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Nutzungsrechte erwerbenMerz dringt auf Waffenruhe, SPD dringt auf Antworten
Montag, 12. Mai 2025Guten Morgen. Heute jähren sich die deutsch-israelischen Beziehungen zum 60. Mal: Am 12. Mai 1965 haben Israel und die Bundesrepublik erstmals diplomatische Beziehungen aufgenommen. Heute wird Israels Präsident Isaac Herzog in Berlin erwartet, am Dienstag und Mittwoch reisen Herzog und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gemeinsam durch Israel.
Bei seinem Antrittsbesuch im Nahen Osten brachte der neue CDU-Außenminister Johann Wadephul in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem auf den Punkt, warum die deutsch-israelische Freundschaft alles andere als selbstverständlich ist: „Mit Entsetzen und Scham stehe ich hier als Außenminister Deutschlands“, las Wadephul seinen Eintrag in das Gästebuch vor.
Und weiter: „Die Monstrosität der Schoah wurde in deutscher Sprache befohlen, von Deutschen geplant, von Deutschen ausgeführt.“ Es sei „unsere, es ist meine bleibende Verantwortung, das Bewusstsein für dieses von Deutschland begangene, unermessliche Unrecht, das Bewusstsein aufrechtzuerhalten“ und gegen Antisemitismus aufzustehen. Unten dann gleich mehr dazu, warum sein Antrittsbesuch zum Spagat wurde.
Willkommen am Platz der Republik.
Was wichtig wird
Europa steht zusammen. Das ist das Zeichen, das der neue Bundeskanzler Friedrich Merz mit seiner Reise in die Ukraine setzen wollte. Ebenfalls an Bord des Zuges: Emmanuel Macron, französischer Präsident, und Keir Starmer, britischer Premier. Eine separate Anreise wählte Polens Ministerpräsident Donald Tusk. Am Ende besuchte eine vierköpfige Reisegruppe Wolodimir Selenskij in Kyiv.
Mit im Gepäck: Eine mit den Vereinigten Staaten abgestimmte Aufforderung an Moskau, einem „vollständigen und bedingungslosen 30-tägigen Waffenstillstand zuzustimmen, um Raum zu schaffen für Gespräche über einen gerechten und dauerhaften Frieden“. Die Waffenruhe soll heute beginnen und der Beginn eines Prozesses sein, der den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine beendet. In einem Video-Austausch mit fast 20 weiteren Staats- und Regierungschefs wurde die Position weiter abgestimmt.
Merz on a mission: Der CDU-Chef wollte zu Beginn seiner Kanzlerschaft möglichst schnell in die Ukraine reisen, um die deutsche Solidarität mit Kyiv zu untermauern. Eine Woche im Vorfeld hatte der neue deutsche Regierungschef die Idee der Reisegruppe ins Spiel gebracht, berichtet die SZ. Die anderen wirkten zunächst abwartend, sagten dann aber spät zu. „Dies ist die größte diplomatische Initiative, die es in den vergangenen Monaten, wenn nicht Jahren, gegeben hat, um den Krieg in der Ukraine zu beenden“, sagte Merz in den Tagesthemen.
Ein guter Tag für Merz: Die Reise war jedenfalls ein diplomatischer Erfolg. Nicht nur stand am Ende die gemeinsame Forderung, sie gelang mit Unterstützung der USA. Die transatlantische Achse funktionierte zumindest am Wochenende mit einer neuen Geschlossenheit gegenüber Russland. Ob sie hält, wird sich zeigen. Macron war es jedenfalls, der Trump am Samstag, 7 Uhr Washingtoner Zeit, anrief. Zunächst allein, dann in größerer Runde mit den vier Besuchern und Selenskij.
Man ist sich also einig: Russland soll sich auf die Waffenruhe einlassen, und zwar ohne jede Bedingung. Falls dies nicht geschehen sollte, werde es neue, harte Sanktionen gegen Moskau geben. Wladimir Putin meldete sich später zu Wort und schlug Kyiv direkte Verhandlungen vor, am Donnerstag in Istanbul. Auf die 30-tägige Waffenruhe ging er nicht direkt ein. Merz sagte in Reaktion auf die Äußerungen des russischen Präsidenten, erst müssten die Waffen schweigen, dann könnten Gespräche beginnen. Die Gesprächsbereitschaft sei „zunächst ein gutes Zeichen“, aber „bei Weitem nicht hinreichend“.
