Die Geschichte des 1. Mai und der Kampf um die Zeit
Süddeutsche Zeitung Dossier
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Dienstag, 30. April 2024
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Von Valerie Höhne

mit Gabriel Rinaldi

Schnelldurchlauf:

Hoffnung auf einen Geisel-Deal zwischen Israel und Hamas +++ SPD will „Goldene Regel“ statt Schuldenobergrenze +++ Bertelsmann-Studie fordert strategischere EU-Positionierung +++ Svenja Schulze wirbt für mehr Entwicklungszusammenarbeit +++ Das Deutschlandticket wird ein Jahr alt



Guten Morgen. „Wer hat's gesagt?“, fragte Grünen-Landwirtschaftsminister Cem Özdemir gestern Nachmittag auf X, und stellte dazu folgendes Zitat, bei dem es um alles, was lecker ist, ging, also um Fertigprodukte mit viel Salz, Fett, Zucker: „Wir lassen hier niemanden aus der Verantwortung. Dort, wo es hakt, wird nachgebessert & wenn nötig reguliert.“ Auflösung: Es war seine CDU-Amtsvorgängerin Julia Klöckner.


Seit Özdemir im Amt ist, kämpft er gegen den Zucker. Er hat eine Ernährungsstrategie verabschiedet, mehr Bio in Kitas und Kantinen ist das Ziel. Zudem soll die Nationale Reduktions- und Innovationsstrategie umgesetzt werden, die noch von der Großen Koalition verabschiedet wurde und die Fertigprodukte (ein bisschen) gesünder machen soll.


Man wolle niemandem vorschreiben, wie er zu essen habe, betont Özdemir stets. Der Industrie aber eben doch, was sie herstellt und auf den Markt bringt. Seit Özdemir gegen den Zucker kämpft, kämpft der Zucker gegen ihn. „Was kommt als Nächstes: Schwärzungen in Kochbüchern?“, fragte Christoph Minhoff, der Cheflobbyist der Lebensmittelindustrie, via Bild. Die Unions-Opposition erklärte Özdemir, und damit ihr eigenes Ex-Konzept, umgehend für „übergriffig“.


Wir überlegen uns schon mal ein großzügiges Frühstück für den 1. Mai, inklusive Nutella, Marmelade, Weißbrot. Am Tag der Arbeit machen wir Pause. Am 2. Mai sind wir zurück.

Was wichtig wird

1.

Leise Hoffnung auf einen Deal

Es sei ein „sehr, sehr großzügiger Vorschlag“, den Israel der Hamas gemacht habe, sagte US-Außenminister Antony Blinken gestern in Riad. Nur die Hamas trenne die Menschen in Gaza nun noch von einer Waffenruhe. In Riad hatten sich Außenminister arabischer Staaten mit den Außenministern westlicher Staaten, unter anderem den USA, Großbritannien und Deutschland, getroffen, um über den möglichen Geisel-Deal zu beraten. „Ich hoffe, dass Hamas sich auf diesen Deal einlässt“, sagte der britische Außenminister David Cameron.


Vertraulicher Austausch: Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) war ebenfalls beteiligt. „Die Außenministerin unterstrich, dass ein eigenständiger palästinensischer Staat als Teil eines umfassenden Friedensprozesses und einer Zweistaatenlösung klares Ziel deutscher Politik bleibe“, hieß es danach aus Delegationskreisen. Am Abend habe sie sich im vertraulichen Kreis mit arabischen und westlichen Amtskollegen ausgetauscht.


Bundesregierung sorgt sich um Zivilisten: 33 Geiseln sollen laut israelischen Medien bei dem Deal freikommen, im Gegenzug laut Cameron „möglicherweise Tausende“ Palästinenser aus israelischen Gefängnissen freigelassen werden. Offiziell sind noch rund 130 Geiseln in Gefangenschaft der Hamas, es ist aber unklar, wie viele von ihnen noch leben. Die westlichen Verbündeten fürchten die geplante israelische Offensive auf die Stadt Rafah, sollte der Deal nicht zustande kommen. „Sie wissen, dass wir eine groß angelegte Offensive auf Rafah ablehnen“, sagte Ministeriumssprecher Sebastian Fischer in Berlin. Das Auswärtige Amt habe in Gesprächen mit der israelischen Regierung seit längerem auf eine „Änderung der Operationsführung“ gedrängt, damit Zivilistinnen und Zivilisten in Gaza besser geschützt werden können.


