Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben
Süddeutsche Zeitung Dossier
Logo Platz der Republik

Wie die SPD sich vom Bürgergeld abgrenzt

Dienstag, 1. Oktober 2024
author image

Von Valerie Höhne

mit Gabriel Rinaldi und Tim Frehler

Schnelldurchlauf:

Habeck sucht einen Schuldigen für das „bisschen Moll“ +++ Brombeer-Sondierungen in Thüringen gestartet +++ Neuer Wehrdienst: Wer bald Post von Pistorius bekommt +++ Die Infokampagne für die elektronische Patientenakte läuft an +++ Klingbeil trifft türkischen Außenminister



Israelische Bodentruppen marschierten in der Nacht in den Süden Libanons ein. Die israelische Armee teilte auf der Plattform X mit, die „begrenzten, lokalisierten und gezielten Bodenangriffe“ basierten auf „präzisen Erkenntnissen“ und richteten sich gegen Ziele und Infrastruktur der Hisbollah in grenznahen Dörfern.


Guten Morgen. Ob SPD und Grüne ein mögliches AfD-Verbotsverfahren unterstützen? Das „Zentrum für Politische Schönheit“ schrieb auf X, dem sei nicht so, woraufhin die immer empörungsbereiten Grünen sich empörten. Helge Limburg, rechtspolitischer Sprecher, schrieb, die Aussage sei falsch, es gebe zum Antrag um den früheren Ostbeauftragten Marco Wanderwitz (CDU) noch keine Fraktionsposition. Er selbst sei für ein Verbot.


Was aber stimmt: Die meisten Fraktionen sind skeptisch. Die Kollegen der SZ berichten von Vorbehalten bei SPD, FDP, Grünen und Union. Die Anforderungen für ein Parteiverbot sind hoch, Abgeordnete der demokratischen Parteien sorgen sich um einen Märtyrermoment. „Zum jetzigen Zeitpunkt dürfte eine öffentliche Debatte über ein mögliches AfD-Verbot jedoch mehr schaden als nutzen“, sagte zum Beispiel FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle.


Die Antragsinitiative um Wanderwitz soll inzwischen 37 Unterstützer und Unterstützerinnen haben, und könnte demnach bald in den Bundestag eingebracht werden. Die taz berichtet, der Antrag verweise auf Artikel 21 des Grundgesetzes, der sich mit der Verfassungswidrigkeit von Parteien befasst und regelt, entsprechende Parteien von der staatlichen Finanzierung auszuschließen. Herzlich willkommen am Platz der Republik.

Was wichtig wird

1.

Habeck sucht einen Schuldigen für das „bisschen Moll“

„Die Stimmung ist so ein bisschen moll gerade“, sagte Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) gestern Abend beim Zukunftskongress seiner Bundestagsfraktion über die Atmosphäre im Land. Dabei erlebe er bei seinen Besuchen im Land den Blick nach vorn. „Wir sehen manchmal gar nicht, was so alles passiert neben dem Sound des Untergangs, der hier so verbreitet wird“, sagte er. Schuld also, sind mal wieder – ja, wer eigentlich? Die wirtschaftliche Lage jedenfalls nicht, er erst recht nicht.


Grüner wird’s nicht: Am Sonntag noch hatte der Vizekanzler im Deutschlandfunk seine großen Themen fürs Land skizziert: Infrastruktur, Vermögensungleichheit, Wirtschaftswachstum. Das Publikum im Kosmos – dem alten DDR-Kino, in dem ausgerechnet das BSW seinen Gründungsparteitag feierte – hätte grüner kaum sein können, also fokussierte sich Habeck auf den zweiten Block: die soziale Frage. Damit hofft er, den linken Flügel mit seinen Realos versöhnen zu können. Gerechtigkeit, sagte Habeck, müsse man breiter denken.


Rote Grüne: Gerechtigkeit als ‚Wir geben jedem noch mal 200 € mehr‘ oder so etwas wird nicht ausreichen, das jedenfalls ist passiert während der Ampelzeit“, konstatierte Habeck. Stichwort Vermögensungleichheit. Gegen „radikale Vermögensungleichheit“ will er Repräsentation in Institutionen, aber auch eine „faire Behandlung“ vor Gerichten: „Also wenn Schwarzarbeit hart geahndet wird auf der Baustelle oder so und Cum-Ex-Geschäfte nicht, dann läuft das auseinander“, sagte Habeck.


