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Tiefgang

Wie ein Oligarch die Demokratie in Moldau angreift

Wer wissen will, was in den nächsten Jahren auf Deutschland und Europa zukommen könnte, sollte nach Moldau schauen. Dass Russland und prorussische Akteure versuchen, durch Desinformation Wahlen zu beeinflussen, ist keine Überraschung. In welchem Maße die sozialen Netzwerke dabei versagen, sich ihrer Verantwortung zu stellen, das führt ein bislang unbekanntes Beispiel aus dem Land vor, mit dem der EU-Gipfel vergangene Woche beschloss, Beitrittsverhandlungen aufzunehmen – ein bevorzugtes Opfer russischer Bullies.

Die Initiative Reset hat in einer exklusiven Recherche, die SZ Dossier vorliegt, herausgefunden, wie fahrlässig Plattformen damit umgehen, was sie als „politische Werbung“ klassifizieren. Es geht um eine großangelegte Facebook-Kampagne, die den prorussischen, von EU und USA sanktionierten Oligarchen Ilan Shor und ihm verbündete Parteien bewirbt; teilweise richtet sie sich auch explizit gegen die EU und eine Mitgliedschaft Moldaus. Wie Reset schreibt, soll das Land so vom proeuropäischen Kurs abgebracht werden, den Präsidentin Maia Sandu zum Kern und Ziele aller Außenpolitik gemacht hat. Als Sandu neulich auf dem Berliner Forum Außenpolitik sprach, nahm die Warnung vor Wahlbeeinflussung einen großen Teil ein – in der Recherche wird plastisch, warum.

Im neuen Jahr stehen in Brüssel und Washington, aber auch Dresden und Erfurt entscheidende Wahlen an. Ein seltener Blick in den Werkzeugkasten derjenigen, die auch diese Wahlen angreifen werden, zeigt, was alles darin ist: Desinformationskampagnen, gefälschte Nachrichten und Social Bots sollen die öffentliche Meinung manipulieren und politische Spaltungen vertiefen.

Neu ist: Generative KI kann Fake News schlechter erkennbar machen und schneller verbreiten. Eine Herausforderung werden Deepfakes bilden – wie gefälschte Videos, in denen Sandu einen Hidschab trug und ihre Absicht ankündigte, kurz vor den Kommunalwahlen zurückzutreten. Das Ergebnis: mehr als eine Million Aufrufe. Drei Lektionen.

Desinformation ist skalierbar. Die Facebook-Kampagne begann Monate vor den moldauischen Kommunalwahlen am 5. November. Die Absicht: die Integrität der Wahlen und proeuropäische Kandidaten zu untergraben und Kreml-nahe Parteien vor allem in der autonomen Region Gagausien an die Spitze zu bringen. Im Bericht heißt es: Die Werbung zielte darauf ab, die Gesellschaft zu spalten, indem sie die Region weiter vom Rest des Landes isoliert und eine klare Anti-Regierungs- und Anti-EU-Stimmung fördert.

Mit einem Gesamtbudget von bis zu 280.000 € machte diese Kampagne fast ein Viertel der Werbeausgaben für politische Werbung in Moldau seit August 2020 aus. Diese Zahl – es geht immerhin bloß um Kommunalwahlen in einem kleinen Land – verdeutlicht die Skalierbarkeit solcher Kampagnen und den potenziellen Einfluss einzelner. Gott bewahre, wenn noch eine Null dranhängt.

Man sieht nur mit dem Geldbeutel gut. Die 609 Werbeanzeigen und mehr als 100 anonyme Facebook-Seiten wurden bisher 155 Millionen Mal aufgerufen. Ja – bisher, denn trotz klarer Verstöße gegen die Nutzungsbedingungen von Facebook, schreibt Reset, ist Meta bisher nicht gegen die Kampagne vorgegangen, und sie ist auch nicht abgeschlossen. 

Fast alle Anzeigen erwähnen direkt die Namen von Ilan Shor oder politischen Kandidaten, die mit Shors Parteien verbunden sind. Etwa 40 Prozent der Anzeigen werben direkt für Filmmaterial mit Videostatements des sanktionierten Oligarchen, in denen sein Gesicht deutlich zu sehen ist, einige enthalten das offizielle Logo seiner Partei – was es Facebook nicht so schwer machen sollte, das zu erkennen und zu reagieren. Allein: Das Geschäft würde leiden.

Hheimlich unterwegs. Facebook-Seiten, die als lokale moldauische Medien getarnt waren, spielten eine zentrale Rolle in der Kampagne: Authentifizierung wird auf X, aber auch bei Facebook schwerer. Diese Seiten agierten koordiniert und wiesen ähnliche Merkmale auf, wodurch sie sehr leicht zu identifizieren waren – für Reset, während Facebook sie gewähren ließ.

Viele von ihnen gehörten laut der Recherche zu einem großen Netzwerk automatisch erstellter Konten. Sobald eine Seite umbenannt wurde, begann sie mit der Schaltung politischer Anzeigen, manchmal schon einen Tag nach der Umbenennung. Die bloße Existenz solcher Netzwerke verstößt gegen die Richtlinie der Plattform zu automatisierten Konten.

Meta sieht kein Problem: Der Konzern teilte mit, man könne sich nicht zu Untersuchungen äußern, die man nicht gesehen habe. „Allerdings haben wir dieser sanktionierten Person die Möglichkeit genommen, auf unseren Apps zu werben, als er auf die US-Sanktionsliste gesetzt wurde“, sagte eine Unternehmenssprecherin. Daraufhin habe Meta Versuche entdeckt, andere Seiten und Konten zu nutzen, um die Inhalte zu verstärken. „Wir haben diese Seiten und Konten aufgrund unserer eigenen internen Ermittlungen sowie aufgrund von Hinweisen aus der moldauischen Zivilgesellschaft abgeschaltet. Wir wissen, dass böswillige Akteure wie diese hartnäckig sind, und wir werden sie weiter beobachten und Maßnahmen ergreifen.“