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Tiefgang

So groß ist die Angst vor den Bauern

In Brüssel stürzten Bauern gerade gestern ein Stahlarbeiter-Denkmal an der Place Luxembourg, am Tag des Gipfels, sehr rabiat. Die EU-Handelspolitik ist das nächste Opfer von Bauernprotesten, diesmal der französischen.

In Deutschland war es der Bundeshaushalt, der angepasst werden musste, obwohl Bauernfunktionären seit Jahren klar ist, dass die Dieselsubventionen auslaufen. Das Beispiel Niederlande, wo eine neue Bauernpartei einen Blitzaufstieg hinlegte (der aber auch schon wieder gebremst ist), muss Europa ziemlich erschreckt haben.

„Ich halte die Handelspolitik der EU für die strategische Verortung Europas in der Welt für von größter Bedeutung“, sagte der Bundeskanzler in seiner Pressekonferenz am Donnerstag nach dem Sonder-EU-Gipfel. Er wünsche sich mehr davon, und speziell eines: mit Mercosur, mit Südamerika. Es bestand einmal die Hoffnung, die Verhandlungen noch vor der EU-Wahl abzuschließen.

Es entstünde eine Freihandelszone für rund 800 Millionen Menschen auf den beiden Kontinenten. Ein Zeichen gegen die weltweite Mode des Protektionismus und eines für ein handlungsfähiges Europa. Dann aber protestierten Frankreichs Bauern.

Der Präsident hat entschieden, ein Handelsabkommen, das mit einer weiteren Öffnung des EU-Binnenmarktes für landwirtschaftliche Produkte aus Südamerika einhergeht, sei nicht mehr drin: „Wir brauchen Klarheit zu Mercosur, wir möchten, dass das Abkommen in der derzeitigen Form nicht unterschrieben wird“, sagte Emmanuel Macron am Dienstag in Schweden.

„L'état c'est moi, mes problèmes c'est toi“, ätzte ein EU-Diplomat über die allerdings nicht nur in Paris verbreitete Unart, die eigenen innenpolitischen Probleme zu vergemeinschaften. Es entsteht damit auch ein neuer deutsch-französischer Konflikt: Gerade für die deutsche Wirtschaft mit ihrem heutzutage risikobehafteten Chinageschäft wäre ein Abkommen eine hervorragende Nachricht. Frankreich hat erst vor wenigen Monaten eine handelspolitische Abwehrmaßnahme durchgesetzt, die deutschen Interessen ebenso wie dem hinter verschlossenen Türen auch deutlich artikulierten Willen der Bundesregierung entgegenlief, eine Untersuchung, ob China Elektroautos zu Dumpingpreisen in den europäischen Markt drückt.

Wie’s weitergeht? Der Apparat der EU-Kommission ist nicht willens, sich von Macrons Bauern den zum Greifen nahen Erfolg einer über 20-jährigen Verhandlung nehmen zu lassen. Wollte man es hart spielen, man könnte das Abkommen als rein in EU-Zuständigkeit fallend aufsetzen und zur Abstimmung stellen. Dann reicht eine qualifizierte Mehrheit, für die es vor dem französischen Stopp wohl gereicht hätte. Was allen Beamten aber klar ist: So ein Vorgehen müsste aber den Segen, und nicht nur den stillschweigenden, der Kommissionsspitze haben.

Nun ist aber die Zeit nicht für Draufgängertum: Ursula von der Leyen will eine zweite Amtszeit, und noch in diesem Monat wird sie es auch endlich sagen. Einem der mächtigsten Kurfürsten einen so öffentlich geäußerten Wunsch abzuschlagen und das Mercosur-Abkommen durchzuziehen, scheint da nicht sehr opportun, da brauchen wir keinen EU-Botschafter als Quelle.

Et alors? Die Verhandlungen gehen weiter und vielleicht wird sogar ein Ergebnis erzielt, das man aber nicht so nennen darf, jedenfalls nicht auf Französisch, und dann ist vielleicht einmal ein besserer Moment. Der Bundeskanzler betont recht gleichförmig, aber hier ist klar, worauf sein Schwerpunkt liegt: „Es wäre eine gute Botschaft, wenn wir irgendwann sagen können, wir haben einen vereinbarten Text“, sagte er in Brüssel. „Den müssen wir dann politisch noch durchsetzen, aber da wäre ich zuversichtlich, dass es gelingt“, sagte Scholz.

Wann? Irgendwann. Irgendwann wird schließlich sicher auch das Handelsabkommen mit Kanada von allen EU-Staaten ratifiziert. An wem es hängt? Die Älteren erinnern sich: an Deutschland.