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Tiefgang

Wie Orbán der EU auf der Nase tanzt

Ungewöhnlich genug, dass EU und NATO zur gleichen Zeit das exakt selbe Problem haben. Wenig naheliegend ist es, dass ein Alliierter, ein Mitglied, das Problem ist und einer überwiegenden Mehrheit in beiden Bündnissen im Weg steht; noch dazu ein Land, das sowohl für seine Sicherheit auf die Partner angewiesen ist, als auch Geld aus jenem EU-Haushalt heraus bekommt, gegen den es sein Veto einlegt.

Die Rede ist von Ungarn.

Premierminister Viktor Orbán hat zwar zuletzt in der Frage eines schwedischen NATO-Beitritts Bewegung signalisiert, betont gleichzeitig aber die Unabhängigkeit seines Parlaments, das den Schritt ratifizieren muss. Eine Einigung auf eine Umverteilung von Mitteln in der zweiten Hälfte der siebenjährigen EU-Haushaltsperiode war schon im Dezember an Ungarns Veto gescheitert. Kurz vor einem EU-Sondergipfel in der kommenden Woche aber erkennen Diplomaten mehrerer Länder diesbezüglich keinerlei Fortschritt. Ein Kompromiss bei EU-Hilfen für die Ukraine ist auch nicht in Sicht.

„Orbán wird nicht noch einmal eine Tasse Kaffee trinken“, sagte ein Diplomat. Im Dezember war Orbán kurz aus dem Gipfel-Raum gegangen, um den anderen Einstimmigkeit zu ermöglichen. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte das angeregt; auch diesmal wird es auf ihn ankommen: persönlich und als Regierungschef des größten Nettozahlers. Konflikte mit Ungarn haben sich zuletzt nur mit Geld lösen lassen.

So schaut's aus: EU-Länder wollen sich in freier, selbstbestimmter, souveräner Entscheidung gegen die größte Bedrohung ihrer Sicherheit und ihres Wohlstands seit Generationen wehren. Aber zunächst und zu diesem Ziel haben sie es nicht mit Wladimir Putin zu tun, sondern müssen Orbán an ihre Seite bringen (und Robert Fico, den sozialdemokratischen Premier der Slowakei.)

Die Hoffnung ist, dass beim Sondergipfel wenigstens eine Einigung für das laufende EU-Haushaltsjahr zustande kommt und die nächsten Jahre auf Wiedervorlage kommen; nicht unwahrscheinlich ist nach Einschätzung von beteiligten Beamten aber, dass die EU-Staaten auf je bilateralem Weg der Ukraine aushelfen müssen, um Ungarns Veto zu umgehen. Das kostet Zeit, Mühe, Vertrauen und zehrt am Rest, auf den die Geduld vieler Regierungen in Europa geschrumpft ist.

Allein für Orbán ist es eine Gewinnertaktik: Seine Tasse Kaffee bekam er mit der Freigabe eingefrorener Mittel in Höhe von zehn Milliarden Euro vergütet. Die Frage ist heute, was damit eigentlich erreicht wurde. Diesmal könnte es noch teurer werden – es steht, zumindest im Ergebnis, wenn nicht explizit, der ganze Rechtsstaatsmechanismus auf dem Spiel, der es der EU-Kommission erlaubt, bei Verstößen Geld zurückzuhalten.

Er verspüre ab und zu den Wunsch, auf den Tisch zu hauen, sagte Scholz in Bezug auf seine Koalitionspartner der Zeit von gestern. In Brüssel hat er es noch nicht getan, und auch sonst fand sich niemand, der Orbán in die Schranken wiese.

Wie das gehen könnte? Artikel 7, sagte Jean Asselborn gestern Abend in Berlin bei einem Gulasch, der frühere Außenminister Luxemburgs und größte Fan des Prozesses, der zum Stimmrechtsentzug führen könnte, wenn alle anderen EU-Staaten das wollten. Sie taten es bislang nicht. Was, wenn das so bleibt?

Deutsche Unternehmen, Autohersteller vorneweg, investieren weiter in Ungarn, wo Standortfaktoren günstig und die Segnungen des EU-Binnenmarkts spürbar sind. Ein Regierungsvertreter eines EU-Landes glaubt, es wäre ein Argument, das Orbán hören würde, wenn ihm Investoren glaubhaft versichern, dass der Rechtsstaat keine zu vernachlässigende Größe ist und dass sie nicht Putins Vorposten in der EU mitfinanzieren wollten.

Vielleicht öffnet sich gerade ein Fenster, nach den deutschen Demos gegen Rechtsextreme und damit gegen Dexit-Pläne und Putins Freunde überhaupt. Vielleicht sind es auch eher gute Vorsätze, die Wolfram Hatz, Präsident des Verbandes der bayerischen Wirtschaft, bei einem glanzvollen Neujahrskonzert in Berlin am Mittwoch fasste, und mal sehen, ob sie auch für die Außenwirtschaft gelten.

„Wir dürfen nicht zulassen, dass unser Land von Hetzern, Faktenleugnern und Demokratiefeinden gespalten wird“, sagte Hatz im Konzerthaus am Gendarmenmarkt. „Ich kann Ihnen versichern: Wir werden all jenen politischen Kräften zur Seite stehen, die sich für Demokratie und soziale Marktwirtschaft starkmachen.“