Weitere Entwicklungen: Am Montag ist eine Delegation der Hamas in Kairo eingetroffen, um über den Deal zu beraten. In Israel forderten Tausende von der Regierung, die Freilassung der Geiseln zur Priorität zu machen. Und in Den Haag entscheidet der Internationale Strafgerichtshof heute darüber, ob er einem Eilantrag Nicaraguas, der Deutschland wegen Waffenlieferungen Beihilfe zum Völkermord vorwirft, stattgibt.

2.

Gefährliche Islamisten

Es klingt nach einem technischen Satz, den der Sprecher des Innenministeriums, Mehmet Ata, am Montag auf der Regierungspressekonferenz zur Gesamtzahl von möglichen Islamisten in Deutschland sagte: „Insgesamt ergibt sich für das Jahr 2022 aus den ausreichend gesicherten Zahlenangaben ein Personenpotenzial in Höhe von rund 27.000 Personen.“ Das sind, immerhin, 2,9 Prozent weniger als im Vorjahr, dennoch eine erschreckend hohe Zahl.


Grüner wählt harte Worte: „Islamisten haben bei uns nichts verloren, denn sie attackieren unsere offene und demokratische Gesellschaft“, sagte der grüne Innenpolitiker Marcel Emmerich SZ Dossier. Er forderte von den Behörden, Maßnahmen wie Vereinsverbote auf den Weg zu bringen, und von Innenministerin Nancy Faeser (SPD), das Islamische Zentrum in Hamburg „endlich“ zu schließen. Das Islamische Zentrum ist laut Verfassungsschutz ein „bedeutendes Propagandazentrum Irans in Europa“. Das Innenministerium prüft ein Verbot. Faeser hatte die Demonstrationen im Tagesspiegel als „schwer erträglich“ bezeichnet.


Behauptete Islamfeindlichkeit: Die Gruppe „Muslim Interaktiv“ hatte am Wochenende zu einer Protestaktion in Hamburg aufgerufen, Tausende waren ihrem Aufruf gefolgt, auf Plakaten forderten sie die Errichtung eines Kalifats. Laut Verfassungsschutzbericht 2022 zielten sie mit „Bildern und Aktionen“ auf Emotionen ab, indem sie „eine staatlich gesteuerte Islamfeindlichkeit behaupten und die deutsche Integrationspolitik als eine Art „Assimiliationsterror“ diffamieren. Die Gruppe ist auch auf sozialen Medien wie Tiktok aktiv, und spricht dort dezidiert nicht nur muslimische Jugendliche an.


Meinungsfreiheit: Die Hamburger Innenbehörde gab an, ein Verbot der Veranstaltung geprüft zu haben, doch sie sei verworfen worden. „Die Meinungsfreiheit gebietet, dass auch extremistische Meinungen in Versammlungen geäußert werden dürfen, selbst wenn sie sich gegen unsere Verfassung richten“, sagte Hamburgs Polizeipräsident Falk Schnabel dem NDR. Um solche Veranstaltungen zu verbieten, brauche es ein Vereinsverbot. Dazu aber äußerte sich das Innenministerium nicht.

3.

Die Goldene Regel

Das SPD-Wirtschaftsforum schlägt eine „Goldene Regel“ statt der derzeitigen Schuldenobergrenze in einem Papier zur Schuldenbremse vor. Der SZ liegt das Papier vor, Claus Hulverscheidt schreibt, sie würde es ermöglichen, Nettoinvestitionen in Schienen, Schulen, Digitalisierung und in Energieinvestitionen über Kredite zu finanzieren, also das Gute und Wahre. Autoren sind unter anderem der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Bernd Westphal, und die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger. Sie führen den politischen Beirat.