Zusage aus der Ukraine: Selenskij selbst war es, der seine Bereitschaft erklärte, an den Gesprächen in Istanbul teilzunehmen: „Ich werde am Donnerstag in der Türkei auf Putin warten. Persönlich“, schrieb er auf X. Gleichzeitig machte er klar, dass die Ukraine einen vollständigen und dauerhaften Waffenstillstand ab heute erwartet, um die notwendige Grundlage für diplomatische Verhandlungen zu schaffen. Zuvor hatte Trump die Ukraine dazu aufgefordert. Nur so wüssten Kyiv, die europäischen Partner und die USA, woran sie seien, schrieb Trump auf Truth Social. Seiner Meinung nach wolle Putin keine Waffenruhe.
Spätestens nachdem Saskia Esken gestern Abend im Bericht aus Berlin angekündigt hat, nicht mehr für den Parteivorsitz zu kandidieren, dreht sich bei den Sozialdemokraten jetzt alles um ihn: Lars Klingbeil. Beim Landesparteitag des größten Landesverbands in Duisburg sparten die Delegierten am Samstag nicht mit Kritik am Zustand der SPD. Und der Art und Weise, wie sich Klingbeil nach dem schlechtesten deutschlandweiten Ergebnis seit 1887 in die entscheidende Führungsrolle der Partei manövriert hatte. Peter Ehrlich berichtet aus Duisburg.
Frauenfrage: „Wie viele letzte Schüsse gibt es eigentlich?“, fragte die Juso-Landesvorsitzende Nina Gaedike unter großem Beifall ihren Parteichef nach dessen Appell an Einheit und Solidarität in der SPD, der von den rund 400 Delegierten wenig euphorisch aufgenommen wurde. Andere Delegierte, vor allem Frauen, kritisierten den Umgang mit der Co-Vorsitzenden Saskia Esken und dass Klingbeil noch am Wahlabend die Führung der Fraktion an sich gerissen habe. Inhaltlich kritisierten die SPD-Delegierten vor allem, dass sich die SPD nicht gegen die harte Migrationspolitik und die Abschaffung des Bürgergeldes gewehrt habe. Die Szenen wiederholten sich am Sonntag auf dem Landesparteitag der schleswig-holsteinischen SPD.
Kurs der Mitte: Klingbeil, der schon zu Anfang eigene Fehler eingeräumt und die Bundestagswahl als „Tiefpunkt der Sozialdemokratie“ bezeichnet hatte, verwies in seiner Reaktion auf die Mehrheit beim Mitgliederentscheid. Seine Antwort auf 16,4 Prozent bei der Wahl sei nicht, dass die SPD weiter nach links rücken solle. Die Partei solle sich „weder von Themen ganz links noch von Themen ganz rechts“ von einem Kurs der Mitte und der Verteidigung der Arbeitnehmerinteressen ablenken lassen. Mit sechs Frauen und drei Männern im Kabinett könne man ihm außerdem keine Frauenfeindlichkeit vorwerfen. Klingbeil sicherte zu, dass es beim Bundesparteitag im Juni um Aufarbeitung gehen werde.
Auf und Ab: In der Partei wurde darauf verwiesen, dass die Parteitagsdelegierten im Durchschnitt jünger und kritischer seien als die Masse der 90.000 SPD-Mitglieder in NRW. Die wiedergewählten Landesvorsitzenden Achim Post und Sarah Philipp hoben insbesondere Themen wie das Sondervermögen Infrastruktur, die Garantie des Rentenniveaus und den Mindestlohn positiv hervor. Allerdings ging auch der von der Landesführung unterstützte Leitantrag mit der SPD hart ins Gericht – auf Bundes- und Landesebene. Die SPD befinde sich seit zwei Jahrzehnten „in einer Phase der kleinen Aufs und großen Abs“.
