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Tiefgang

Was tun, wenn Populisten die Preise verderben?

Ist die Brandmauer erst einmal gefallen – es wird nichts leichter dadurch: nicht der Versuch, konservative Politik zu gestalten, nicht die Koalitionsarbeit und auch nicht der eigene Wahlkampf. Davon kann Karoline Edtstadler erzählen.

Sie saß als ÖVP-Ministerin mit dem FPÖ-Chef Herbert Kickl in einer Regierung. Für sie persönlich gilt: nie mehr, das hat sie mehrfach öffentlich gesagt. In ihrer Partei gibt es aber einen starken Flügel, der lieber mit den „Blauen“ koalieren würde als mit der SPÖ, mit der es nach Umfragen auch reichen könnte (geschweige denn mit den Grünen wie derzeit).

„Wenn sich bei uns Herbert Kickl hinstellt und sagt, unter ihm kommen keine Migranten mehr und wir bauen die Festung Österreich, dann mag das für manche reizvoll klingen“, sagte Edtstadler, Bundesministerin für EU und Verfassung, im Interview. „Es ist aber völlig an der Realität vorbei und er hat selbst als Innenminister nicht umgesetzt, was er jetzt ankündigt. Herbert Kickl lebt von Problemen, anstatt sie zu lösen.“

Entzaubert hat ihn die Regierungsverantwortung nicht. Österreich wählt am 29. September den Nationalrat. In Umfragen liegt die FPÖ vor ÖVP und SPÖ.

Edtstadler, Spitzenkandidatin in Salzburg, versucht sich im Wahlkampf nicht über die anderen zu definieren. „Unabhängig davon, dass wir auch wieder einen Koalitionspartner brauchen werden, weil die Zeiten von absoluten Mehrheiten vorbei sind: Ich selbst nehme mir vor, nicht nur auf die anderen zu schauen, sondern zu kommunizieren, was wir geschafft haben, was wir gemacht haben und zu sagen, wofür wir stehen“, sagte sie.

Das ist im Straßenwahlkampf durch persönliche Ansprache leichter als in sozialen Netzwerken, wo auch in Österreich die FPÖ dominiert. Und es ist ermüdend: „Die Menschen sind müde der Krisen und der Bewältigung der Herausforderungen. Da ist es halt leicht, vermeintlich einfache Antworten zu geben, die aber nicht umsetzbar sind“, sagte Edtstadler. „Das ist es, was ich beschwerlich finde.“

Populisten verderben in der Politik die Preise. „Das Schwierige ist, die Menschen von dieser Wunschvorstellung, es gebe die einfache Lösung, wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzuführen“, sagte Edtstadler. „Das ist weder angenehm noch lustig und schon gar nicht attraktiv für jemanden, der gewählt werden will.“

„Aber es gibt keine Alternative dazu, realistisch in der Frage zu bleiben, was im europäischen Kontext möglich ist“, sagte sie zur Migrationspolitik, die auch in Österreich die Debatte dominiert.

Ein Paradox der Europapapolitik ist, dass nationale Regierungen sich für Brüsseler Entscheidungen zu 100 Prozent rechtfertigen müssen, sie aber nur im Rahmen ihres Gewichts, Geschicks und der Qualität ihres Personals mitbestimmen.

Österreich hat so gesehen viel gerissen in vergangenen Jahren. Manches zeigt sich erst jetzt, wie die Verschiebung des migrationspolitischen Konsensus von Offenheit zu Restriktion. Um es an zwei Ehemaligen festzumachen: Sebastian Kurz war einer der härtesten Gegenspieler Angela Merkels.

Edtstadler beschreibt es so: „Ich glaube, dass wir vielfach bewiesen haben, bereit und in der Lage sind, mitzudenken und mitzuwirken“, sagte sie. „Wir sind ein verlässlicher Partner. Wir sind sicher diejenigen, die auch keine Scheu davor haben, den Finger in die Wunde zu legen. Wenn Sie das Thema Migrationspolitik nehmen: Da war es zwischenmenschlich nicht unbedingt immer angenehm, diese teils harten Positionen zu vertreten“, sagte sie. „Aber man darf nicht vergessen, wir haben so den Kampf gegen die illegale Migration ganz hoch auf die europäische Agenda zurückgebracht.“

Edtstadlers Vorhaben und Wünsche für die gerade begonnene europäische Legislatur sind weniger kontrovers als einst etwa eine migrationspolitische Drittstaatenlösung. Oder der Zeitgeist war schneller.

Einmal geht es Österreich um den Binnenmarkt. „Unternehmen müssen immer noch Einzelgenehmigungen in allen Mitgliedstaaten herbeiführen. Zudem gibt es wahnsinnig viel Bürokratie, das ist nicht die Idee des Binnenmarkts“, sagte sie. Weniger Bürokratie – und weniger grüne Bürokratie, ist die Forderung.

„Der Kampf gegen den Klimawandel ist natürlich wichtig, und er ist ja die letzten fünf Jahre ganz hoch auf der Agenda gewesen. Man hat dabei aber die Einbindung der Wirtschaft, der Industrie und auch der Landwirtschaft vernachlässigt“, sagte Edtstadler. „Das Pendel muss wieder zurückschwingen in die Mitte.“

Für ein mittelgroßes Land heißt EU auch: Zugang zum Markt der Großen. Sie ist auch ein Mittel, um nationale Interessen wirkungsvoller zu vertreten, als müsste man es alleine tun. „Wir müssen sicherstellen, dass man uns in der Welt als Europäische Union wahrnimmt – und dass nicht große Staaten von Amerika bis China nur darauf schauen, was zum Beispiel große Staaten wie etwa Frankreich oder Deutschland machen“, sagte Edtstadler. „Deswegen ist es essenziell, nach außen hin geeint zu handeln.“