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Schwarz-Grün: Wo doch noch was geht

Mittwoch, 25. September 2024
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Von Valerie Höhne

mit Gabriel Rinaldi und Tim Frehler

Schnelldurchlauf:

Nervosität und Langeweile auf der Fraktionsebene +++ Ukrainischer Botschafter fordert Abkehr von „roten Linien“ +++ Die Pläne der Datenschutzbeauftragten für die elektronische Patientenakte +++ Was die Union in der Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie lieber nicht sehen will +++ Das BSW und der Umgang mit der AfD +++ Seehofer ist nicht zu Merkels 70. Geburtstagsfeier eingeladen



Guten Morgen. Der Wahlsieg der SPD in Brandenburg scheint die Vorstellungskraft des Kanzlers angeregt zu haben, die SPD könnte doch erfolgreich sein, auch mit ihm im Mittelpunkt und als einigende Kraft. Dass es Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke an harter Rhetorik nicht mangelte? Egal.


Das Land, erklärte er im Videoformat „Kanzler Kompakt“, sei gar nicht so gespalten. Er führe schließlich Gespräche überall im Land, „auf Marktplätzen“, „im Kleingarten“, „auf Volksfesten“. Sein Eindruck: So weit liege man in zentralen Fragen nicht auseinander. Überhaupt seien es „nicht die Lauten, die zählen“, sagte er.


Aufbruch in die Ambivalenz: Die Mehrheit im Land finde es richtig, der Ukraine zu helfen, wolle aber nicht, dass Deutschland „Teil des Krieges“ werde. Man unterstütze nun aber „alle diplomatischen Mittel, um zu einem gerechten Frieden zu kommen“. Dafür sei die Zeit.


Das führt zwangsläufig zu einem Sowohl-als-auch in Reden und Handeln. Dabei wünscht sich die SPD von Scholz doch endlich, in der Ampel aus der Moderatorenrolle zu kommen. Herzlich willkommen am Platz der Republik.

Was wichtig wird

1.

Nervosität und Langeweile auf der Fraktionsebene

Am 21. Dezember fahre sie nach Hause und kaufe hoffentlich Weihnachtsgeschenke, sagte eine führende Koalitionärin gestern auf der Fraktionsebene des Reichstags. Der Tag ist das neueste Ultimatum von FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner. Bis zu diesem Tag müsse die Ampel bei der Migration, der Wirtschaft und der Stabilität des Haushalts zu Beschlüssen kommen. Es war das große Thema am Rande der gestrigen Fraktionssitzungen.


Von „Nervosität“ bis „Langeweile“ reichten die Reaktionen, relativ deutlich machte es SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich. „Was die FDP macht? Ja, meine Güte“, sagte er. Dann: Schweigen. Das helfe doch nicht, wenn man radikaler in der Sprache würde. „Was soll ich dazu sagen, wenn das jede Woche kommt?“, war eine Reaktion von den Grünen.


Kein Ausstiegsszenario: Trotzdem wolle man an der Koalition festhalten und die jeweils wichtigen Themen zum Abschluss bringen. Eine Neuwahl, so der Tenor auf den Fluren, sei auch nichts, was man schnell mal organisieren könne. „Wir wollen an der Koalition festhalten. Es gibt kein Ausstiegsszenario. Wenn es das an anderer Stelle gibt, kann ich keinen daran hindern“, sagte Mützenich vor der Presse.


Der Kanzler der Arbeiter: Bundeskanzler Olaf Scholz sagte in der SPD-Fraktionssitzung: „Wir müssen alles dafür tun, um Arbeitsplätze in Deutschland zu kämpfen“. Das erfuhr mein Kollege Georg Ismar. Es könne nicht sein, dass die einzige Lösung sei, das Problem auf dem Rücken der Arbeitnehmer auszutragen. „Deshalb müssen wir etwas Patriotismus von den deutschen Unternehmensführern erwarten.“ So also will Scholz Momentum schaffen.