Bas bleibt stumm: Nach Zahl der Erwähnungen in den Reden und Lautstärke des Beifalls zu urteilen, war die beliebteste Politikerin in Duisburg die neue Arbeitsministerin Bärbel Bas. Sie, die selbst aus Duisburg stammt, gilt als wahrscheinlichste Kandidatin für den Co-Vorsitz der Partei neben Klingbeil. Bas selbst vermied jede Festlegung. Klingbeil weiß, dass die SPD ohne bessere Ergebnisse in NRW keine Bundestagswahl gewinnen kann (die Partei kam im Land auf 20 Prozent bei einem Verlust von 9,1 Prozentpunkten). Die NRW-SPD wiederum braucht Rückenwind aus Berlin für die Kommunalwahl im September und die Landtagswahl 2027.
Sparzwänge: Dabei steht jetzt schon fest, dass die Partei nach dem schlechten Wahlergebnis erst einmal sparen muss, um die geringeren Überweisungen aus der Staatskasse auszugleichen. Bundesschatzmeister Dietmar Nietan sagte, er werde heute der Parteiführung in einem elfseitigen Papier Strukturveränderungen vorschlagen, „alte Zöpfe“ müssten abgeschnitten werden, nur die Kommunalpolitik könne noch gestärkt werden. Weniger Geld für die Parteiarbeit und die sichtbare Unruhe im Mittelbau der Partei werden den Bundesparteitag Ende Juni in Berlin nicht einfach machen. Klingbeil, der heute zu seinem ersten EU-Finanzministertreffen nach Brüssel reist, hat neben dem für ihn neuen Ministerium die SPD weiter als Großbaustelle an der Backe.
Außenminister Johann Wadephul hat die israelische Regierung dazu aufgerufen, erneut in ernsthafte Verhandlungen über einen Waffenstillstand im Gazastreifen einzusteigen. „Ich bin nicht sicher, ob so alle strategischen Ziele Israels erreicht werden können, ob dies langfristig der Sicherheit Israels dient“, sagte Wadephul bei einem Treffen mit seinem israelischen Amtskollegen Gideon Saar mit Blick auf das seit März verschärfte militärische Vorgehen gegen die islamistische Hamas. Wadephul traf sich auch mit Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und dem Regierungschef der palästinensischen Autonomiebehörde Mohammed Mustafa.
Wadephuls Nahostpolitik: Der Außenminister betonte eine Zweistaatenlösung als „beste Chance für ein Leben in Frieden, Sicherheit und Würde für Israelis wie für Palästinenser“. Dabei fand er klare Worte: Diese dürfe „weder durch ein Vorantreiben eines völkerrechtswidrigen Siedlungsbaus, noch durch eine vorzeitige Anerkennung eines Palästinenserstaates“ verbaut werden. Wadephul betonte, die Sicherheit Israels sei für Deutschland Staatsräson. Das bedeute, Israel in jeder Bedrohungslage beizustehen – aber nicht, „dass Kritik am Verhalten, an Äußerungen von Personen des öffentlichen Lebens, Parteien oder der Regierung verboten wären“.
Menschliche Not: Es bedürfe laut Wadephul eines Waffenstillstands, der auch den Weg für die dauerhafte Versorgung der Menschen in Gaza ebne. Dort komme seit 70 Tagen keine humanitäre Hilfe mehr an, die große menschliche Not verschärfe sich jeden Tag. Wadephul zeigte gleichzeitig Verständnis für den israelischen Ansatz, dass Hilfslieferungen den Menschen und nicht der Hamas dienen sollten. Er begrüßte, dass Israel den von den USA angekündigten Plan zur Verteilung von humanitären Hilfsgütern im Gazastreifen unterstützen will.
Politische Lösungen: Gebraucht werde dem Außenminister zufolge eine politische Lösung für den Wiederaufbau des großflächig zerstörten Gebiets ohne die Hamas, von der keine Bedrohung für Israel mehr ausgehen dürfe. Ein guter Ausgangspunkt dafür sei der arabische Wiederaufbauplan mit einer starken Rolle der palästinensischen Autonomiebehörde. Ebenfalls klar sei, dass der Gazastreifen Teil der palästinensischen Gebiete bleiben müsse. Wadephul sei sich mit Saar einig gewesen, dass die Palästinenser dort von „niemandem gezwungen werden, dieses Gebiet zu verlassen“.