Lindner bleibt hart: Das Papier soll den Druck auf Finanzminister Christian Lindner (FDP) erhöhen, der aber auf dem Parteitag noch einmal gesagt hat, dass er die Schuldenbremse nicht lockern wolle. Sie sei, O-Ton, eine „Inflationsbremse“. In einem Gastbeitrag für die FAZ hatten Lindner und sein Kabinettskollege Marco Buschmann bereits Ende letzten Jahres ausformuliert, was sie von der „Goldenen Regel“ halten, die in Deutschland schon einmal galt.


Uferlose Investitionen befürchtet: Zunächst klinge sie plausibel. „Auch ein seriöser Kaufmann, so heißt es oft, nehme Schulden auf, um Investitionen zu tätigen. Daher müsse es auch dem Staat erlaubt sein. Gerade heute führen insbesondere jene den Satz im Munde, die die geltende Schuldenbremse kritisieren. Die Praxis des Haushaltsrechts führte jedoch zu einem praktisch uferlosen Begriff der Investition“, schrieben sie. Heißt: keine „Goldene Regel“ mit den Liberalen. Es wäre ja auch noch schöner, wenn Schulden schon für Konsumausgaben aufgenommen würden.


Kleinvieh macht auch Mist: Doch selbst in deren Reihen fragen sich manche, wie man die milliardengroße Haushaltslücke stopfen will. Fragt man danach, heißt es, es brauche viele verschiedene Instrumente, Kleinvieh macht ja schließlich auch Mist. Ein Sondervermögen für die Bundeswehr oder einen grundgesetzlich verankerten Infrastrukturfonds lehnt die FDP-Spitze ab. Alternativen aber hat sie auch nicht.

4.

Studie fordert strategischere EU-Geoökonomie

Angesichts steigender Spannungen und wachsender Abhängigkeiten hat die Europäische Union ein Arsenal an neuen geoökonomischen Instrumenten eingeführt, darunter Exportkontrollen und verschärfte Investitionsprüfungen. Dieser Werkzeugkasten sei zentral für die geopolitische und wirtschaftliche Resilienz der EU, heißt es in einer neuen Studie der Bertelsmann Stiftung, die heute veröffentlicht wird. So könne die EU ihre wirtschaftlichen Interessen aktiv verteidigen. Die Effektivität dieser Werkzeuge hänge aber stark von einer einheitlichen strategischen Ausrichtung und den Mitgliedstaaten ab.


Das könne die Wirksamkeit der Werkzeuge mindern. „Vergangene Handelskrisen haben gezeigt, wie schwer es den Mitgliedstaaten fällt, die Reihen zu schließen. Zu groß ist das wirtschaftliche Gefälle zwischen den Mitgliedstaaten und entsprechend weit auseinander gehen die Interessen“, heißt es in der Studie. Der Knackpunkt: Die Europäische Kommission kann überwiegend nur Vorschläge unterbreiten oder Empfehlungen aussprechen. Ob am Ende Exportkontrollen verschärft oder Strafen verhängt werden, liegt so gut wie immer in der Hand der Mitgliedstaaten, die im Rat mit qualifizierter Mehrheit abstimmen.


Lücken schließen: Es hänge jetzt viel von den Mitgliedstaaten ab, sagte Mitautor Etienne Höra SZ Dossier. Sie müssten es laut Studie schaffen, konsequent gemeinsam zu handeln und verbleibende Lücken zu schließen. Nur so könne die EU glaubhaft abschrecken. Dabei seien aber auch verstärkte Investitionen in ein zukunftsfähiges Wirtschaftsmodell und eine Vertiefung des Binnenmarkts wichtig. Die Studie legt nahe, dass die EU ihre neuen Instrumente nicht nur als Schutzschild nutzen, sondern auch proaktiv zur Förderung von Innovation und technologischer Entwicklung.


Kurzum: Die EU müsse eine strategische Akteurin werden, die nicht nur die Sprache der Handelspolitik spricht, sondern auch die der Außen- und Sicherheitspolitik.

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Tiefgang

Die Geschichte des 1. Mai und der Kampf um die Zeit

„Warum empfinden wir, dass die Zeit niemals reicht?“ ist der erste Satz des Buches „Alle Zeit“ der Publizistin Teresa Bücker. Es gibt kaum ein Datum, an dem diese Frage passender wäre als am 1. Mai. Einst im frühen Mittelalter als Walpurgisnacht gefeiert, wurde er im 19. Jahrhundert zum Kampftag der Arbeiterinnen und Arbeiter. Es ging, auch damals, vor allem um Zeit.