Migration polarisiert weiter: Auch an das Thema Energiekosten müsse man ran. Das zweite große Thema neben der Wirtschaft ist die Migrationspolitik. In einem offenen Brief fordern derzeit mehr als 2500 Parteimitglieder führende Sozialdemokraten auf, das Asylrecht zu verteidigen und Menschenrechte zu wahren. Bei der FDP wollen sie darüber wieder mit der CDU verhandeln – Kanzlerkandidat Friedrich Merz ist offen für Gespräche.

2.

Ukrainischer Botschafter fordert Abkehr von „roten Linien“

Die UN-Generalversammlung findet in diesem Jahr unter dem Eindruck der Krisen und Kriege im Nahen Osten, Afrika und Europa statt. UN-Generalsekretär Antonio Guterres sagte, Libanon dürfe nicht zu einem „zweiten Gaza“ werden. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu hat seine Reise nach New York aufgrund des Konflikts verschoben. Israelische Luftangriffe haben zuletzt nach Angaben des libanesischen Gesundheitsministeriums über 550 Menschen getötet, darunter auch Kinder. Ziel der Angriffe ist die Terrormiliz Hisbollah, die Israel vom Libanon aus mit Raketen beschießt. Die USA versuchen gemeinsam mit Verbündeten, die Ausweitung des Krieges zu verhindern.


Eine „Welt der Straflosigkeit“ beklagte Guterres, Regierungen könnten ohne Konsequenzen Völkerrecht missachten. „Sie können ein anderes Land überfallen, ganze Gesellschaften verwüsten oder das Wohlergehen ihres eigenen Volkes völlig missachten“, sagte er. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wirbt während der Woche für seinen „Siegesplan“ und will unter anderem weniger Einschränkungen bei Militärhilfen, zum Beispiel beim Einsatz von Waffen mit großer Reichweite. Mit dem Plan will er Russland an den Verhandlungstisch zwingen (SZ Dossier berichtete). Heute soll Selenskyj vor der Generalversammlung sprechen.


Ukrainische Linienkunde: Der ukrainische Botschafter Oleksii Makeiev hat die Unterstützer der Ukraine dazu aufgefordert, von roten Linien abzukehren. „Die roten Linien wurden ausradiert und es gab keine Reaktion Russlands“, sagte Makeiev im Gespräch mit SZ Dossier. „Es passiert nichts, wenn wir rote Linien überqueren“, sagte er. Man solle sie nicht „vor uns selbst“ zeichnen, sondern vor Russland. Kanzler Scholz aber hält an seiner restriktiven Linie fest.


Einfrieren „keine Variante“: Vor der aktuellen Debatte um Friedensinitiativen betonte Makeiev, dass keiner mehr Frieden wolle als die Ukraine. „Es muss aber ein gerechter Frieden sein. Einfrieren ist keine Variante, Gebietsabtretungen sind kein Thema“, sagte er. Die beste Garantie sei hingegen eine Nato-Mitgliedschaft. Große Sorgen bereiten Makeiev die anhaltenden russischen Luftangriffe: „Gleitbomben treffen jeden, sie sind der Fluch der letzten Monate.“

3.

Die Pläne der Datenschutzbeauftragten für die elektronische Patientenakte

Die neue Bundesdatenschutzbeauftragte Louisa Specht-Riemenschneider fordert einfache Möglichkeiten für Menschen ohne Smartphone, ihre elektronische Patientenakte (ePA) zu bearbeiten. „Diese Personen dürfen wir doch nicht im Stich lassen“, sagte sie meinen Kollegen Miriam Dahlinger und Matthias Punz vom Dossier Digitalwende. Als Lösung schlug sie „Terminals oder gesetzliche Beratungsstellen“ vor, mit deren Hilfe die Einstellungen in der elektronischen Patientenakte bearbeitet werden können. „Meine Großmutter wird sich nicht ans Handy setzen und Einstellungen in der elektronischen Patientenakte vornehmen“, sagte sie.