Noch in dieser Woche soll der neue Zuschnitt der Ausschüsse stehen. Am Donnerstag stimmt der Bundestag über die Einsetzung seiner Ausschüsse ab. Die Ausschussvorsitze sollen dem Vernehmen nach nächste Woche gewählt werden. Zahlreiche offene Posten will die Unionsfraktion ihrerseits schon morgen verteilen, wie aus der Tagesordnung für die Fraktionssitzung hervorgeht, die SZ Dossier vorliegt. Dazu gehören etwa die Vorsitzenden der AGs, die parlamentarischen Geschäftsführer und die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden des CDU-Teils sowie für die gesamte Fraktion die Mitglieder des Ältestenrats.
Es steht eine volle Sitzungswoche an. Im Mittelpunkt steht die neue Regierung: Die neuen Ressorts und der Bundeskanzler stellen im Plenum traditionsgemäß ihre Pläne vor. Am Mittwoch hält Merz um 13 Uhr seine erste Regierungserklärung. Angesetzt sind 45 Minuten, dann folgt eine 120-minütige Generalaussprache. Die dritte Plenarsitzung des 21. Deutschen Bundestages startet bereits am Mittwoch um 11:30 Uhr mit einer Regierungsbefragung.
Wer ist wann dran? Am Mittwoch sind noch der Außenminister, der Verteidigungsminister und die Entwicklungsministerin dran. Am Donnerstag folgen der Finanzminister, die Wirtschaftsministerin, die Arbeitsministerin, die Gesundheitsministerin, die Bauministerin, die Bildungsministerin, der Agrarminister, der Umweltminister und die Forschungsministerin. Den Schlusspunkt am Freitag setzen der Innenminister, die Justizministerin, der Digitalminister und der Verkehrsminister.
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Tiefgang
Friedensbewegte treffen auf intersektionale Feministinnen, Alt-Linke auf propalästinensische Aktivistinnen mit Kufiya: soweit also alles beim Alten bei der Linken. Und doch steht der Parteitag in Chemnitz unter dem Motto des Neuanfangs. Nach dem überraschenden Wahlerfolg der Partei bei der vorgezogenen Bundestagswahl geht es nun daran, zu definieren, wer was macht und wo es hingehen soll. Die Euphorie nach der Wahl soll jetzt in eine neue politische Richtung gegossen werden, deshalb prangt in der Messehalle in Chemnitz der Slogan „Die Hoffnung organisieren“ an der Rückwand der Bühne.
Eine „moderne sozialistische Klassenpartei“ will die Linke sein und dabei eben alle Linken-Mitglieder und Wählerinnen und Wähler, alte und neue, mitnehmen, sagte Co-Parteivorsitzende Ines Schwerdtner am Rande des Parteitags SZ Dossier. Doch die Linke muss den Begriff der Klasse erst noch einmal neu definieren.
Zum Erfolg bei der Wahl im Februar verhalf insbesondere die junge, urbane Klientel. Mit einem Altersdurchschnitt von 42,2 Jahren ist die Linke die jüngste Fraktion im Bundestag und mit 56,2 Prozent Frauen auch die weiblichste. Insbesondere die jungen Frauen gaben der nach dem Bruch mit Sahra Wagenknecht personell neu aufgestellten Partei ihre Stimme.
Sie fühlen sich offensichtlich insbesondere von den beiden Führungspersönlichkeiten Heidi Reichinnek (37) und Ines Schwerdtner (35) repräsentiert. Jetzt gilt es, das wird in Chemnitz klar, neben Parteiveteranen auch junge, queere, migrantische Wählerinnen und Wähler in die Klassendebatte einzuführen und in Parteistrukturen einzubinden.
Wie das aussehen soll, zeigt der Parteitag. Früher hörte man Georg Kreisler auf der Klampfe, heute rappt ein queerfeministisches Duo über den Bruch mit bürgerlichen Normen. Der Parteivorsitzende Jan van Aken regt am Samstag an, die Sache so anzugehen: „Die Partei darf sich nicht spalten lassen. Die Grenze verläuft immer von oben nach unten, die Grenze verläuft nicht zwischen Kuh- und Hafermilchtrinkern.“
Viele der Neumitglieder müssen sich erst noch in Aufgaben von Gremien und Arbeitsgruppen und die teilweise zähen Abläufe im politischen Betrieb einfinden. Mit neuen Mitgliedern kommen neue Impulse, aber auch neue Anlässe für alten Streit: die Haltung zur Aufrüstung, die Wehrpflicht, den Nahostkonflikt. Die Parteiführung versucht, die Einigkeit aus dem Wahlkampf in die neue Zeit hinüberzuretten.
