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Tiefgang

So könnte es in Frankreich weitergehen

Nach der anfänglichen Erleichterung über das Wahlergebnis der französischen Parlamentswahl folgt jetzt ein Gefühl der incertitude, der Unsicherheit in Frankreich und Europa über die nächsten Schritte. Präsident Emmanuel Macron hat mit hohem Einsatz gespielt und sicher nichts dazugewonnen, aber die Verhältnisse hat er wieder einmal kräftig aufgemischt.

Mit 182 Sitzen für das Linksbündnis Nouveau Front Populaire, 168 für das Macron-Bündnis Ensemble und 143 für den Rassemblement National ist die Nationalversammlung nun in drei verschiedene Blöcke unterteilt. Eine Mehrheit von 289 Sitzen scheint in weiter Ferne. „Die Ergebnisse bestätigten die Dreiteilung der französischen Wählerschaft in einen linken Block, einen zentristischen Block und einen rechtsextremen Block“, sagte Célia Belin, Leiterin des Thinktanks European Council on Foreign Relations (ECFR) in Paris.

Da kein Block die absolute Mehrheit erlangt hat – auch nur annähernd – könne keiner die Legitimation zum Regieren beanspruchen (was sie nicht daran hindert, das zu tun). „Frankreich geht in eine ‚dritte Runde‘ seiner Parlamentswahlen, da die Verhandlungen nun beginnen und Tage oder Wochen dauern können“, sagte Belin. Neuwahlen sind für ein Jahr ausgeschlossen. Vier Dinge, die jetzt auf das Land zukommen.

Der Präsident hat Zeit. Es ist Praxis, dass der Premierminister der größten Fraktion angehört, doch Macron allein entscheidet qua Verfassung darüber, wen er ins Amt bringt. Das Parlament wahrt seine Rechte, indem es der Regierung mit absoluter Mehrheit das Misstrauen aussprechen kann. Premierminister Gabriel Attal reichte gestern seinen Rücktritt ein, was Macron für „die Stabilität des Landes“ ablehnte. Die Regierung kann vorerst geschäftsführend im Amt bleiben. Der Präsident wird auf einen Vorschlag aus dem linken Lager warten und beobachten, wie sich die Parteien verhalten.

Es wird Kompromisse geben müssen. Das wird eine Herausforderung, nicht zuletzt für Macron. Derzeit ist unklar, wen das Linksbündnis aufstellen könnte. „Wir müssen in der Lage sein, innerhalb einer Woche eine Kandidatur vorzulegen“, sagte Olivier Faure, Vorsitzender der sozialistischen Partei. Den Regierungsanspruch angemeldet haben sie schon jetzt. Eine Koalition wäre ebenfalls denkbar. Doch was in Deutschland Normalität ist, wäre in der Fünften Republik beispiellos und wurde bereits – besser: bislang – sowohl von Macron als auch der Linken zurückgewiesen.

Minderheitsregierung? Sie wäre denkbar, mit gänzlich offenen Kräfteverhältnissen. „Bisher hat Präsident Macron nie seine Bereitschaft oder Fähigkeit gezeigt, über sein politisches Programm zu verhandeln, um eine Koalition zu bilden, was wahrscheinlich zu einer gespaltenen Koalition mit gegensätzlichen Ansichten zu Schlüsselthemen wie Renten und Einwanderung führt“, sagte Belin. Paris drohten Jahre der politischen Instabilität. Stabilität aber ist halt eine spießige Obsession, vom Standpunkt eines kreativen Zerstörers aus gesehen.

Paradox des Wahlrechts. „In einem Frankreich, das so rechts gewählt hat wie noch nie, wendet sich Macron nun der Linken zu, um eine Regierung zu bilden“, schrieb die konservative Tageszeitung Le Figaro. Fakt ist: Lediglich das Mehrheitswahlrecht und das Zusammenstehen der anderen Parteien haben einen Sieg des Rassemblement National verhindert. Am Sonntag waren 32 Prozent aller abgegebenen Stimmen für die Le-Pen-Partei, 26 für das Linksbündnis und 23 für Ensemble. „Das Bündnis der Schande und die Wahlabsprachen, die Macron mit linksradikalen Gruppen getroffen hat, berauben die Franzosen heute Abend einer Politik des Aufschwungs, die sie mit großer Mehrheit befürwortet hatten“, sagte Jordan Bardella, der nun Fraktionschef in Brüssel statt Premier in Paris wird.