„Das ist kein leichter Wahlkreis“, sagt Thomas Jakob, als er SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert im südthüringischen Themar begrüßt. Der Wahlkreis trage „makabererweise“ die Zahl 18. Sie steht in rechtsextremen Kreisen für den ersten und achten Buchstaben im Alphabet, für A und H, für Adolf Hitler.
Jakob wirkt nicht wie einer, der versucht, schönzureden, was kaum schönzureden ist. Er ist Direktkandidat der SPD in Hildburghausen, es ist geradezu aussichtslos, in Themar hängt trotzdem ein Großflächenplakat von ihm. Er sagt, er sei über die Kandidatur sehr froh, aber auch, wie schwierig es inzwischen sei, Menschen zu finden, die sich zum Beispiel bei der Kommunalwahl aufstellen lassen wollten.
Kühnert ist nach Thüringen gekommen, um seine SPD im Wahlkampf zu unterstützen, er wandert eine Woche durch den Freistaat. Die Sozialdemokraten liegen bei sieben Prozent in den Umfragen, es könnte knapp werden. Vor ihnen liegen AfD (30 Prozent), CDU (21 Prozent), BSW (19 Prozent) und Linke (15 Prozent). Hinter ihnen die Grünen mit drei Prozent, und die FDP, so abgeschlagen, dass der Wert für sie nicht mehr ausgewiesen wird. Die SPD ringt in der Ampel mit der FDP, in Thüringen ringt sie mit dem Mitgliederschwund, der starken Linken. Und auch mit sich selbst.
Jakob wandert mit Kühnert und anderen Engagierten von Themar nach Beinerstadt, die Bäume im Wald sind hoch, Kräuter und Gräser reichen bis zum Knie. Früher, erzählt Jakob, hätte der Ortsverein Themar rund 50 Mitglieder gehabt. Inzwischen gebe es einen großen Ortsverein, der drei Kommunen umfasst. Es seien noch etwa 40 Mitglieder. Wenig später schaut man über weite Felder, am Horizont stehen einige Windräder, es sollen noch einige dazukommen, aber das Dorf Beinerstadt ist dagegen. Dass der Ort von der Windkraft profitieren könnte, ist offenbar egal.
Jörg Zinn, Kommunalpolitiker der Gruppe „Aktiv für Schleusingen“ erzählt von einer öffentlichen Veranstaltung vor fünf Jahren, auf der über Windkraftanlagen und Möglichkeiten für Bürgerbeteiligung informiert werden sollte, und vier Männer einen Sarg hineintrugen, der Sarg ein Symbol für den Kleinen Thüringer Wald. Kühnert erzählt von einer AfD-Abgeordneten, die, nachdem eine Windkraftanlage abgebrannt war, tagelang auf ihrem Telegram-Kanal nur darüber gesprochen habe – als wären die Anlagen besonders anfällig, und das der Beweis, dass Windkraft scheitern müsse.
Wie glaubt die SPD dagegen ankämpfen zu können? Kühnert sagt, die SPD lege den Fokus auf eigene Stärken. Sie will über den Mindestlohn sprechen, über kostenloses Mittagessen und mehr Weihnachtsgeld. Nicht mehr darüber, dass die AfD nicht stärkste Kraft werden dürfe. Das sei die Lehre der vergangenen Jahre, die Wähler goutierten diese Art der Auseinandersetzung nicht. Stattdessen brauche man eine „belastbare demokratische Mehrheit“, sagt Kühnert. Die SPD sei bündnisbereit mit allen demokratischen Parteien, dazu zählt auch das Bündnis Sahra Wagenknecht.
Kühnert erzählt in Thüringen gern die Geschichte von Journalisten aus Berlin, die kämen und überrascht seien, dass die Menschen vor Ort Fragen zu Rente, Pflege, Inflation hätten. Dass, so klingt es, nicht nur über Migration, AfD, Rechtsextreme und Waffenlieferungen gesprochen würde. Doch wenn man mit Kühnert in Thüringen ist, und mit den Menschen spricht, die sich für die SPD engagieren, sind beides dominierende Themen.
In Zella-Mehlis, einer Kleinstadt nahe Suhl, haben ein lokaler Tischtennisverein und die SPD am Vorabend der Wanderung zum Grillen eingeladen. Neulich, erzählt einer, seien beim Flyern drei Kinder auf ihn zugekommen, um die zehn Jahre alt, und hätten gefragt, ob sie bei den Grünen seien. Der Unterton sei nicht zu überhören gewesen. Eine andere erzählt, dass sie sich mit Menschen, die ins lokale SPD-Büro kämen, nur noch an der Tür unterhielte. Das politische Klima sei anders geworden, früher habe man eben gegen die CDU gekämpft. Da habe man keine Angst gehabt, niedergeschlagen zu werden.
Zwei Männer sind gekommen, beide in der SPD, beide aus Sonneberg, dem Landkreis, der inzwischen einen AfD-Landrat hat. Was ihn am meisten ärgere, sagt Rolf Müller, 76 Jahre alt, sei, wie auf SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich rumgehackt worden sei, nur weil er sich für Verhandlungen ausgesprochen habe. Der Mann, der daran etwas ändern könne, sitze im Kreml, entgegnet Thomas Hofmann, 59 Jahre alt. „Du bist zu jung, um meine Meinung zu verstehen“, sagt Müller. Valerie Höhne