„Wir stehen in der Verantwortung, eine lernende, eine andere Partei zu sein“, sagte Schwerdtner. Einen Tag vorher, am Freitag, sagte sie: Es gehe nicht darum, keine Fehler mehr zu machen oder nicht zu streiten. „Aber es geht darum, eine Politik zu machen, die uns nicht zerreißt, deshalb lasst uns bitte solidarisch sein.“ Reichinnek proklamierte: „Wir lassen uns nicht spalten, uns eint mehr, als uns trennt. Wir sind nicht aufzuhalten, wenn wir uns zusammenschließen.“
Kurz vor Schluss, am Samstagnachmittag, zeigt sich, dass der Umgang der Partei mit ihrer Positionierung zum Nahostkonflikt immer wieder den Sprengstoff birgt, der die Partei wieder spalten könnte. Schwerdtner und van Aken wurden zwar nicht müde zu betonen, dass der Beschluss der Partei aus Halle Bestand habe, wonach das Existenzrecht Israels „für uns nicht verhandelbar“ sei.
Doch in Chemnitz stimmte eine knappe Mehrheit (213 zu 181) der Delegierten für einen Antrag der Berliner Landesgruppe, der fordert, dass deutsche Behörden die „Arbeitsdefinition Antisemitismus“ der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) durch die sogenannte Jerusalemer Erklärung ersetzen sollen. Laut dieser Definition ist auch die BDS-Bewegung, die Israel boykottieren will, nicht zwingend antisemitisch. In Deutschland gilt die Bewegung aber genau als das, der Verfassungsschutz beobachtet sie als „extremistischen Verdachtsfall“.
Dabei hatte Parteichefin Schwerdtner noch am Mittag im Gespräch mit SZ Dossier klargemacht: „Alle, die eine andere Meinung vertreten als der Parteivorstand – was in Ordnung ist – müssen wissen, dass sie dann nicht mehr für die Partei sprechen.“ Und so wird am Ende des zweitägigen Parteitags deutlich: Die Hoffnung und Euphorie für den Neuanfang sind ungebrochen – die alten Probleme aber auch. Elena Müller
Fast übersehen
Waffenlieferungen wieder Geheimsache: Die Debatte um die Unterstützung der Ukraine dürfte sich verändern. „Unter meiner Führung wird die Debatte um Waffenlieferungen, Kaliber und Waffensysteme aus der Öffentlichkeit herausgenommen“, kündigte Bundeskanzler Friedrich Merz in Kyiv an.
Kurswechsel: Drei Monate nach Kriegsbeginn hatte die Ampel nach öffentlichem Druck begonnen, eine detaillierte Liste mit allen Waffenlieferungen online zu stellen.
Das Ziel: Strategische Ambiguität. Es soll also eine Mehrdeutigkeit entstehen, um Moskau das deutsche Handeln zu verschleiern. Damit wird sich auch die Debatte um die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern verändern, die unter die neue Regelung fallen dürfte.
Schwarz gegen Rot: Nur wenige Tage nach dem Regierungsstart gibt es die erste schwarz-rote Meinungsverschiedenheit auf offener Bühne. Die neue Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) hatte gefordert, künftig auch Beamte und Selbstständige sowie Abgeordnete in die Rentenversicherung einzahlen zu lassen. „Wir müssen mehr Leute an der Finanzierung der Rentenversicherung beteiligen“, sagte sie den Zeitungen der Funke Mediengruppe am Samstag. Das würde die Einnahmen der Rentenkassen erhöhen.