Weiterer Streitpunkt: „Bei der Authentifizierung für die ePA gibt es die Debatte, ob Nutzerinnen und Nutzer per Einwilligung das Sicherheitsniveau herunterstufen können, um den Anmeldevorgang zu vereinfachen“, sagte Specht-Riemenschneider. In anderen Ländern ist es beispielsweise schon möglich, sich per Face-ID oder Daumenabdruck anzumelden. In Deutschland sind die Hürden höher und es braucht etwa die elektronische Gesundheitskarte plus PIN. „Nur weil das andere tun, heißt das nicht, dass es der richtige Weg ist“, sagte Specht-Riemenschneider, ganz im Sinne des Datenschutzes.

E-Akte für alle: Ab kommenden Jahr wird allen gesetzlich Versicherten standardmäßig eine elektronische Patientenakte im Widerspruchsverfahren („Opt-out“) angelegt. Bisher galt „Opt-in“, Versicherte mussten also aktiv eine E-Patientenakte beantragen. Der Widerspruch soll laut Specht-Riemenschneider „einfach und barrierefrei“ angelegt sein. Sie wolle „Nutzerfreundlichkeit und Datenschutz“ bei der E-Akte verbinden.


Das ganze Interview können Sie (mit Digitalwende-Abo) hier nachlesen. Hier zum Test anmelden.

4.

Was die Union in der Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie lieber nicht sehen will

Die Unionsfraktion kritisiert die Erarbeitung der Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie durch das grün-geführte Umweltministerium, berichtete meine Kollegin Elena Müller vorab im Dossier Nachhaltigkeit. „Bundesumweltministerin Lemke dreht sich mit ihrer Kreislaufwirtschaftsstrategie buchstäblich im Kreis. Nichts geht voran, die Umsetzung ist unklar und die wirklich wichtigen Dinge bleiben liegen“, sagte die umweltpolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Anja Weisgerber, SZ Dossier. Zum Beispiel hätte die „Reform der ökologischen Lizenzentgelte“, also der Abgaben, mit denen das Recycling von Abfällen in Deutschland finanziert wird, reformiert werden müssen.


Was die Union will und nicht will: In dem Papier fordert die Unionsfraktion eine Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie, die auf „Wettbewerb, Kosten- und Ressourceneffizienz, Technologie- und Materialoffenheit und zielgerichtete Innovationen ausgerichtet“ sein müsse. Zudem wollen sie bei recyceltem Kunststoff mögliche verbindliche Einsatzquoten auf die Auswirkungen auf den Markt und den Zertifikatehandel prüfen. Nationale Alleingänge sollten vermieden werden. Das Verbot von Plastikstrohhalmen solle verhindert werden.


Kritik an der Erarbeitung: In dem Papier kritisiert die Union zudem die Konsensfindung. „Obwohl das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) enormen Aufwand für den Begleitprozess betrieben hat, scheint es nicht gelungen zu sein, die offen zutage getretenen Zielkonflikte einvernehmlich zu lösen“, heißt es in dem Antrag, der am Freitag beraten werden soll. Heute muss sich Lemke erst einmal den Fragen der Abgeordneten stellen.


Zum neuen Dossier Nachhaltigkeit: hier entlang.

Tiefgang

Schwarz-Grün: Wo doch noch was geht

Danyal Bayaz will über die Tonlage sprechen. Der Finanzminister der Grünen aus Baden-Württemberg ist am Montagabend in der Konrad-Adenauer-Stiftung zu Gast, offiziell, um über die Memoiren von Wolfgang Schäuble zu sprechen, inoffiziell auch, um mit dem CDU-Chef und designierten Kanzlerkandidaten Friedrich Merz auf einem Podium zu sitzen. Dass Merz die Grünen zum Hauptgegner der Union auserkoren hat, dass Markus Söder wenige Stunden zuvor abermals versprach, eine schwarz-grüne Koalition auf Bundesebene zu verhindern, sie als „No-Go“ bezeichnete: Das ist an diesem Abend weit weg.