Chicago. 1. Mai 1886. Mit seiner Frau Lucy, die schwarz war, führte Albert Parsons an diesem Tag einen Streikmarsch an, dem sich 80.000 Arbeiterinnen und Arbeiter anschlossen. Das Ziel: der Acht-Stunden-Tag. Acht Stunden Arbeit, acht Stunden Freizeit, acht Stunden Schlaf. Die Gewerkschaften hatten zum Generalstreik aufgerufen.


In Chicago war der Generalstreik der Beginn der sogenannten Haymarket-Riots, die zur Geburtsstunde des 1. Mai als Tag der Arbeiter wurden. Ohne deutsche Auswanderer, interessanter Nebenaspekt, wäre es so nicht gekommen. Wenige Jahre zuvor, 1878, hatte Reichskanzler Otto von Bismarck das Sozialistengesetz erlassen, vollständig das „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“. Sozialistinnen, Anarchisten und Kommunisten waren ausgewandert, viele in die USA. Sehr viele nach Chicago.


August Spies, zu dieser Zeit bereits seit einigen Jahren in Chicago, war Chefredakteur und Herausgeber der örtlichen deutschsprachigen Arbeiter-Zeitung. Am 3. Mai 1886 hielt er vor deutschen und tschechischen Arbeitern eine Rede. Einige Arbeiter zogen von dort zu einer nahen Fabrik und warfen, damals schon eine Mode, Steine auf Polizisten. Die Polizisten schossen, mindestens zwei Arbeiter starben.


An dem Abend wurden Flugblätter gedruckt, „Arbeiter, bewaffnet Euch und erscheint massenhaft! Das Executiv-Comite“, war auf einem zu lesen. Spies fand das falsch, er sagte, er würde nicht sprechen, wenn die Zeile nicht entfernt würde. Neue Flugblätter wurden gedruckt, wenige Hundert Exemplare der originalen Version wurden nicht zerstört. Am nächsten Tag, dem 4. Mai 1886, rief Spies dazu auf, friedlich zu bleiben. Doch gegen 22:30 Uhr am Abend, nahe dem Ende der Kundgebung, stürmten, so beschreibt es der New Yorker, rund 180 Polizisten den Platz. Eine hausgemachte Bombe flog, die Polizisten schossen, am Ende waren sieben Polizisten und vier Arbeiter tot. Spies und Parsons wurden, gemeinsam mit anderen, zum Tode verurteilt und am 11. November 1887 gehängt.


Fast zwei Jahre später, am 14. Juli 1889, hundert Jahre nach dem Sturm auf die Bastille, kamen in Paris etwa 400 Delegierte zum „Internationalen Arbeiterkongress“ zusammen. Ein Who's who der internationalen Sozialistenszene, darunter Eduard Bernstein, Clara Zetkin, August Bebel und Wilhelm Liebknecht. Wieder ging es vor allem um den Acht-Stunden-Tag. Zetkin hielt eine Rede, nach der der Kongress beschloss, Frauen als „gleichberechtigte Mitkämpferinnen“ anzuerkennen. Am 1. Mai, so beschloss der Kongress, sollte international gestreikt werden, um den Acht-Stunden-Tag durchzusetzen – und den Toten vom Haymarket zu gedenken.


Es dauerte noch ein paar Jahre, doch seit 1918 ist der Acht-Stunden-Tag in Deutschland gesetzlich festgeschrieben. Der 1. Mai als Arbeiterkampftag blieb. 1919 wurde er einmalig in der Weimarer Republik als Feiertag begangen, 1933 kaperten ihn die Nationalsozialisten. 1956 begann in Westdeutschland die Kampagne „Samstags gehört Vati mir“, die neun Jahre später in die 40-Stunden-Woche mündete.