Die Union lehnt diese Pläne ab. „Die Einbeziehung von Selbstständigen und Beamten in die Rente löst weder die Probleme in der Rentenversicherung, noch ist das vom Koalitionsvertrag gedeckt“, sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann der Bild am Sonntag. „Frau Bas sollte nicht versuchen, der Rentenkommission alte SPD-Ideen als zukünftiges Ergebnis vorzuschreiben“, fügte er hinzu. Auch die Mindestlohnkommission dürfte aufgehorcht haben, denn die Arbeitsministerin schloss im Interview eine gesetzliche Anhebung des Mindestlohns ausdrücklich nicht aus.
Die ersten Tage von Leo XIV.: Der neue Papst hat am Wochenende nicht nur sein erstes Mittagsgebet auf dem Petersplatz gesprochen, wo er unter anderem „nie wieder Krieg“ forderte, sondern auch angekündigt, den Weg seines Vorgängers weitergehen zu wollen. Demnach berief sich Leo XIV. bei einem Treffen mit dem Kardinalskollegium mehrmals auf Papst Franziskus. „Gerade weil ich mich berufen fühle, diesen Weg weiterzugehen, habe ich daran gedacht, den Namen Leo XIV. anzunehmen“, sagte er laut seiner veröffentlichten Aussprache.
Es gebe dafür mehrere Gründe. Papst Leo XIII. (1878 bis 1903) behandelte die soziale Frage rund um die erste große industrielle Revolution – und legte damit den Grundstein für die moderne katholische Soziallehre. Auch in dieser Tradition sieht sich der US-Amerikaner. Heute biete die Kirche ihr Erbe der Soziallehre an, um auf eine neue Industrierevolution sowie die Entwicklung der künstlichen Intelligenz zu reagieren. Diese bringe „neue Herausforderungen für die Verteidigung der Menschenwürde, der Gerechtigkeit und der Arbeit“ mit sich.
Das Erbe von Papst Franziskus: Sein Vorgänger habe sich seiner Aufgabe bis zum Ende voll hingegeben und zugleich gelassen Vertrauen im Augenblick seines Todes gehabt. „Nehmen wir dieses kostbare Erbe an und nehmen wir den Weg wieder auf, beseelt von der gleichen Hoffnung, die aus dem Glauben kommt“, sagte Leo XIV. Die Kirche solle sich um die „Geringsten der Ausgestoßenen“ kümmern, sagte er. Er wolle den Weg seines Vorgängers als „demütiger Diener“ weitergehen.
Unter eins
CDU-Kanzleramtschef Thorsten Frei rudert bei Caren Miosga in Sachen Unvereinbarkeitsbeschluss zurück
Zu guter Letzt
Kurz vor dem zweiten Wahlgang, der Friedrich Merz endgültig den Weg zur Kanzlerschaft ebnete, spielten sich auf der Fraktionsebene interessante Szenen ab: Mitarbeiter einer Brandenburger Tischlerei bauten die Pressewand der Freien Demokraten ab, das Logo der FDP-Fraktion neben dem Eingang zum Foyer des ehemaligen Fraktionssaals der Liberalen war bereits durch einen grauen Aufsteller des Bundestages verdeckt worden. Die liberalen Spuren verschwinden aus dem Hohen Haus.
Am Freitag und Samstag muss die FDP entscheiden, in welche Richtung es geht. Bei ihrem Bundesparteitag im Neuköllner Estrel-Hotel geht es um die personelle und inhaltliche Neuaufstellung nach der verheerenden Bundestagswahl inklusive Gang in die außerparlamentarische Opposition. Eine Überraschung sickerte bereits durch: Startup-Unternehmerin Nicole Büttner soll neue Generalsekretärin werden. Die FDP, das betonte der designierte Parteichef Christian Dürr, will die modernste Partei Deutschlands werden.
Wie das gelingen soll? „Wir brauchen natürlich eine Mischung aus neuen Köpfen und bekannten Gesichtern“, sagte Dürr im Interview mit ntv. Auch er müsse sich dafür ändern. Und dann ist da noch der Elefant im Raum, den der ehemalige Fraktionschef recht elegant anspricht: „Eine Sache, die wir anders machen wollen, ist stärker im Team zu arbeiten.“ Christian Lindner, zuletzt mehr Vater als FDP-Chef, wird am Freitagmittag seinen letzten Rechenschaftsbericht vorlegen.