Beinahe, als wäre man in der Zeit zurückgereist, als Schwarz-Grün von Laschet bis Söder, von Baerbock bis Habeck als Koalition der Zukunft galt. Gäbe es da nicht die Tonlage. Bayaz sagt, er wünsche sich, dass sich die demokratischen Parteien untereinander mehr gönnen könnten. Er möchte die Grünen nicht ausnehmen. Seine Partei müsse lernen, zwischen rechtsextrem und konservativ zu unterscheiden, in der Flüchtlingsfrage sei die Position der Union „legitim“, da müsse man „nicht gleich sozusagen mit der Keule kommen“. Merz nickt.


Rund drei Kilometer weiter wirbt auch Wirtschaftsminister Robert Habeck für mehr Kompromissfähigkeit in der Politik. Der Vizekanzler, der im Charlottenburger Renaissance Theater das Merkel-Buch des Journalisten Eckart Lohse diskutiert, sagt, man müsse wieder verstehen, dass Konflikte ein Land zusammenbringen können – und nicht spalten müssen. Schwarz-Grün kommt auch für ihn infrage, natürlich, Habeck aber sieht Unterschiede zur Merkel-Zeit. Der größte sei, dass die Union nicht mehr wisse, was sich gehöre. Mit dem BSW will sie regieren, mit den Grünen nicht?


Was also tun, um es besser zu machen? „Kommunikation und Sprache sind jedenfalls einen Versuch wert, dass man versucht zu erklären, was da passiert, dabei vielleicht auch unter mehr Einsatz der Person“, sagt Habeck. Der Person Habeck? Das gefiele Merz nun eher weniger. Seine eigene Tonlage passt der CDU-Chef an diesem Abend seinem Gegenüber an. Hätte er nur Grünen-Politiker wie Danyal Bayaz neben sich sitzen, so wirkt es, wären ihm Koalitionsverhandlungen mit den Grünen vielleicht sogar wünschenswert.


Beispiel Finanzpolitik: Er sei ein Anhänger der Schuldenbremse, sagt Bayaz. Er will da keine Missverständnisse aufkommen lassen, doch auch das reiche Baden-Württemberg müsse sich „zur Decke“ strecken, um die Schuldenbremse auf Landesebene einzuhalten. „Dann können Sie sich vorstellen, wie es in Nordrhein-Westfalen, Ostdeutschland, in der Hansestadt Bremen läuft“, sagt er. „Mit diesen fiskalischen Möglichkeiten, nach diesem sehr strengen Urteil in Karlsruhe, werden wir so einfach nicht weitermachen können. Das ist fiskalische Realpolitik.“


„Die Länder haben eine viel restriktivere Haushaltspolitik zu machen als der Bund“, sagt Merz mit Verweis auf die fehlende Konjunkturkomponente. Die Schuldenbremse auf Bundesebene will er beibehalten („Stellen wir uns mal einen kurzen Augenblick vor, was in der gegenwärtigen Koalition los wäre, wenn es diese Schuldenbremse nicht gäbe!“), doch über das Thema müsse man reden, weil „die Länder hier ein großes Problem“ haben.


Ihm gehe es vor allem um die Reihenfolge, er wolle mehr privates Kapital mobilisieren, um zum Beispiel über Investitionen in Infrastruktur zu sprechen. Das Geld sei eben an der falschen Stelle. „Wir investieren es nicht richtig“, sagt er. Die Diskussion über die Schuldenbremse dürfe erst geführt werden, wenn dieses Problem gelöst sei.