Die 40-Stunden-Woche aber ist, anders als der Acht-Stunden-Tag, kein Gesetz. Samstag gilt als Werktag (ungeachtet der Tatsache, dass Vati und Mutti nun samstags den Kindern meist gehören). 48 Stunden ist die wöchentliche Höchstarbeitszeit. Bücker fordert in ihrem Buch die 30-Stunden-Woche, denn Tätigkeiten wie Kinderbetreuung, Haushalt, Pflege seien in die gängige 40-Stunden-Woche nicht einberechnet. Die „Entpolitisierung der Zeit“ kritisiert sie.


Die Zeit ist, gerade jetzt, politisch wie nie. Die FDP plädiert für mehr Arbeitszeit, auch Wirtschaftsminister Robert Habeck, immerhin von den Grünen, deren Jugendorganisation kürzlich eine 20-Stunden-Woche erwog. Vielleicht also genau die richtige Zeit für den 1. Mai.

Fast übersehen

5.

Deutsche Entwicklungspolitik: Nicht mehr als südamerikanische Radwege? Die SPD-Entwicklungsministerin hat es nicht leicht. „Wenn man jeden zweiten Euro mit Export verdient, dann muss man auch zur Zusammenarbeit mit anderen Ländern bereit sein und Entwicklungspolitik ist ein ganz wichtiger Türöffner“, sagte Svenja Schulze SZ Dossier.


Das Geld ist aber knapp. Denn wenn es nach dem Finanzminister geht, müsste auch Schulzes Haus weiter Geld einsparen, schreibt Gabriel Rinaldi. „Haushaltsverhandlungen in dieser Stimmungslage sind nicht leicht“, sagte Schulze. Man habe schon in diesem Jahr, also dem Haushalt 2024, ganz erheblich zur Konsolidierung beigetragen, also gespart. Der Grundimpuls sei, dass Deutschland solidarisch sei, etwas tue gegen Hunger, Armut, systematische Benachteiligung. „Aber auch über das Moralische hinaus hat Deutschland ein Interesse an Entwicklungspolitik, denn die ist eine Basis für Wohlstand und für Frieden in Deutschland“, sagte Schulze.


Es gibt genug zu tun. In Afrika etwa verbreite Russland das Narrativ, der Westen kümmere sich nicht. „Und gleichzeitig wird in Deutschland für einen Rückzug ins Nationale agitiert. Diese Mischung ist brandgefährlich“, sagte Schulze. Etwas dagegen tun will sie unter anderem mit der Hamburg Sustainability Conference, die im Oktober nach dem Vorbild der Münchner Sicherheitskonferenz Entscheidungsträger aus der Nachhaltigkeit zusammenbringen soll. Weiter sparen jedenfalls will sie nicht.

6.

Happy Birthday: Das Deutschlandticket feiert morgen Geburtstag und mehr als elf Millionen Menschen in Deutschland feiern mit. Wie Vivien Timmler heute in der SZ schreibt, sind so viele Menschen im ersten Jahr durchschnittlich für 49 Euro mit Bus und Bahn durch Deutschland gefahren. Alles fein?


Halt, stopp: Wer genauer hinschaut, wie Ingo Wortmann vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), ist etwas differenzierter. Das Ticket sei zwar gut fürs Image der Öffis, es habe aber nicht die Autofahrer überzeugt. Zwar geben in Umfragen 16 Prozent der Nutzer an, das Auto jetzt häufiger stehen zu lassen. Aber: Knapp 90 Prozent aller Fahrten mit dem Deutschlandticket wären eh mit Bus oder Bahn zurückgelegt worden und nur acht Prozent der Abonnenten seien echte Neukunden. Um das Deutschlandticket wirtschaftlich zu betreiben, sagte Wortmann, müssten es 20 Prozent sein.


ÖPNV-Skepsis: Auch bei den absoluten Zahlen ist noch ordentlich Luft nach oben, denn das Ziel der Landesverkehrsminister waren 15 Millionen Ticketbesitzer, und zwar bis Jahresende. Hohe Wachstumsraten gehören aber der Vergangenheit an. Eine der Hauptursachen für die Zurückhaltung: schlechte Verbindungen und eine allgemeine ÖPNV-Skepsis bei den Befragten. Überfüllung, lange Wartezeiten, der Berliner kennt’s.


