Staatsbesuch mit Emotionen
Er hat es wieder gesagt: „Europa kann sterben.“ Emmanuel Macron ist in Berlin angekommen, auf dem Demokratiefest wird er mit Standing Ovations begrüßt. Gut, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier läuft neben ihm, „Standing Ovations für die beiden Präsidenten“, sagt die Moderatorin pflichtschuldig, doch gäbe es sie ohne Macron?
Wie es denn ums deutsch-französische Verhältnis bestellt sei, will sie von Steinmeier wissen, es sei ja „nicht immer eitel Sonnenschein“. Steinmeier wäre eine Frage an Macron („Wie kommt es, dass Sie heute morgen so gut aussehen?“) lieber gewesen, scherzt er, sei's drum. Der Staatsbesuch, der erste seit 24 Jahren, sagt Steinmeier, sei „ein Zeichen für die Tiefe der deutsch-französischen Freundschaft“.
Macron findet das auch, man feiere hier nicht nur 75 Jahre Grundgesetz, auch 35 Jahre der deutschen Wiedervereinigung. Damit sei der Grundstein für die Wiedervereinigung Europas gelegt worden. Es sei in den letzten Jahrzehnten oft geschrieben worden, das deutsch-französische Verhältnis stottere, sei lahmgelegt. „Das stimmt nicht“, sagt Macron.
Drei Tage ist Macron in Deutschland, heute besucht er das Holocaust-Mahnmal, dann reist er weiter nach Dresden zum Schloss Moritzburg. Er wird das Fraunhofer-Institut für Photonische Mikrosysteme besuchen und über Künstliche Intelligenz sprechen, und dann weiter nach Münster reisen.
Den Liebesbekundungen zum Trotz ist das deutsch-französische Verhältnis heute weniger eng, als es schon einmal war. Das liegt am Verhältnis zwischen Macron und Kanzler Olaf Scholz (SPD), das trotz eines gemeinsamen Fischbrötchenessens in Hamburg, bei dem eher unvorteilhafte Bilder entstanden, und einem Dinner in der französischen Brasserie „La Rotonde“ (garantiert fischbrötchenfrei!) noch immer eher kalt ist.
Es liegt aber auch daran, dass die Interessen der Länder derzeit so weit auseinanderliegen. Beispiel: mögliche Strafzölle gegen chinesische E-Autos, die den Markt derzeit fluten. Frankreich ist dafür, Deutschland als Export- und Autonation dagegen. Oder die Aufnahme gemeinsamer Schulden in der Union: Frankreich ist dafür, Deutschland dagegen.
Trotz aller Unterschiede eint sie aber auch einiges. Die Sorge vor den Rechten zum Beispiel, in Frankreich führt der Rassemblement National (RN) laut Umfragen vor Macrons Bündnis bei der Europawahl. „Europa kann sterben“, sagt Macron vor dem Bundeskanzleramt noch einmal, genau wie Ende April an der Sorbonne. Die EU gerate unter Druck, doch ohne die EU kein Europaparlament, kein Migrationsdeal, kein Green Deal, sagt Macron. Ohne die EU hätte man die Ukraine Russland überlassen müssen. „Kriegstreiber“, ruft einer, als die beiden Präsidenten später über das Fest gehen.
Zurück zum Dialogforum. Die größte Herausforderung, sagt Macron, sei die Dekarbonisierung des Kontinents bei gleichzeitigem Wirtschaftswachstum. Das brauche man für die sozialen Sicherungssysteme. Ohne Wachstum kein Wohlstand, ohne Dekarbonisierung keine Zukunft. Kein Widerspruch des Bundespräsidenten.
Eine grundsätzliche Anmerkung zum deutsch-französischen Verhältnis hat Steinmeier aber: „Das große Missverständnis ist immer, dass es die Erwartung gibt, dass die europäischen Länder sich von vornherein in allem einig sein müssen.“