„Herr Merz, das Thema kommt auf Wiedervorlage“, retourniert Bayaz, entweder man reformiere die Investitionskomponente der Schuldenbremse, oder man traue sich an die Steuerpolitik, das sei wahrscheinlich „nicht ganz einfach“. Eine nächste Regierung müsse an das Thema ran, Bayaz plädiert für eine „Agenda 2030 oder 2035“. Die Strukturen müssten effizienter werden, sagt Merz. Und dann: „Was hindert uns daran, zu Beginn der nächsten Wahlperiode eine fünfstufige Steuerreform ins Werk zu setzen?“ Streit klingt anders.


Wäre da nicht die Wirtschaftspolitik, inklusive Habeck. „So wie es hier zurzeit in Berlin in der Wirtschaftspolitik läuft, ist ein Konsens mit uns nicht denkbar“, sagt Merz zu Bayaz. Sie sei „stark interventionistisch“ geprägt, von Fördertöpfen, Subventionen, Zuwendungen. Bayaz, nicht als Fan einer linken Wirtschaftspolitik bekannt, verteidigt seinen Parteifreund und baldigen Kanzlerkandidat nicht. Stattdessen verweist er auf die Förderpolitik des früheren CDU-Wirtschaftsministers Peter Altmaier, der darauf auch noch stolz sei. „Manchmal reden wir uns die Unterschiede auch größer, als sie sind“, sagt Bayaz. Immerhin, er sei beruhigt, dass die Worte von Merz gälten – nicht die aus der bayerischen Staatskanzlei. Valerie Höhne und Gabriel Rinaldi

Fast übersehen

5.

AfD unterstützt BSW: Die AfD im Bundestag will einen Antrag des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) unterstützen. In der Sache geht es dabei darum, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Der soll sich mit der Frage beschäftigen, ob die Corona-Maßnahmen verhältnismäßig waren. Wie AfD-Chef Tino Chrupalla gestern mitteilte, habe seine Fraktion beschlossen, sich dem Antrag des BSW anzuschließen. Und er fordere Friedrich Merz auf, „sich ebenfalls anzuschließen“.


Eine Frage des Umgangs: Das Vorgehen liefert ein Beispiel dafür, wie das BSW seine Beziehung zur AfD in Zukunft handhaben könnte. Parteichefin Sahra Wagenknecht fordert schon seit Wochen einen, wie sie sagt, „sachlichen Umgang“ mit der AfD. Sie verwendet dabei immer wieder ein Beispiel: Wenn die AfD sage, der Himmel sei blau, werde das BSW nicht das Gegenteil behaupten.


Auch gemeinsam reicht es nicht: Wer ihrer Partei jetzt vorwerfe, die AfD miteinzubeziehen, habe nicht verstanden, warum die AfD immer stärker werde: „Weil die Menschen bestimmte Anliegen haben“, sagte Wagenknecht. Und eines davon sei eben das Thema Corona. Man sollte das, was die Wähler möchten, sehr ernst nehmen, sagte die BSW-Chefin. Heißt: Wagenknecht bespielt ihre Themen – und wenn die AfD mitmacht, macht sie das eben. Beim BSW rücken sie deshalb nicht vom eigenen Kurs ab. BSW und AfD erreichen gemeinsam allerdings nicht das erforderliche Quorum von einem Viertel der Bundestagsabgeordneten, die sie dafür bräuchten.

6.

Karnivoren gegen Veganer: „Ich bin kein Freund davon, den Menschen zu sagen, was sie essen sollen“, sagte Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) gestern bei der Vorstellung des Ernährungsreports. Das Thema sei „sehr kulturkämpferisch aufgeladen“, sagte Özdemir und nannte die beiden Gruppen. Einen Gruß in die bayerische Staatskanzlei gab es ebenfalls: „Feldzüge“ von Politikern, siehe Markus Söder, seien da der falsche Weg.