Wir merken uns: Wenn das Angebot nicht stimmt, hilft auch der gute Preis nicht.

7.

Noch kein Tatmotiv bekannt: Nachdem im oberbayerischen Murnau zwei ukrainische Soldaten, 23 und 36 Jahre alt, mutmaßlich von einem Russen erstochen wurden, gibt es noch immer kein Tatmotiv. „Das Motiv der Tat ist derzeit noch unklar, wobei eine politische Tatmotivation nicht ausgeschlossen werden kann und in alle Richtungen ermittelt wird“, teilte die Generalstaatsanwaltschaft München mit.


„Sehr viel Alkohol“: Täter und Opfer kannten sich. Die Polizei teilte mit, dass alle drei Alkohol konsumiert hatten, „sehr viel Alkohol“ sei laut dem bayerischen Innenminister Joachim Herrmann (CSU) im Spiel gewesen. Der Tatverdächtige lebt seit den 1990ern in Deutschland. Dennoch kann eine politische Motivation nicht ausgeschlossen werden, deswegen zog die Generalstaatsanwaltschaft den Fall an sich. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba lasse sich von seinen Diplomaten über den Fall berichten. Die Soldaten seien laut ukrainischen Medien zur Rehabilitation nach Kriegsverletzungen in Deutschland gewesen.

8.

Verplaudert: Vielleicht wollte er einfach zeigen, dass auch er, Marco Buschmann, FDP-Justizminister in der Koalition, viel mitbekommt. In der ARD-Sendung Bericht aus Berlin sagte Buschmann, man müsse „davon ausgehen, dass wir auch in den nächsten Monaten weitere Enttarnungen vornehmen werden“. Geheimnisse wollte er lieber nicht für sich behalten, die beschleunigte Verhaftung des Mitarbeiters Jian G. sei erfolgt, weil die Gefahr bestanden habe, dass der Verdächtige durch ein geplantes Interview mit einem Journalisten gewarnt worden wäre. „Sonst ist da nichts hineinzugeheimnissen“, sagte Buschmann.


Unverständnis: Seit Sonntagabend herrscht laut SZ-Informationen Fassungslosigkeit über Buschmanns Auftritt. Grundsätzlich würden Sicherheitsbehörden keine konkreten Maßnahmen ankündigen. „Dies gilt besonders im Kontext der Abwehr staatlicher Spionage- oder Einflussnahmeaktivitäten, die es weiter zu unterbinden gilt“, hieß es aus Sicherheitskreisen.

Zitat des Tages

Die Wahrscheinlichkeit, dass es einer von uns beiden wird, ist gegeben.

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) über eine mögliche Kanzlerkandidatur von ihm oder CDU-Chef Friedrich Merz

Zu guter Letzt

Immer diese Mitarbeiter. Bild berichtete vom Referatsleiter J. aus dem Verkehrsministerium, der statt seiner Tätigkeit dort nachzugehen, deutlich mehr Zeit in der FDP-Parteizentrale verbringe.


Verkehrsministeriumssprecher Tim Alexandrin machte sich in der Regierungspressekonferenz daran, „die Berichterstattung hier einmal klarzustellen“.


Also, der Reihe nach: Der Beamte habe ursprünglich im Wirtschaftsministerium gearbeitet, sei dort beurlaubt worden, um für die FDP tätig zu sein – seit seinem Wechsel ins Verkehrsministerium dürfe er noch acht Stunden in der Woche für die Liberalen arbeiten. Die Bild berichtete allerdings, dass sein Ministerialbüro leerstehe. Die Arbeitszeit für das Verkehrsministerium werde „erfasst“, hielt Alexandrin dagegen.


Die mechanische Stechuhr hatte ihr Gutes: Um zu verraten, wo die Arbeit geleistet wird, hätte sie heute noch eine Berechtigung.


Vielen Dank! An Florian Eder fürs Redigat, Gabriel Rinaldi für die Beiträge, Claus Hulverscheidt, Markus Balser und Constanze von Bullion für ihre Recherchen. Und an Michelle Ostwald und Team in Sydney für Schlusskorrektur und Produktion.

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Florian Eder

Leiter SZ Dossier

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Valerie Höhne

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