Bündnis 90/Die Nabelschau: Als die Moderatorin sich nach einigen Minuten ohne Habeck-Intervention über Männer freute, die zuhören können, ging ein begeistertes Raunen durch die Halle. Mindestens genauso euphorisch lief die Begrüßung des Vizekanzlers als „Kinderbuchautor“ ab, der ja – „herzliche Grüße an Friedrich Merz“ – neun Jahre Regierungserfahrung habe. Habeck, sichtlich erfreut, lächelte viel angesichts so viel grüner Selbstvergewisserung.


Ebenfalls im Repertoire: Alte Habeck-Klassiker, die vor allem die eigenen Reihen beschwichtigen sollen, gespickt mit etwas Schärfe angesichts des nahenden Wahlkampfs. Der öffentliche Raum reagiere nicht auf Erfolge, sondern aufs Negative. Soll heißen: Die großen Ampel-Erfolge, konkreter wurde es nicht, kämen nur nicht richtig an. Habeck will künftig „Bündnisse als Konzept von Politik für eine Gesellschaft, die in der Lage ist, immer neue Gemeinsamkeiten auszuloten“. Im Unterschied, eh klar, zur Union: „Niemand in der CDU mag Markus Söder, aber sie sind eine Union“, sagte Habeck. Er wolle Mehrheiten lieber ausloten.

2.

Brombeer-Sondierungen in Thüringen gestartet

Die Sondierungsgespräche einer möglichen Brombeer-Koalition aus CDU, BSW und SPD in Thüringen haben gestern begonnen. Kurz vor dem Beginn der Verhandlungen sprachen sich die Landes-Jusos gegen eine Regierungsbeteiligung der SPD aus. Die musste zum Auftakt auch noch auf ihren Landeschef Georg Maier verzichten, der krank war.


Intensive Gespräche: Andreas Bühl, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU sagte, die Verhandler hätten „intensiv“ über die Themen moderner Staat und Haushalt gesprochen. „Sehr konstruktiv“ sei die Diskussionskultur gewesen, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer des BSW, Tilo Kummer. Die stellvertretende Landesvorsitzende der SPD, Katharina Schenk, sagte, sie sei zuversichtlich, dass sich die Gespräche weiterhin gut entwickeln werden. Am Mittwoch soll es weitergehen.


Die Gemeinsamkeiten: Matthias Diermeier vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) hat analysiert, wo sich die Verhandler schnell einig werden könnten und wo es hapern könnte. Bei der Problembeschreibung, sagte Diermeier, seien die Parteien gar nicht so weit voneinander entfernt, insbesondere bei wirtschaftlichen Fragen: „Es gibt einen Fachkräftemangel, es gibt zu viel Bürokratie und eine zu hohe Kostenbelastung.“ Auch was die Stärkung des ländlichen Raums angeht, sieht er Schnittmengen – bei der Daseinsvorsorge etwa, auch bei besseren Konzepten für den ÖPNV, bei der Digitalisierung und der Breitbandversorgung. „Unter dem Stichwort gleichwertige Lebensverhältnisse wird man sehr gut zusammenkommen“, sagte Diermeier SZ Dossier.


Die Unterschiede: Beim landespolitisch wichtigen Thema Schule und Bildung könnte es schon knackiger werden, sagte Diermeier. CDU und BSW könnten sich wohl relativ leicht darauf verständigen, sich auf Kernkompetenzen wie Lesen, Schreiben und Rechnen zu konzentrieren und Schulen nicht zu überladen mit allem, was darüber hinausgehe. Mit der SPD könnte es da schwerer werden, die Sozialdemokraten hätten da sicherlich „ein etwas anderes Bildungsverständnis“. Die CDU zum Beispiel fordert Schulnoten ab der 2. Klasse und außerdem sogenannte Kopfnoten für Fleiß und Mitarbeit, die SPD dagegen würde Noten bis zur 4. Klasse gerne mit „individuellen Beurteilungen und Entwicklungsgesprächen“ ersetzen. Und wo die Sozialdemokraten proklamieren, die Schule von morgen sei digital, will das BSW Smartphones und iPads aus Grundschulen verbannen.


Wie weit geht Wagenknecht? Am Ende entscheidend könnte aber ohnehin sein, was Sarah Wagenknecht von einer möglichen Regierungsbeteiligung hält. Wagenknechts Prämisse in der Sache geht so: Das BSW sei gegründet worden, um die Politik zu verändern. Diese Hoffnung ihrer Wähler dürfe die Partei nicht enttäuschen. Damit legt sie die Latte für eine mögliche Regierungsbeteiligung hoch – und verschafft sich und ihrer Partei eine Ausstiegsoption.

3.

