Lehren aus der Wilders-Wahl
Mit Geert Wilders hat ein Mann die Parlamentswahl in den Niederlanden gewonnen, der in programmatischer Radikalität der AfD noch etwas beibringen kann. Seine PVV, die sich traut, die Freiheit im Namen zu führen, war immer auf Putins Seite, ist gegen die EU-Mitgliedschaft des Landes und hat einen Wahlkampf gegen Migration und gegen den Islam geführt; differenzierter ist es nun mal nicht. Zuletzt entdeckte sie soziale Themen wie Wohnraum und versprach generell mehr Freibier, für Niederländer.
Der PVV-Vorsitzende, seit 20 Jahren im rechten Geschäft unterwegs, mäßigte sich zuletzt im Ton. Er kündigte an, er wolle mitregieren und um diesen Preis von offensichtlich nicht verfassungsgemäßen Forderungen wie dem Verbot von Moscheen oder dem Koran absehen. Davon werden wir mehr erleben in Wochen, Monate sind wahrscheinlicher, von Versuchen der Regierungsbildung. Um Partner zu finden und Neuwahlen zu vermeiden, in denen er das einmal Erreichte wieder aufs Spiel setzen müsste, wird Wilders verhindern wollen, als zu radikal zu gelten. Darin liegt nun seine Chance auf die Macht.
Schneller Reminder: Wilders’ PVV wurde, überraschend sogar für ihn selbst, größte Fraktion mit 23,5 Prozent, 37 von 150 Sitzen im Parlament oder besser dessen Zweiter Kammer, die am Mittwoch gewählt wurde. Nach weitem Abstand kommen dann eine gemeinsame Liste von Sozialdemokraten und Grünen mit 15,5 Prozent, die bisher regierende liberale VDD mit 15,1 Prozent, dann frühere Christdemokraten, die heute NSC (für „New Social Contract“) heißen, mit 12,8 Prozent und danach eine ganze Menge kleinerer und kleiner Parteien. Dass keine der früheren Volksparteien den ersten Platz erringt, ist neu. Mehr hier von Thomas Kirchner.
Was nun? Es lohnt sich, genau hinzuschauen, was jetzt in Den Haag passiert.
Wo sind wir hier? Die Ausdifferenzierung der Parteienlandschaft ist weit fortgeschritten. Überraschungserfolge sind einfacher zu erreichen, auch von Neugründungen wie einer Bauern-Partei, die bei den vorletzten Wahlen die Lage neu sortierte. Nicht zuletzt ist die PVV schon lange radikal, musste weder Programm noch Personal schrittweise dorthin verschieben. Das sorgt womöglich für einen Normalisierungseffekt, gerade wenn der politische Gegner ihn unterstützt. Zuletzt scheinen auch die nur sehr leisen Äußerungen der Regierung seit dem 7. Oktober auf Wilders’ Konto eingezahlt zu haben.
Zum Prozedere: Das Parlament bestimmt nun einen Scout, der mit dem Taschenrechner in der Hand mögliche Bündnisoptionen erkundet; ein „Formateur“ würde dann inhaltliche Überschneidungen potenzieller Koalitionen prüfen.
Option 1: Premier Wilders. Als argen handwerklichen Fehler brandmarkte Markus Söder, dass die neue VDD-Parteichefin – Nachfolgerin des amtierenden Premierministers Mark Rutte – Dilan Yeşilgöz im Wahlkampfendspurt eine Zusammenarbeit mit Wilders nicht mehr ausschloss (sie meinte, mit der PVV als Juniorpartner). Zehn Sitze verlor sie, nach Ansicht von Kritikern, Söder inklusive, weil sie Wilders hoffähig erklärte und sich selbst damit für eine gewisse Wählerschicht überflüssig.
Viele Konjunktive: Wenn sie auch unter den neuen Bedingungen dabei bleibt, wenn ihre Partei mitzieht, deren starker europafreundlicher Flügel sich fest an der Seite von Emmanuel Macron sieht (und der FDP, fürs Protokoll), nicht von Marine Le Pen und Viktor Orbán – und wenn dann noch die mittige NSC über ihren Schatten springen sollte, dann könnte Wilders’ Traum wahr werden.
Für die Wahlen des nächsten Jahres in Deutschland – vom Europaparlament angefangen bis zu den Landtagswahlen, bei denen die AfD in Wilders-Manier abschneiden könnte – empfiehlt es sich, den Söder-Tweet vielleicht griffbereit zu halten. Er eignet in vielerlei Hinsicht, um die Laufwege des CSU-Vorsitzenden zu illustrieren. Manche Fehler im Umgang mit Rechten sieht man bei anderen auch klarer als in der eigenen Partei.
Option 2: Der Verlierer gewinnt. Der Sozialdemokrat Frans Timmermans hatte sich aufs deutsche Vorbild verlassen: Vielleicht der erste werden unter vielen ähnlich Großen; Scholz hatten das und ein nicht zu erschütternder Glaube an das eigene Genie, der beide verbindet, ja auch gereicht, um Bundeskanzler zu werden. Der ehemalige EU-Kommissar – noch früher auch „Erster Vizepräsident“, er legte Wert darauf – trat in der Parlamentswahl für eine gemeinsame Liste seiner Arbeitspartei und der Grünen an.
Er wurde weit abgeschlagen zweiter und nahm dann doch lieber sich selbst zum Vorbild als den Genossen aus Berlin. Kommissionspräsident in Brüssel wäre er schließlich auch als zweiter Sieger in der Europawahl 2019 fast geworden, wenn nicht die Europäische Volkspartei ihrer danach nicht mehr so unumstrittenen Führungsfigur Angela Merkel brachial in den Arm gefallen wäre. Timmermans’ Claim diesmal: Er werde „Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verteidigen“ – das heißt: versuchen, eine Regierung der linken Mitte zu bilden und jedenfalls eine unter seiner Führung.
Von solcher Selbstverständlichkeit können sich sogar in Berlin noch manche etwas abschauen. Damit der Plan aufgeht, wären aber nun polit-mathematisch VVD, NSC, und die weitere liberale Kraft D66, nötig. Ein solches Bündnis hätte allerdings keine Mehrheit in der Ersten Parlamentskammer, und für die VVD scheint auch kein großer Charme darin zu liegen: Nach innen wie nach außen wäre der Erklärungsbedarf hoch für rechts blinken und dann links abbiegen: Wenn diese Wahl ein klares Ergebnis hatte, dann dass die Mehrheit der Niederländerinnen und Niederländer rechts gewählt hat.
Option 3: Eine Minderheitsregierung rechts der Mitte unter Führung der VVD, die NSC und die Bürger-und-Bauern-Partei BBB einschließen könnte und sich ihre Mehrheiten wohl mit Wilders’ tätiger Hilfe organisieren müsste. Auch das hätte einen deutlichen Rechtsruck zur Folge, aber vielleicht mit geringeren Folgen auswärts. Zu den Rezepten für Einfluss, Mitsprache und enge politische Freundschaften gehörte es, für niederländische Regierungen international und in Europa, deutlich mittiger aufzutreten als sie es zu Hause sind.