Wie Kommunen raus aus dem Dispo wollen
Seit gut zweieinhalb Wochen liegt ein Vorschlag auf dem Tisch, um ein Problem zu lösen, über das Bund und Länder seit Jahren verhandeln. Es geht darum, zahlreiche Kommunen von ihren Altschulden zu befreien. In Städten wie Hagen, Mülheim an der Ruhr oder Oberhausen führen sie dazu, dass Investitionen kaum möglich sind, zu erdrückend ist die Schuldenlast. Die Kämmerer hängen am Tropf: Investieren können sie nur, wenn sie Fördermittel bekommen.
Was das bedeutet, zeigt das Stadtbild: Schlaglöcher, marode Spielplätze und Turnhallen. Letzten Endes steckt dahinter auch die Frage, wie gleichwertig die Lebensverhältnisse in Deutschland sind.
Besonders groß ist die Not im Ruhrgebiet. Eine Region, die lange von Kohle und Stahl profitierte, wo aber infolge des Strukturwandels Arbeitsplätze und Gewerbesteuereinnahmen wegbrachen. Die Kämmerer nahmen sogenannte Kassenkredite auf – für laufende Kosten: Leben im Dispo. Der Schuldenstand erhöhte sich. Als die Zinsen niedrig waren, war das Risiko überschaubar, doch das hat sich geändert. Die Frage ist also: Wie kommen sie runter von den Schulden?
Laut Grundgesetz zuständig für die Kommunen und ihre Finanzen sind die Bundesländer. Betroffen sind neben NRW auch Rheinland-Pfalz, das Saarland und Hessen. Allerdings haben all diese Länder bereits eigene Vorstöße unternommen, um der Sache Herr zu werden. Anfang Juni nun schlug NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst vor, Berlin und Düsseldorf könnten die rund 21 Milliarden Euro schwere Last untereinander aufteilen. Jede Seite würde jährlich 250 Millionen zur Tilgung der Altschulden auszahlen. Gestreckt über 30 Jahre steuerten Bund und Land so jeweils 7,5 Milliarden bei.
Neu ist der Vorschlag nicht. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schlug eine Kooperation von Bund und Ländern bereits 2019 vor, da war er noch Finanzminister. Die Ampel hat sich das Thema ebenfalls vorgenommen und in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben. Und im Frühjahr schlug das Bundesfinanzministerium (BMF) eine solche hälftige Übernahme der Schulden in einem Eckpunktepapier vor. Ein Sprecher des BMF verweist jedoch darauf, dass NRW zwar seine Bereitschaft für die Entschuldung der Kommunen erklärt habe. „Konkrete Eckpunkte, wie das Landesprogramm aussehen soll, sind damit bislang nicht verbunden.“ Heißt: Auch NRW hat noch Hausaufgaben zu erledigen.
Bis zum Ende der Legislaturperiode im Bund bleibt allerdings nicht mehr viel Zeit. Zumal im Juli auch noch die parlamentarische Sommerpause im Kalender steht, der Bundestag also bis September nicht mehr zusammenkommt. Am letzten Tag vor den Ferien, dem 5. Juli, findet im BMF eine Fachkonferenz zum Thema Kommunalfinanzen statt. Laut Programm, das SZ Dossier vorliegt, soll dabei auch über die Altschuldenfrage diskutiert werden. Der Grünen-Politiker Felix Banaszak fordert aber nicht nur Beratungen, sondern Ergebnisse: „Ich erwarte, dass der Finanzminister zu dieser Gelegenheit einen substanziellen Vorschlag für eine Beteiligung des Bundes an der Entschuldung mitbringt“, sagte er SZ Dossier.
Doch selbst wenn der Finanzminister einen solchen Vorschlag aus dem Hut zaubert, bleiben Probleme: Damit der Bund in die Entschuldung einsteigen kann, muss das Grundgesetz geändert werden. Dafür wiederum braucht es die Zustimmung der Union im Bundestag und der Länder im Bundesrat. Und warum sollte Bayern einen Kompromiss abnicken, bei dem der Bund Milliarden nach Düsseldorf überweist, aber keinen Cent nach München?
Dementsprechend verhalten ist die Zuversicht im BMF: „Trotz mehrerer Gespräche ist zum aktuellen Zeitpunkt nicht erkennbar, dass die erforderlichen Mehrheiten im Bundesrat und Bundestag erreicht werden können“, sagte ein Sprecher. Die Gespräche seien aber noch nicht abgeschlossen. Felix Banaszak, Bundestagsabgeordneter aus Duisburg, appellierte an die Solidarität unter den Bundesländern. „Mancher Ministerpräsident sollte beachten, dass sein Land vor einigen Jahrzehnten noch zu den Nehmerländern im Länderfinanzausgleich gehörte – unterstützt unter anderem aus Nordrhein-Westfalen.“