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Tiefgang

Wo Deutschland von Italien lernen kann

„Man darf nicht den Fehler begehen, die kriminellen Organisationen der Mafia als ein Problem innerhalb Italiens zu betrachten, denn die nationalen Grenzen sind inzwischen endgültig überholt“, sagte Giuseppe Lombardo. Er ist Anti-Mafia-Staatsanwalt im italienischen Reggio Calabria. Einer Region also, die laut Lombardo „das Herz und den Kopf“ der ’Ndrangheta beheimatet. Doch das Einflussgebiet der mächtigsten Mafia-Organisation erstreckt sich mittlerweile über den ganzen Globus.

Eine erst am Freitag veröffentlichte Erhebung des Bundeskriminalamtes (BKA) und der Landeskriminalämter stellte die Präsenz von insgesamt 933 dauerhaft in Deutschland lebenden mutmaßlichen Mitgliedern der „italienischen organisierten Kriminalität“ fest. So beziehen sich Sicherheitsbehörden auf die italienische Mafia. Die deutschen Behörden gehen davon aus, dass die ’Ndrangheta hierzulande mit 503 Mitgliedern die größte Mafia-Organisation ist. Wie bedeutend Deutschland ist, zeigt auch, dass die ’Ndrangheta wohl ihr einziges europäisches Kontrollgremium außerhalb Italiens in Deutschland unterhält, den Crimine di Germania.

„Ich sage Ihnen gleich, dass die ‘Ndrangheta nicht mehr nur eine mafiöse kriminelle Vereinigung ist“, sagte Lombardo bei einer Anti-Mafia-Konferenz der Grünen im Bundestag. Lombardos Anti-Mafia-Bezirksdirektion spielt im italienischen System eine ganz besondere Rolle und ist die Justizbehörde, die für die weltweiten Aktivitäten der kriminellen Vereinigung zuständig ist.

Die ’Ndrangheta sei vielmehr das Zentrum eines sehr breiten kriminellen Systems, das nicht mehr nur in Kalabrien operiert. „Wir haben vorhin die Zahlen gehört, die über die Präsenz der italienischen Mafia in Deutschland genannt wurden. Das sind Zahlen, die unserer Meinung nach extrem unter der tatsächlichen Zahl liegen“, sagte Lombardo. Damit widerspricht er recht deutlich der deutschen Statistik. Das Forschungsinstitut Eurispes schätzt laut Lombardo, dass sich das jährliche Geschäftsvolumen mafiöser Organisationen in Italien auf 220 Milliarden Euro beläuft. Davon entfallen sieben von zehn Euro auf die ’Ndrangheta.

Wie Markus Koths sagte, müsse man diesen internationalen Netzwerken auch Netzwerke der Polizei gegenübersetzen. Der BKA-Abteilungsleiter für schwere und organisierte Kriminalität wisse, dass die Mafia Deutschland nicht nur als Ruheraum sehe, sondern als Investitions- und Aktionsraum. Etwa im Drogenhandel, aber auch in legalen Branchen wie der Gastronomie, um die kriminellen Gewinne zu waschen. „Wir müssen von einem großen Dunkelfeld ausgehen“, sagte Koths. „Eine Dunkelfeldforschung wäre hier sicher angezeigt.“

Den typischen Mafioso im schwarzen Anzug und Lackschuhen, wie man ihn aus Filmen kennt, gebe es schon seit Jahren nicht mehr – vor allem nicht auf den höchsten Ebenen. „Deshalb ist es besonders schwierig, das Phänomen zu erkennen“, sagte Lombardo. Ebenfalls überholt sei die Vorstellung, dass jede Gruppe ihr eigenes Süppchen koche. Vielmehr habe sich eine „Makromafia“ gebildet, in der einzelne Gruppen Teil einer viel größeren operativen Organisation werden und jeder eine präzise Rolle hat, um auf allen Kontinenten zu operieren.

Wie die italienischen Behörden vorgehen? Das Wichtigste sei, die Fähigkeit und die Kraft aufzubringen, sie nie aus den Augen zu verlieren. „Für uns bedeutet die Zugehörigkeit zu einer mafiösen Vereinigung in Italien technisch gesehen die Begehung einer permanenten Straftat“, sagte Lombardo. Das bedeutet, dass die Ermittlungen auch permanent sein müssen, um juristisch reagieren zu können.

Zudem wählen die Ermittlerinnen und Ermittler einen systematischen, aber recht simplen Ansatz. „Um zu verstehen, ob es die ’Ndrangheta in diesem Gebiet oder in anderen Gebieten der Welt gibt, müssen wir die sogenannten Anomalie-Indikatoren prüfen“, sagte Lombardo. Diese Indikatoren für Mafia-Aktivitäten zeigen ungewöhnliche Phänomene in bestimmten Gebieten an, etwa übermäßig viel Bargeld unklarer Herkunft. „Glaubt mir, in 70 bis 80 Prozent der Fälle sind diese Anomalien Indikatoren für mafiosità. Das bedeutet, dass wir, wenn wir mit tieferen Überprüfungen beginnen, das System und damit die ’Ndrangheta aufdecken werden.“

Mittlerweile, sagte Lombardo, seien die Gruppen nicht mehr daran interessiert, immer reicher zu werden. Es gehe ihnen vielmehr um Macht. Macht, die Logik des Marktes zu verändern oder politische Entscheidungen zu beeinflussen. Gleichzeitig können sie aber nicht mehr in ärmeren Regionen investieren, in denen große Geldbeträge sofort auffallen würden. „Das kriminelle System investiert also seit Jahren nicht mehr in diesen Gebieten, nicht mehr in Italien, sondern anderswo.“

Sie wissen, dass Reichtum, vor allem wenn er illegalen Ursprungs ist, dort angelegt werden muss, wo man ihn nicht sehen kann. Ebendarum sei die ’Ndrangheta schon vor 50 Jahren nach Norditalien gegangen, in die Lombardei. Dort, in Italiens Finanzzentrum Mailand, habe sie sich seit jeher ausgebreitet. „Heute frage ich mich und Sie, welches die Lombardei Europas ist“, sagte Lombardo. Soweit die italienischen Behörden das beurteilen können, sei es das Herz Europas – und damit auch Deutschland –, auf das es die Gruppen insbesondere abgesehen haben.

Was Deutschland tut, um dagegen anzusteuern? „Wir haben einen extra Bereich für die digitale Finanzermittlung eingerichtet, wir haben unsere Geldwäschebekämpfung verstärkt und das muss natürlich flächendeckend passieren“, sagte Koths vom BKA. Zudem müsse man auch Kryptowährungen stärker in den Blick nehmen. Man brauche außerdem ein zentrales Immobilienregister und müsse das Transparenzregister weiter ausgestalten. Koths sprach sich auch für Mindestspeicherfristen und Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften wie in Italien aus.