Wer bald Post von Pistorius bekommt

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hat seine Pläne für einen neuen Wehrdienst konkretisiert. Das Modell, wonach künftig alle Männer, die 18 Jahre alt werden, einen Musterungsbogen ausfüllen müssen, hatte Pistorius im Juni vorgestellt. Sein Haus hat nun einen Gesetzentwurf vorgelegt, der erst vom Kabinett und dann vom Bundestag beschlossen werden soll.


Verpflichtender Fragebogen: Wie mein Kollege Georg Ismar schreibt, sieht er vor, dass „nur diejenigen Wehrpflichtigen erfasst werden und einer Verpflichtung zur Abgabe einer Bereitschaftserklärung unterworfen werden, die nach dem 31. Dezember 2006 geboren wurden“. Zunächst sollen also künftig alle ab 2007 geborenen männlichen Bürger Fragen zur Fitness, zum Bildungsabschluss und sonstigen Qualifikationen beantworten, und dazu, ob sie einen Basiswehrdienst mit einer Länge von sechs bis maximal 23 Monaten absolvieren wollen.


Für Frauen freiwillig: Erst dann würden sie zu einer persönlichen Musterung eingeladen. Es werde „dafür die Möglichkeit einer elektronischen Erklärungsabgabe geschaffen“ – das Ausfüllen des Fragebogens soll 15 Minuten dauern. Wer den Fragebogen nicht ausfüllt, muss ein Bußgeld bezahlen, dessen Höhe aber noch nicht feststeht. Auch Frauen bekommen ihn, für sie bleibt das Ausfüllen aber freiwillig. Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marcus Faber (FDP), hält das für falsch. „Ich finde, man müsste den Fragenbogen auch für Frauen verpflichtend machen“, sagte er der SZ. Eine Grundgesetzänderung sei dafür nicht notwendig, „weil das erst einmal nichts mit der ausgesetzten Wehrpflicht zu tun hat“, sagte Faber.


Die Truppe soll wachsen: Zunächst ist geplant – wahrscheinlich erstmals ab Mitte 2025 – dass 5000 Personen pro Jahr zusätzlich aufgenommen und ausgebildet werden. Später soll das dann auf 10.000 pro Jahr ansteigen. Von aktuell 181 000 Soldaten soll die Truppe auf 203.000 aufwachsen. Der deutsche Beitrag zur Nato-Bündnisverteidigung erfordert einen Umfang von zwischen 370.000 und 460.000 Soldatinnen und Soldaten.


Pistorius will rein: Derweil will sich der Verteidigungsminister bei der nächsten Bundestagswahl erstmals um ein Mandat für den Deutschen Bundestag bewerben, wie Georg Ismar berichtet – und zwar nicht in seiner Heimatstadt Osnabrück, sondern im Bundestagswahlkreis Stadt Hannover II.

4.

Die Infokampagne für die elektronische Patientenakte läuft an

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) gab gestern den Startschuss für eine bundesweite Informationskampagne zur elektronischen Patientenakte (ePA) im Widerspruchsverfahren. „Nach 20 Jahren Vorbereitungszeit sind es jetzt nur noch 100 Tage, bis die elektronische Patientenakte endlich kommt“, sagte der Minister gestern in der Bundespressekonferenz.


Lauterbachs Plan: Wie meine Kollegin Miriam Dahlinger in der heutigen Ausgabe des Dossiers Digitalwende berichtet, verspricht sich Lauterbach von dem Projekt eine bessere Versorgung und weniger Bürokratie. Außerdem soll es die medizinische Forschung voranbringen. Die Informationskampagne soll auf Plakatwänden, Flyern und in sozialen Netzwerken stattfinden. Außerdem soll ein bedrucktes „Infomobil“ durch Deutschland touren.


Roll-out: Zunächst wird die neue Architektur der neuen ePA ab dem 15. Januar 2025 in ausgewählten Modellregionen vier Wochen getestet. Erst danach soll sie bundesweit in die Fläche gehen. „Wir wollen ja auf keinen Fall, dass es eine Umsetzung gibt, die in der Praxis mehr Ärger macht, als sie hilft“, sagte Lauterbach. Bei der elektronischen Patientenakte handele es sich um „eines der größten IT-Projekte der Bundesrepublik“, sagte der Chef der Gesellschaft für Telematik (Gematik), Florian Fuhrmann. Einführung und Betrieb seien ein „hochkomplexes technisches Unterfangen“, das detailliert vorbereitet werde.


