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Tiefgang

Die deutsch-französische Freundschaft auf dem Prüfstand

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Nils Minkmar

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Am 22. Januar 1963 wurde im gleichnamigen Palast in Paris der Élysée-Vertrag unterzeichnet. Der Journalist Georg Stefan Troller, immer noch munterer Beobachter der politischen Gegenwart, war damals schon dabei.Er fluchte, weil es im und um den Palast keinen Parkplatz gab. Aber der historische Gehalt des Augenblicks blieb ihm nicht verborgen. Deutschland und Frankreich hatten ja schon zuvor eine Art Freundschaft entwickelt: Die Nazis kamen mit den Franzosen des Vichy Regimes, das zuletzt im Schloss von Sigmaringen ihre letzte Zuflucht fanden, gut aus. Auch die Judenverfolgung geschah in deutsch-französischer Kooperation. Doch mit dem Élysée Vertrag wurde alles anders: Beide Länder stellten ihre Zukunft unter das Versprechen der europäischen Einigung, der liberalen Demokratie und der Menschenrechte. So begann es. Troller wollte danach noch ein Statement von De Gaulle aufnehmen, aber der mochte nicht, wenn ihm jemand, zumal ein Journalist auf den Leib rückte. Mit seinen ewig langen Armen scheuchte er Troller fort.So begann es. Und wie läuft es heute?Auf sehr vielen Feldern ist die Kooperation intensiv: Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur, Gesundheit – da können wir gar nicht mehr ohneeinander. Auch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Regionen und Kommunen ist unvergleichlich besser geworden. Aber auf dem Feld der großen Politik, zwischen der Macron-Regierung und der Ampel, ist die Lage unübersichtlich. Da spottet der französische Verteidigungsminister Sebastien Lecornu über die Weigerung der Deutschen, Taurus-Raketen an die Ukraine zu liefern und erklärt voller Stolz, wenigstens würde das französische Material auch etwas taugen. Eine deutliche Spitze gegen die Anfälligkeit der deutschen Leopard-2-Panzer.

Die jüngsten Belehrungen des Bundeskanzlers über das richtige Engagement für die Ukraine scheint für Verärgerung gesorgt zu haben. Beide Regierungen stecken in je eigenen Problemen, doch wenn man sie sich genauer besieht, sind es dieselben Sorgen: Soziale Medien, die nicht reguliert sind und die Öffentlichkeit desinformieren, so die Gesellschaft destabilisieren. Seltsame, unpolitische Protestbewegungen mit hohem Gewalt- und Hasspotential. Anwachsen der extremen Parteien. Eine zunehmende Spaltung in wenige Superreiche und zu viele Besitzlose. Anwachsen von Rassismus und Antisemitismus.

Und eine strategische Gefahr, nämlich die Lösung der USA von der europäischen Sicherheitsarchitektur und ein Aufstieg der Feinde der offenen Gesellschaft. Bislang wurschteln die Regierungen beider Nationen jeweils in ihrer Ecke, als hätten nur sie solche Sorgen. Vereint sind diese Herausforderungen zu lösen, alleine nicht. Viel wurde erreicht. Aber wir brauchen viel mehr.

In Wahrheit sind unsere europäischen Nationalstaaten überfordert und auch darin liegt ein Grund für den Frust der Wählerinnen und Wähler. Große Wahlkämpfe, große Reden – aber dann entfalten so eine Ampel, so ein Macron auf internationaler Bühne nur begrenzte Wirkung. Möchte man etwa die digitalen Plattformen regulieren oder bei der Entwicklung der künstlichen Intelligenz mitspielen, dann kommen die Ressourcen dafür eher aus der Kraft der Europäischen Union.

Ähnliches gilt für den Klimawandel oder den Kampf gegen Steuerflucht. Der Nationalstaat ist zugleich zu abgehoben und zu winzig für diese Zeit. Die meisten Menschen leben mit dem Bezugsrahmen ihrer Region, sind Saarländer, Elsässer, Neapolitaner oder Hanseaten. Dann ist Brüssel wichtig, aber diese Ebene dazwischen, der Nationalstaat, der ist einfach zu übermächtig. Was auch ein Problem der Medien ist, denn die sind noch national organisiert und in den Abendnachrichten der großen Sender ist eben der nationale Regierungschef der wichtigste Politiker. Auch, wenn die Welt längst eine andere ist.

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