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Tiefgang

Die kleinen Bundestagswahlen von Berlin

Wie führt man einen Wahlkampf mitten in der Legislatur? „Es war anfangs sehr hektisch, denn wir mussten ja am 19. Dezember ganz schnell reagieren und einen Wahlkampf auf die Beine stellen“, sagte die Abgeordnete Ottilie Klein, türkisfarbener CDU-Schal, gestern am Rande einer Wahlkampfveranstaltung am Wittenbergplatz.

Im Dezember verkündete das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung, die Bundestagswahlen 2021 zumindest teilweise zu wiederholen. Das Ergebnis: viel Arbeit zwischen den Jahren, um dann im Januar plakatieren zu können. „Das ist der kürzeste Wahlkampf aller Zeiten. Ich glaube, das ist kaum jemandem bewusst“, sagte Klein, die im vergangenen Jahr zur Berliner CDU-Generalsekretärin aufstieg.

Und konkret? Enge Zusammenarbeit mit dem Konrad-Adenauer-Haus, klassische Wahlkampfplanung, Abstimmung der Messages. „Wir sind schnell ins Wahlkampf-Feeling gekommen mit dem Beginn der Plakatierungen“, sagte Klein. Das sei ein Startzeichen gewesen, auch für Bürgerinnen und Bürger.

Am Sonntag wird in der Hauptstadt wieder gewählt. In 455 von 2.256 Berliner Wahlbezirken sind 550.000 Berlinerinnen und Berliner zur Stimmabgabe aufgerufen. Das Ergebnis wird die Machtverhältnisse im Parlament nicht verändern, allerhöchstens werden – je nach Ergebnis und Wahlbeteiligung – zwei bis drei Mandate zwischen den Parteien neu verteilt.

Berlin aber kann ein Stimmungsbild liefern, so die Hoffnung oder Befürchtung, wen man eben fragt. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann ist besonders erpicht auf die Erwartung, die CDU könne von der Königin der Umfragen zur Siegerin der kleinen Bundestagswahl werden. Worum es gehe? Nicht um die Vorstellung, den Herbst 2021 zu simulieren. Sondern um ein Signal an die Ampel, „nicht mehr, nicht weniger.“

Was war passiert? Im Herbst 2021 fanden viele Wahlen gleichzeitig statt, zu viele für die überforderte Senatsverwaltung: Wahlen zu Bezirksverordnetenversammlungen, Abgeordnetenhaus und Bundestag, ein Volksentscheid. Der Berlin-Marathon legt traditionell auch ohne politisches Begleitprogramm die halbe Stadt lahm und so kam es also zu fehlenden Stimmzetteln, langen Wartezeiten, Missachtungen der Öffnungszeiten und in letzter Konsequenz zu einer angeordneten Teilwiederholung der Wahl.

Laufen lassen oder die Mängel heilen? Das Verfassungsgericht in seiner Weisheit entschied: erst lange das eine, dann wenig vom anderen.

Gewählt wird in allen zwölf Bundestagswahlkreisen. Doch während in Lichtenberg nur etwas mehr als vier Prozent der Unterwahlbezirke betroffen sind, sind es in Charlottenburg-Wilmersdorf 42 Prozent. Es gibt einige Wahlkreise, in denen prominente Politiker ihr Direktmandat verlieren könnten, etwa Michael Müller (er firmiert noch, einmal noch, auf den Wahlzetteln als Regierender, eine der Absurditäten des zu wiederholenden Wahlgangs) oder Kevin Kühnert, auch von der SPD. Beide wären durch die Landesliste abgesichert, aber der Nimbus, der Nimbus.

Knapper wird es dagegen für sieben Berliner Abgeordnete, darunter Ana-Maria Trăsnea (SPD), Nina Stahr (Grüne) und auch Klein. Sie könnten ihre Listenmandate und damit den Job verlieren, wenn sich die Berliner Zweitstimmen ihrer Partei oder aber die Wahlbeteiligung verändern. Und auch einige Nicht-Berliner Listenabgeordnete wie Jürgen Hardt (CDU) könnten noch aus dem Parlament fliegen.

Ottilie Klein, die für die CDU im Wahlbezirk Berlin-Mitte antritt, hat die verschiedenen Szenarien (hier eine Übersicht mit fast allen Möglichkeiten) explizit nicht durchgerechnet. „Ach, wissen Sie, ich kämpfe um jede Stimme und gebe alles“, sagte sie beim Wahlkampftermin gestern.

Da freut sich der Generalsekretär: „Ich konzentriere mich darauf, dass wir das beste Ergebnis für die CDU holen“, sagte Klein. Dass ein besseres Ergebnis ihrer Partei unter Umständen auch zu weniger Sitzen führen kann, ist eine der Absurditäten, die bei ihrem Haustürwahlkampf – die SZ-Kollegen Markus Balser und Boris Herrmann haben sie für die heutige Ausgabe begleitet – kaum zu vermitteln war.

Mandat oder nicht: Currywurst gab’s auf jeden Fall zum Ende des Einsatzes am Wittenbergplatz, und Linnemanns Gesellschaft noch dazu.