Steht die Technik? Markus Beier, Vorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes, forderte bessere technische Stabilität. Aus der möglichen Zeitersparnis dürfe kein Zeitverlust werden, weil Praxispersonal in IT-Service-Hotlines hingen. Er warnte davor, Ärztinnen und Ärzte mit den Fragen der Patientinnen und Patienten zum Start der ePA allein zu lassen.

Tiefgang

Wie die SPD sich vom Bürgergeld abgrenzt

„Nichtstun“, sagt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), wolle man „nicht mit Steuergeldern unterstützen.“ Das sei der Gesellschaft „nicht vermittelbar“. Er steht im Bundeskanzleramt und verteidigt den „Jobturbo“, der Geflüchtete schneller in Arbeit bringen soll. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ist gekommen und Andrea Nahles, die Chefin der Bundesarbeitsagentur, auch von den Jobcentern sind Vertreter da.


Der Druck auf die SPD in der Frage ist hoch. Aus der Opposition, weil zum Beispiel CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt fordert, Ukrainer wieder abzuschieben, wenn sie nicht arbeiten. Doch es geht nicht nur um Geflüchtete. Die Bürgergeldreform der Ampel ist nicht beliebt, im April dieses Jahres sprach sich etwa jeder Zweite laut ARD-Deutschlandtrend für Kürzungen aus. Der Koalitionspartner FDP findet das Bürgergeld generell zu hoch. Heil kündigte Anfang September öffentlichkeitswirksam eine Nullrunde im nächsten Jahr an – obwohl sie sich aus der Berechnungsmethode des Bürgergelds automatisch ergibt.


Vor wenigen Tagen veröffentlichte der konservative Seeheimer Kreis der SPD – zu ihm gehört auch Olaf Scholz – ein Strategiepapier zur Bundestagswahl. Man habe beim Bürgergeld die Qualifizierung von „Menschen mit Vermittlungshemmnissen in den Vordergrund gestellt“, heißt es darin. Die, die sich „komplett verweigern“, müssten mit Sanktionen belegt werden. Sieht der Seeheimer Kreis noch Nachbesserungsbedarf? „Wir müssen das Bürgergeld treffsicherer machen: Mehr Mitwirkungspflichten, Kürzungen bei Arbeitsverweigerung und spürbare Konsequenzen bei Schwarzarbeit“, sagte der Geschäftsführer des Seeheimer Kreises, Martin Heßelbarth, SZ Dossier. Heil drehe an diesen Stellschrauben bereits, dafür habe er „volle Rückendeckung“.


Bei der Veranstaltung im Bundeskanzleramt klingt Heil, übrigens Teil der Netzwerker, nicht der Seeheimer, ebenfalls kritisch in Sachen Bürgergeld. Es sei „keine Option“, wie aus Geflüchteten Langzeitarbeitslose würden. Dafür habe die Gesellschaft „kein Verständnis“.


Die SPD will zeigen, dass sie verstanden hat. Soziale Sicherheit war laut Umfragen von Infratest Dimap bei allen Landtagswahlen in Ostdeutschland das wichtigste Thema für die Wahlentscheidung. Kurz vor seinem Wahlsieg hatte Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke das Bürgergeld für Ukrainerinnen und Ukrainer infrage gestellt. Es soll nicht mehr klingen, als sei die SPD die Partei, die ihr Hartz-IV-Trauma durch ein semi-bedingungsloses Grundeinkommen ersetzt hat. Es gelte „ganz klar“: „Wer arbeitet, der muss auch mehr haben“, sagt Heßelbarth.


Mehr Lohnabstand zwischen Arbeitslosen und Arbeitenden will der Seeheimer Kreis durch Senkung der Lohnnebenkosten für Geringverdiener erreichen. Stattdessen sollen Spitzenverdiener „relativ höhere Beiträge zu den sozialen Sicherungssystemen leisten“. Die Mittelschicht soll durch eine Steuerreform entlastet werden, der Spitzensteuersatz von 42 Prozent erst ab einem Jahresbruttoeinkommen oberhalb von 80.000 Euro greifen, bei Verheirateten ab einem Bruttoeinkommen von 175.000. Der Höchststeuersatz (ab einem Einkommen von 278.000 Euro) soll von 45 auf 48 Prozent erhöht werden.


Für die Infrastruktur müsse mehr privates Kapital mobilisiert werden. „Dabei gilt für uns, dass wer viel hat, der muss sich auch angemessen beteiligen am Erhalt des öffentlichen Lebens. Insofern werden wir auch über die Einkommenssteuer reden müssen“, sagt Heßelbarth.


