Was kann die UN für die Ukraine tun? Im Gespräch mit SZ Dossier sagte Achim Steiner, Leiter des UN-Entwicklungsprogramms United Nations Development Programme (UNDP), die Vereinten Nationen seien ein „Spiegelbild dessen, was sich in der Welt abspielt“. Zum Beispiel im Sicherheitsrat. Dort wird jede Resolution gegen den Krieg von Russland blockiert. „Ich frage: Wäre es denn besser, wir hätten keinen Sicherheitsrat? Hier kann die ganze Welt die Spannungen, aber auch die Möglichkeiten zur Lösung, offen verfolgen“, sagte er. Derzeit aber sei die Lage eine „sehr frustrierende Realität“.
Dennoch gebe es Bereiche, in denen gerade das UNDP der Ukraine konkret helfen könne. Zum Beispiel bei den Stromnetzen. „Ein Land wie die Ukraine kann ohne Strom nicht überleben. Die Wiederherstellung der Stromversorgung ist wichtig, aber auch der Übergang zu einer grüneren Strominfrastruktur“, sagte er. Das UNDP habe global die Beschaffung von Transformatoren priorisiert, „große, komplexe Anlagen“, die jeweils bis zu 500.000 Menschen mit Strom versorgen können.
Auf der Wiederaufbaukonferenz für die Ukraine, die gestern und heute in Berlin stattfindet, kündigte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) gestern an, es würden 1000 weitere Generatoren und Tausende Solarmodule geliefert, zusätzlich zu rund einer Milliarde Euro Wiederaufbauhilfe aus den USA und der EU. Trotzdem fehlt der Strom, Wolodimir Selenskij sagte, Russland habe mehr als neun Gigawatt Leistung in den vergangenen Monaten zerstört, 18 Gigawatt habe das Land letztes Jahr gebraucht, um durch den Winter zu kommen.
Den Übergang zu grünerem Strom stelle die Ukraine selbst in den Mittelpunkt. „Im Sinne einer wettbewerbsfähigen Volkswirtschaft im Jahre 2030, weil eine Exportnation wie die Ukraine eine grüne Energieinfrastruktur aufbauen muss, aber auch weil es in der gegenwärtigen Situation die Resilienz des Landes stärkt“, sagte Steiner. Sie seien „dezentral und nicht so leicht zu zerstören“.
Early Recovery, also der frühe Wiederaufbau, sei für die Ukraine überlebenswichtig. „Eine der Stärken der Ukraine in diesem Krieg ist es, eine Volkswirtschaft, eine Verwaltung, eine Staatlichkeit am Leben zu halten“, sagte er, dafür bräuchten insbesondere Binnenflüchtlinge eine Perspektive.
„Wir können mit 3000, 5000 oder 10.000 Euro den Wiederaufbau einer Existenz ermöglichen, und dort einer Familie oder einem Haushalt die Möglichkeit geben, sich dort selber wieder zu ernähren. Die Alternative wäre, dass die Menschen keine Perspektive sehen, und in den Westen abwandern. Das wäre für die Ukraine langfristig schlecht und für den Rest Europas eine zusätzliche Belastung“, sagte er.
Ob Steiner einen Weg zum Frieden sieht? „Jeder Krieg hat irgendwann ein Ende. Die Frage ist, wann kommt man an einen Punkt, an dem die Konfliktparteien sich in der Lage sehen, Friedensverhandlungen zu führen. An diesem Punkt sind wir eindeutig nicht“, sagte er. Den großen Hebel wünscht er sich trotzdem. „In einer idealen Welt könnte die Weltgemeinschaft einen Krieg verbieten“, sagte er.
Dafür bräuchte die UN aber schärfere Mechanismen, um in Konflikte einzugreifen. „Es gibt die Vereinten Nationen seit 79 Jahren. Auch wenn wir scheitern, Frieden zu erhalten, mit dem Instrumentarium, das wir haben“, sagte er. Trotzdem gebe es viele Beispiele, in denen die UN als Vermittler Konflikte vermieden oder in Friedensverhandlungen eine zentrale Rolle gespielt hätten.
Mögliche weitere Maßnahmen: „Wenn ein Land selbst Partei in einem Konflikt ist, sollte es dann die Möglichkeit haben, seine Vetomacht zu nutzen? Bräuchte der Sicherheitsrat mehr Mittel, um in einen Konflikt einzugreifen?“, fragte Steiner. Bislang aber seien das theoretische Diskussionen. „Kurzfristig werden sie keinen Krieg zu Ende führen“, sagte er.
„Wir sind jetzt in einer Situation, in der es seit 1945 die meisten Konflikte, Flüchtlinge und Vertriebene gibt. Über 100 Millionen Menschen. Ist das Experiment Multilateralismus daher gescheitert?“, fragte er, beinahe mehr sich selbst als sein Gegenüber. „Nein“, konstatierte er, aber es sei „eben auch nicht die Wunderwaffe, von der manche geträumt haben“. Immerhin, auch das müsse man sehen, gebe es seit 80 Jahren die Gefahr eines Nuklearkriegs – der bisher immer erfolgreich verhindert wurde.