von Elena Müller und Tim Frehler
Diese Meldung stammt aus dem folgenden Briefing des Dossiers Platz der Republik:
Die Grünen haben sich gestern zu ihrem sogenannten Länderrat, einem kleinen Parteitag, im Berliner Westhafen getroffen. Auf dem Programm stand: Bilanz ziehen, aufarbeiten, neu orientieren. Ganz einfach ist die Sache aber im Moment nicht. Schließlich befindet sich die Partei in einer Phase, in der hinter vielen Aussagen ein „aber“ folgt. Tim Frehler berichtet.
Gegensätze I: Die Grünen hätten nicht alles erreicht, was sie sich vorgenommen haben, „aber wir haben mit Herzblut gekämpft“, sagte Parteichefin Franziska Brantner. „Sicherlich hätte man andere Themen stärker akzentuieren können“, aber angesichts von vier Mordanschlägen sei es nicht einfach gewesen, der Migrationsdebatte andere Themen entgegenzuhalten, sagte Ex-Kanzlerkandidat Robert Habeck. Die Ampelkoalition sei in Sachen Klimaschutz vielleicht so erfolgreich gewesen wie keine zuvor, aber die eigenen Leute hätten geglaubt, „wir haben zu wenig durchgesetzt“. Den anderen sei es hingegen zu viel gewesen, sagte Fraktionschefin Katharina Dröge.
Gegensätze II: Auch der Blick auf die Wählerwanderung zeigt, wie diffus sich die Lage vor den Grünen ausbreitet. Laut Infratest dimap haben sie einerseits 700 000 Menschen an die Linke verloren, aber auch 460 000 an die Union. Es sind mehr Menschen von der FDP zu den Grünen gewandert als von der SPD.
Potenzial für Streit hätte es beim Thema Migration geben können. Da hieß es in einem Änderungsantrag der Bundesarbeitsgruppe Migration und Flucht, die Grünen seien als „Menschenrechtspartei nicht mehr wahrnehmbar“ gewesen, hätten zu oft auf rechte Erzählungen reagiert, anstatt ihnen eine „klare Agenda entgegenzusetzen“. Letztendlich einigte sich der kleine Parteitag auf eine abgeschwächte und auf Ausgleich bedachte Formulierung. Weil das in sämtlichen Punkten gelang, gab es keine Abstimmungen über Änderungsanträge.
Nach der Wahl ist vor den Wahlen: Die Grünen wollen sich zwar neu ausrichten, sehen sich dabei aber eher am Anfang denn am Ende. Mit dem Parteitag sollen Prozesse starten, die es der Partei ermöglichten, Debatten wie die zur Zukunft der sozialen Sicherungssysteme oder zur Einwanderungsgesellschaft zu führen, sagte Franziska Brantner. Die „kommunikative und strategische Unklarheit“, die sie sich selbst in ihrem Leitantrag bei diesen Themen attestiert hatten, haben sie gestern dann auch nicht vollends ausgeräumt. Dafür nehmen sie sich offensichtlich Zeit.
Das Problem dabei ist aber: Im kommenden Jahr finden vier Landtagswahlen, die Wahl zum Abgeordnetenhaus in Berlin und drei Kommunalwahlen statt. Die Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer werden sich von der Bundesebene spätestens dann weniger Programmdebatten und mehr Rückenwind wünschen.