Ob das der richtige Weg ist? Julia Jirmann vom Netzwerk Steuergerechtigkeit begrüßt die Pläne, die arbeitende Mitte zu entlasten. Sie gibt aber zu Bedenken: „Wenn man die Mitte entlasten will, ist das ziemlich teuer.“ Wenn das Steuersystem Spitzenverdiener mehr belasten soll, bräuchte es laut Jirmann Instrumente wie eine Vermögenssteuer. „Über den Einkommenssteuertarif schafft man das nicht, weil Superreiche vor allem Vermögens- und Kapitaleinkommen erziehen, die nicht dem Einkommensteuertarif unterliegen“, sagt sie.

Fast übersehen

5.

Streit um Beitragsbemessungsgrenze: Die Ampel hat ein neues Zankthema, denn Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) blockiert die von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) geplante Anhebung der Beitragsbemessungsgrenzen in der Sozialversicherung, berichtete das Handelsblatt. Diese Grenzen legen fest, bis zu welcher Gehaltshöhe Beiträge für die Sozialversicherungen gezahlt werden müssen – und werden eigentlich jährlich angepasst.


Keine Entlastungen: Heils Entwurf sah nun vor, die Grenze im kommenden Jahr stark anzuheben, wodurch Gutverdiener deutlich mehr zahlen müssten. Aus Sicht des Finanzministeriums widerspricht das den im Wachstumspaket geplanten Steuerentlastungen. Damit „würden die entlastenden Effekte der Maßnahmen der Wachstumsinitiative konterkariert werden“, heißt es demnach in einem BMF-Vermerk.


Rechenspiele: Lindners Haus stört sich zudem grundsätzlich an der Berechnungsmethode und will Änderungen durchsetzen. Bislang richtet sich die jährliche Anpassung nach der Lohnentwicklung. Das BMF schlägt vor, stattdessen „auch die Bemessungsgrenzen mit der Inflationsrate fortzuschreiben“.

6.

Kretschmer auf die eins: Heute übernimmt Sachsen den Vorsitz der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK). „Die drängenden Fragen unserer Zeit – Migration, Energiepolitik und wirtschaftliches Wachstum – erfordern entschlossenes Handeln und klare Impulse“, sagte Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU). Er kritisierte, dass der Bund immer wieder im Schnellverfahren ohne ausreichende Abstimmungen Gesetze verabschiede, die dann „teilweise widersprüchliche Regelungen beinhalten und kaum sinnvoll umgesetzt werden können“.


Leipzig calling: Sachsen richtet die Jahreskonferenz vom 23. bis 25. Oktober in Leipzig aus. Schwerpunkte sind laut der Staatskanzlei die Themen Migration und die aktuellen Herausforderungen der Kommunen. Neben der Jahreskonferenz ist unter anderem für den 12. Dezember eine MPK geplant, an der auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) teilnehmen soll.

Unter eins

Bei Vermögen ist Deutschland auffällig ungleich. Da stimmt es auch, dass die Reichen immer reicher werden, weil große Vermögen haben die Eigenschaft, fast wie von selber zu wachsen.

Die Journalistin Julia Friedrichs bei der Sendung Hart aber fair über die ungleiche Vermögensverteilung in Deutschland

Zu guter Letzt

Die Probleme in der Ampel sind groß, da ist es ganz gut, wenn man sich als Parteichef auf Auslandsreise begeben kann. Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil ist seit gestern in Ankara, heute trifft er nach Informationen von SZ Dossier den türkischen Außenminister Hakan Fidan und reist dann weiter nach Istanbul.


Mit der türkischen Oppositionspartei CHP hat er ein Memorandum zur politischen Zusammenarbeit unterzeichnet, dabei verabredeten sie unter anderem jährliche Treffen zwischen den beiden Parteien.


Das Thema Migration spielte bislang offenbar keine Rolle. Dabei wäre das nach den Berichten über ein mögliches Abkommen zu Asylbewerbern zwischen der Türkei und Deutschland und dem schnellen türkischen Dementi durchaus interessant. Aus dem Innenministerium hieß es gestern, dass mit der Türkei „fortlaufend über migrationspolitische Themen“ gesprochen würde. Zu Details könne man sich nicht äußern.


Vielen Dank! An das Team in Berlin für Beiträge und Redigat, und an das Team in Australien für Schlusskorrektur und Produktion.

Feedback
Wir freuen uns über Ihre Meinung zum SZ Dossier.
author image
Email Icon

Florian Eder

Leiter SZ Dossier

author image
Email Icon

Valerie Höhne

Leitende Redakteurin