Potenzial für Aufregung gab es genug: Einzel- oder Doppelspitze? Was wird aus Krah und Bystron? Wie wird das Ergebnis der Europawahl aufgearbeitet? Alles Fragen, über die beim Bundesparteitag der AfD massiver Streit hätte ausbrechen können. Dazu kam es in der Essener Grugahalle nicht. Die AfD wollte Geschlossenheit inszenieren, aber das gelingt nicht immer.
Vier Beobachtungen.
Wahlen disziplinieren: In zwei Monaten, am 1. September, wählen Thüringen und Sachsen einen neuen Landtag, drei Wochen später folgt Brandenburg. Die Wahlen sind für die AfD von großer Bedeutung: In allen drei Ländern ist die Partei momentan stärkste Kraft und will auf absehbare Zeit dort nicht nur Opposition sein. Der Blick in den Kalender könnte viele Delegierte dann doch davon abgehalten haben, die Parteispitze abzustrafen, um nach außen hin Einigkeit zu demonstrieren.
Eine Überraschung barg das Ergebnis trotzdem: Mit 82,7 Prozent erhielt Tino Chrupalla mehr Stimmen als seine eigentlich favorisierte Co-Chefin Alice Weidel, die auf 79,8 Prozent kam. Einen kurzen Einblick in ihr Seelenleben gab die AfD-Chefin dann am Samstagabend. Als sie auf das Ergebnis angesprochen wurde, sagte sie: „Sie meinen die fünf Stimmen?“ Es waren acht Stimmen, die Gegenfrage lässt aber den Schluss zu, dass es sie nicht ganz kaltließ, hinter Chrupalla gelegen zu haben.
Professionalisierung – ja, aber: Ein Netzwerk aus jungen AfD-Politikern treibt die Professionalisierung der Partei voran. Sie möchten mehr Geschlossenheit nach außen, weniger Chaos. Im Mittelpunkt steht der rheinland-pfälzische Bundestagsabgeordnete Sebastian Münzenmaier. Zu seinem Netzwerk gehören aber auch René Springer, der Landesvorsitzende aus Brandenburg, und René Aust, der neue Delegationsleiter der AfD im Europaparlament. Mit Alexander Jungbluth und Dennis Hohloch sitzen in Zukunft auch zwei Politiker aus Münzenmaiers Netzwerk im Bundesvorstand. Aus dieser Riege kam der Antrag, in der AfD einen Generalsekretär zu installieren – aus ihrer Sicht ein weiterer Schritt in Richtung Professionalisierung.
Im Vorfeld nährte der Antrag allerdings Spekulationen, Alice Weidel könnte die AfD bald allein führen, Chrupalla stürzen. Denn er sah vor, nicht nur einen neuen Posten zu schaffen, sondern einen anderen abzuschaffen, den des zweiten Bundessprechers. Dieser Passus wurde zwar entschärft, zwei Bundessprecher plus Generalsekretär wären möglich gewesen. Doch der Parteitag überwies den Antrag mit knapper Mehrheit in den Satzungsausschuss. Damit ist die Sache zwar verschoben, entschärft ist sie nicht.
Dämpfer am zweiten Tag: Ein anderer Schritt in Richtung Professionalisierung wurde am Sonntag ebenfalls verhindert. Landesverbände wie Bayern und Baden-Württemberg halten ihre Parteitage als Mitgliederparteitage ab. Das erschwert einerseits die Suche nach geeigneten Hallen, macht die Parteitage aber auch schwer zu kontrollieren. Ein Antrag der Parteiführung wollte die Landesverbände nun verpflichten, ab 5000 Mitgliedern Delegiertenparteitage durchzuführen. Weil dagegen Widerstand drohte, entschärften die Antragsteller um Parteichefin Weidel den Antrag zwar, ermöglichten den Landesvorständen sich mit Zwei-Drittel-Mehrheit doch für Mitgliederparteitage auszusprechen.
Doch auch das half nichts, der Antrag wurde abgelehnt. Die Wortmeldungen dazu im Saal zeigten, welches Risiko mit solchen Schritten der Professionalisierung, verbunden ist, die der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder „Altparteiisierung“ nennt. Die AfD nähert sich damit der Struktur anderer Parteien an. Dabei lebt sie auch vom Image, das genaue Gegenteil von SPD, CDU oder Grünen zu repräsentieren. Ein Delegierter sagte am Mikrofon: „Wir als AfD haben uns mal gegründet, um anders und besser zu sein.“ Es sei verlogen, direkte Demokratie zu fordern, sie aber nicht zu leben.
In Brüssel was Neues? Noch hat die AfD im Europaparlament keine neuen Partner gefunden. Die ID-Fraktion hat sie zuletzt rausgeworfen. In Essen gab die AfD nun bekannt, auch die ID-Partei verlassen zu wollen. Aus Wien kam derweil die Meldung, wonach die österreichische FPÖ, die ungarische Fidesz und die tschechische ANO sich zur gemeinsamen Fraktion „Patrioten für Europa“ zusammenschließen wollen. Vor allem mit der FPÖ fühlt sich die AfD eng verbunden. Daher die Frage, warum die AfD bei diesem Bündnis nicht dabei ist.
Weidel hält sich diese Option offen: „Kurzfristig werden wir nicht dazustoßen, aber wer weiß, was wir mittel- und langfristig machen“, sagte sie in einem Interview mit der ARD. Falls es denn an ihr liegt, das zu entscheiden: Diejenigen, die dabei sind, verbindet neben der Ideologie ein Grad der Professionalisierung, den die AfD nicht vorweisen kann, denn sie alle sind oder waren schon einmal in Regierungsverantwortung. Tim Frehler