschlüsse ans Kernnetz müssen Länder, Kommunen und Unternehmen aber selbst in die Hand nehmen. Diese Wege sind in den süddeutschen Flächenländern deutlich weiter als in Bremen und im Saarland und auch weiter als in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, wo viel mehr Strecke laufen soll. Söder wendete die Debatte parteipolitisch und warf den Grünen die Umverteilung künftigen Wohlstands per Wasserstoff vor.
Aiwanger überlässt die Schärfe einstweilen der CSU. In der Detailplanung – bis zum kommenden Jahr – werde auch klar, wo noch Leitungen fehlen, um einen „flächendeckenden Anschluss der Regionen“ sicherzustellen, sagte Aiwanger, der gerade einen China-Besuch absolviert. „So können wir auch die Bedarfe möglicher industrieller Abnehmer in Gebieten ohne direkten Anschluss berücksichtigen.“ Seine These wäre, dass, wo Nachfrage herrscht und die Anreize stimmen, Netzbetreiber auch Versorgungsleitungen bauen würden.
Die Energiewende läuft nicht geradeaus. Sie braucht neue Gaskraftwerke und eine Modernisierung bestehender Anlagen, damit das Licht nicht ausgeht, wenn Wind und Sonne nicht liefern. Das geplante Kraftwerkssicherheitsgesetz sieht Gaskraftwerke vor, die spätestens nach acht Jahren auf vollen Wasserstoffbetrieb umstellen müssen.
Viele davon sollen nach Plänen der Bundesregierung im Süden stehen (im „netztechnischen Süden“) – in den Ländern, die von den norddeutschen Windparks weiter entfernt sind. Das soll unter anderem die Stabilität im gesamtdeutschen Stromnetz erhöhen. Für die neuen Gaskraftwerke wird also Wasserstoff benötigt, fernab vom geplanten Kernnetz wird es kaum welche geben.
„Der Aufbau von Kraftwerkskapazitäten im Süden Deutschlands ist für die Versorgungssicherheit besonders wichtig, das wird auch vom Bund anerkannt“, sagte der bayerische Wirtschaftsminister. Das zeige schon der „Vorschlag eines Südbonus für Kraftwerke im netztechnischen Süden“, den die Regierung im aktuellen Konsultationspapier zum geplanten Kraftwerkssicherheitsgesetz machte. Man kann Aiwanger so verstehen: Widersprüche zwischen der Trassenführung für den Wasserstoff und dem Ziel der Stromnetzstabilität werden in Berlin schon noch auffallen.