„Ich habe im Freundeskreis auch einen Arzt, der gesagt hat: ,Du musst sofort bremsen, du hast doch schon Anzeichen eines Burn-outs‘“, sagte der FDP-Abgeordnete Muhanad Al-Halak im Gespräch mit SZ Dossier. Er spricht offen über Druck und Misstrauen im Bundestag, berichtet von Schlafproblemen und über die Einsamkeit der Abgeordneten. Ein jeder kämpfe für sich allein: „Ich habe bis heute keinen Abgeordneten getroffen, der ein reines Herz hat.“
Direkt nach der Bundestagswahl stand der 35-Jährige im Mittelpunkt: Ein Geflüchteter aus dem Irak mit Hauptschulabschluss wird MdB – so lauteten damals viele Schlagzeilen. An die Stelle der Freude über den Bundestagseinzug sei schnell Vorsicht getreten: „Da kommt keiner auf dich zu und fragt, ob er helfen kann“, sagte Al-Halak. „Man wird immer angeschaut und sucht direkt Fehler.“
Die psychischen Herausforderungen der politischen Tätigkeit können krank machen. Der Druck ist hoch: Man eilt von Termin zu Termin, steht ständig unter Beobachtung. Fehler können Karrieren beenden. Wenn es nicht mehr ging, haben sich Abgeordnete auch schon Hilfe geholt. Michael Roth (SPD), Bruno Hönel (Grüne) und Nyke Slawik (Grüne) machten in dieser Legislaturperiode eine Auszeit, wurden krankgeschrieben.
Der gelernte Abwassermeister Al-Halak ist in der Fraktion eine bekannte Figur. Auch für ihn sei der Druck mit der Zeit gestiegen. „Mein großes Problem ist einfach die Psyche“, sagte er. Er habe bis heute schlaflose Nächte. „In der Politik ist es so, dass ich jeden Tag mehrere Probleme auf einmal habe, die gefühlt unlösbar sind. Und dann liege ich im Bett und denke darüber nach, springe von Thema zu Thema und kann nicht schlafen.“ Das mache ihn fertig. „Ich habe das damals nicht erwartet, dass ich mit solchen Problemen konfrontiert werde.“
Dazu kommt die Geschwindigkeit des politischen Betriebs. Ricarda Lang (Grüne) war es, die im Interview mit der Zeit sagte, in der Hektik des Alltags habe man keine Zeit mehr, sich Gedanken zu machen. Al-Halak geht es ähnlich: „Ich habe immer irgendwas im Kopf und der Satz, den ich ausspreche, ist dann manchmal komplett anders, weil man nicht mehr klar nachdenken kann.“
Der Abgeordnete aus dem niederbayerischen Grafenau weiß noch nicht, wie er mit der Situation umgehen soll. Er wolle die Zeit im Parlament nutzen, sich für Themen einzusetzen, die ihn bewegen: „Da kann man nicht einfach sagen: Hey, ich ziehe mich jetzt zurück oder bremse jetzt mal.“ Sich Hilfe bei anderen Abgeordneten zu holen, ist für Al-Halak keine Option: „Ich kann das nicht, ganz ehrlich, weil es nicht jeder gut mit dir meint in Berlin. Das führt dazu, dass man eingesperrt ist.“
Er habe keine Vertrauensperson. „In der Fraktion oder Partei würden sie natürlich sofort darauf reagieren, wenn ich sage, dass es mir nicht gut geht“, sagte er. Aber er habe eine Art Hemmung, das Gefühl, sich in einer solchen Situation „auszuliefern“. „Ein Fehler und ich bin weg vom Fenster.“ Al-Halak habe Angst, dass irgendwas genutzt werde, obwohl er es nicht so meine. Natürlich gebe es Abgeordnete, die er persönlich sehr schätze, die ihm auch gewogen seien. Aber es sei nicht so, dass er ihnen alles anvertrauen würde. „Deswegen habe ich mich nie gegenüber anderen Abgeordneten geöffnet.“
„Ich habe seit drei Jahren keinen Tag Urlaub gehabt“, sagte Al-Halak. Auch seine Mitarbeitenden sehen die Belastung: „Über die Sommerpause hat mein Büro mir eine Woche Urlaub reingetan und alle Termine abgesagt“, sagte er. Im Wahlkreis habe dann aber trotzdem das Handy geklingelt, Menschen hätten gefragt, wo er bleibe. „Da habe ich dann so ein schlechtes Gewissen gehabt, dass ich doch noch hingefahren bin“, sagte er. Es sei immer etwas von früh bis abends geplant. Vor allem in Berlin „hat man es gar nicht in der Hand, da geht es wirklich von Termin zu Termin“. Sein Kalender, sagte Al-Halak, kontrolliere sein Leben. „Ich hatte noch keinen Tag, wo ich nur sechs oder acht Stunden gearbeitet habe.“
Ihm sei bewusst, dass es auch mit seiner Persönlichkeit zu tun habe. „Ich komme mit elf Jahren hierher und werde herzlich aufgenommen und das will ich durch meine politische Arbeit wiedergutmachen“, sagte er. Es gebe auch andere Abgeordnete, die „komplett damit anders umgehen und eiskalt sind“. Sicher würde es besser werden, wenn er das Ganze ebenfalls „als eine Nummer“ sehe. „Das bin aber nicht ich.“
„Nach den vier Jahren kann ich auf jeden Fall sagen, dass ich mein Bestes gegeben habe und ich hoffe, ich falle halt nicht um“, sagte Al-Halak. Es habe auch Tage gegeben, an denen er gedacht habe, alles hinzuschmeißen. Aber dann habe er an diejenigen gedacht, die ihm Vertrauen geschenkt haben. Er wolle keinen enttäuschen. „Was nächstes Jahr auf mich zukommt, ist mir gerade echt egal. Ich habe Rückkehrrecht, kann jederzeit wieder in den Beruf zurückkehren.“ Gabriel Rinaldi