Drei Worte stehen auf der Pressewand hinter der grünen EU-Spitzenkandidatin Terry Reintke: „Einigkeit“, nächste Zeile, „gegen Rechts“, nächste Zeile, „für die Freiheit“. Einigkeit, Recht, Freiheit. Die Anlehnung an die Nationalhymne ist kein Zufall.
Die Grünen haben zum Wahlkampfauftakt geladen. Sie wollen in den nächsten vier Wochen vor der EU-Wahl am 9. Juni wieder das werden, was sie schon einmal waren: eine Partei der Mitte. Doch es wird ihnen schwer gemacht. Aus den eigenen Reihen, weil viele Grüne eben linker sind, als die Mitte es vorsieht.
Aber auch von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU). Sie buhlt weniger um die Gunst der Grünen als nach der vergangenen Europawahl. Damals verweigerten die Grünen ihr ihre Stimmen, von der Leyen wurde nur mit neun Stimmen Mehrheit zur Kommissionspräsidentin gewählt. In diesem Jahr hält sie sich offen, sich auch mit Stimmen der rechten EKR-Fraktion ins Amt wählen zu lassen und Politik zu gestalten.
Dabei wäre es so geschickt für die deutschen Grünen, vor der Bundestagswahl eine Allianz zwischen ihnen und den Konservativen zu schaffen. Sie versuchen, sich rhetorisch zu behelfen. Vor wenigen Jahren wäre das kaum denkbar gewesen, nun aber inszenieren sich die Grünen als Wohlstandspartei, pardon, als Hüterin des Wohlstands.
Reintke steht auf der Bühne und sagt, es gehe ums Klima, klar, aber „ganz zentral auch um unsere Wettbewerbsfähigkeit“. Wolle man ein „Player sein, auf den grünen Märkten der Zukunft“? Die Grünen wüssten schließlich, dass „grüner Stahl, grüne Industrie, dass grüner Wasserstoff die Job- und Wohlstandsmotoren der Zukunft sein werden“.
Es ist der Versuch, Klimaschutz zu machen, ohne ihn benennen zu müssen. Abgeschaut haben sich das die Grünen von den US-Demokraten, die mit dem Inflation Reduction Act (IRA) ein milliardenschweres Subventionsprogramm hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft aufgelegt haben. Vor wenigen Tagen sagte Biden, mit dem Report von „175.000 neuen Jobs geht das große amerikanische Comeback weiter“. Klimaschutz erwähnte er gar nicht. Das Wirtschaftsmagazin Forbes schrieb im Dezember des vergangenen Jahres, der IRA würde die Wirtschaft super aufladen, sei ein Supercharger.
Vielleicht bereuen es die Grünen, dass der Green Deal auf europäischer Ebene so heißt, wie er heißt. Das Grün steckt im Namen, es ist kaum rauszubekommen. Reintke sagt, sie habe zwei Botschaften. „Erstens: Wir müssen den Wirtschaftsstandort Europa erneuern, wir müssen unseren Wohlstand erneuern.“ Dafür brauche es den Green Deal, daran müsse weitergearbeitet werden. Sie hätten sich bewusst entschieden, den Begriff Wohlstand „in den Mittelpunkt zu stellen“, sagt Reintke. Die Brücke zu bauen zwischen Klimaschutz und Wirtschaft sei „die zentrale Herausforderung in diesem Wahlkampf“.
Reintkes zweiter Punkt: Rechtsautoritäre Kräfte dürften kein Teil von Mehrheiten im Europäischen Parlament werden. Für die Grünen ist von der Leyens Flirten nach rechts ein Problem.
„Unser Ziel ist es, mitzugestalten, darauf zielt unser Wahlkampf ab. Wenn Ursula von der Leyen wieder als Kommissionspräsidentin zur Wahl stünde, müssen wir in Verhandlungen darüber gehen, wie eine Mehrheit
für sie ausgestaltet werden kann“, sagt Grünen-Geschäftsführerin Emily Büning SZ Dossier. Doch klar sei, dass diese Mehrheit nicht mit den Rechten zustande kommen könnte. Sie zählt auf: „In der Fraktion der EKR sind Parteien wie die Vox aus Spanien, die Schwedendemokraten, die PiS aus Polen, Meloni aus Italien. Das ist eine rechtsextreme Fraktion. Wir werden nicht Teil einer Mehrheit sein, an der die EKR ebenfalls beteiligt ist.“
Für die Grünen der letzten Jahre ist es eine quasi neue Erfahrung: Sie werden nicht länger umgarnt – auch weil von der Leyens Erfahrung von ihrer Wahl 2019 bis zum jüngst großen Asylpaket ist, dass sie Kompromisse mit aushandeln, dann doch nicht zustimmen. Stattdessen sind sie von von der Leyens Entscheidung über Unterstützerinnen und Unterstützer abhängig, wenn sie sich weiter als pragmatisch präsentieren wollen.