Fakt ist allerdings auch: Nicht nur bei Söder, auch bei den meisten Deutschen kommt nach wie vor Fleisch auf den Teller, und zwar regelmäßig. Der Anteil von Vegetariern und Veganern stagniert bei acht beziehungsweise zwei Prozent, während die Zahl derjenigen, die täglich oder mehrmals täglich Fleisch essen, von 20 auf 23 Prozent steigt. Bei jungen Menschen ist das besonders ausgeprägt: 26 Prozent der 14- bis 29-Jährigen geben an, täglich Fleisch zu essen, im Vorjahr waren es noch 17 Prozent.

7.

Angst gegen Deutschland: Der CDU-Abgeordnete Norbert Röttgen hat sein Buch „Demokratie und Krieg“ vorgestellt, mit dabei war die finnische Außenministerin Elina Valtonen. Die Zeitenwende, die nicht nur in Deutschland begonnen hat, sei überall zu spüren, sagte Valtonen. Russland, sagte Röttgen, setze Angst gezielt als Waffe ein, auch gegen Deutschland. „Es ist rechtmäßig, dass es Teil der Selbstverteidigung der Ukraine sein muss, dass sie militärische Ziele auf russischem Territorium angreifen kann“, sagte Röttgen. Man dürfe den Ukrainern nicht die Hände auf dem Rücken zusammenbinden.


Neue deutsche Rolle: Die Konflikte, schreibt Röttgen in der Einleitung, seien nicht isoliert zu betrachten, sondern als „existenzielle Herausforderung für unsere Demokratie“. Er sieht eine neue Verschränkung von Innen- und Außenpolitik – und eine neue bedeutende Rolle Berlins: „Das ist neu und schwer und da kann man von außen auch ansetzen und uns verunsichern“, sagte Röttgen, „aber auch die objektive deutsche Rolle.“ Die Lage sei so zugespitzt, dass die Deutschen entscheiden müssten, wer sie sein wollen. Eine „wertegeleitete Führungsrolle Deutschlands“ wäre das, was Europa und die Welt braucht, stützte Valtonen seine Sicht. Sie könne aber verstehen, warum das schwierig sei. Und man sogar „Angst vor sich selbst“ habe.

Unter eins

Im Moment haben wir im Bereich Personenschutz über 500 Beamtinnen und Beamte. Im Bundestagswahljahr sollen 100 hinzukommen. Und danach noch einmal 100.

BKA-Präsident Holger Münch im Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland laut einer Vorabmeldung – das liege nicht nur an wachsenden Gefahren im Inland, sondern auch im Ausland

Zu guter Letzt

Heute wollen Kanzlerin Angela Merkel und die CDU ihren 70. Geburtstag feiern. Der war zwar schon im Juli, egal, Hauptsache, man ist jetzt zusammen. Sie wird sprechen, genau wie CDU-Chef und Parteifreund Friedrich Merz. Wie geht noch der Spruch? Freund, Feind, Parteifreund. Auf die Reden darf man gespannt sein.


Nicht eingeladen ist der frühere bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU). Er hege keinen Groll, sagte er meinem Kollegen Robert Roßmann. Wenn man in Rente gehe, solle man sich rechtzeitig darauf einstellen, dass man nicht mehr dabei sei.


Das Verhältnis Seehofer und Merkel ist geprägt vom Streit zwischen den Unionsfraktionen im Juni 2018 über die Migrationspolitik, als einige den Bruch der Bundestagsfraktion CDU und CSU fürchteten. „Eine der schlimmsten Folgen von Merkels Kurs ist das gefährliche Aufblühen der AfD“, sagte Seehofer. Zu Merkel habe er keinen Kontakt mehr, überrascht habe ihn das nicht. Die persönlichen Kontakte reduzierten sich, wenn die Funktion für andere nicht mehr nützlich sei.


Vielen Dank! Ans Team in Berlin für Beiträge und Redigat, an das Team in Australien für Schlusskorrektur und Produktion.

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Florian Eder

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