von Felix Kartte, Tim Frehler, Christina Brause und Benjamin Läpple
Diese Meldung stammt aus dem folgenden Briefing des Dossiers Schattenspieler:
Für das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) ziehen sechs Abgeordnete ins neue Europaparlament – getragen hauptsächlich von einer Person: Sahra Wagenknecht. Auf der Wahlparty im Berliner „Kosmos“, war sogar das WLAN-Passwort nach ihr benannt. Doch wer genau hat für die neu gegründete Partei gestimmt? Schauen wir uns die Analysedaten an.
Ungeahnte Anhängerschaft: Bekannt ist der Erfolg im Osten. Ein Bericht von Infratest Dimap, der SZ Dossier vorliegt, deutet aber auf eine weitere Stärke der Partei hin: Anhand von Nachwahlbefragungen haben die Fachleute ermittelt, dass unter befragten Muslimen 19 Prozent für das BSW stimmten. So hoch ist der Wert bei keiner anderen Partei. Zum Vergleich: Bei der SPD liegt er bei 17 Prozent, bei der Union bei zwölf. Sechs Prozent der muslimischen Befragten stimmten für die AfD, mehr als für die Grünen, die Linken und die FDP.
Sanfte Abtönung: Wie aussagekräftig die Zahlen sind, lässt sich nicht abschließend beurteilen. Das hänge unter anderem damit zusammen, wie hoch der Anteil der Muslime an der Gesamtzahl der Befragten war, sagte der Politikwissenschaftler Jan Philipp Thomeczek von der Universität Potsdam, der sich in mehreren Arbeiten mit Wagenknechts Partei beschäftigt hat. Zudem ist einerseits nur ein Teil der Muslime wahlberechtigt: Laut Angaben der Deutschen Islamkonferenz leben in Deutschland rund 5,5 Millionen Muslime, knapp drei Millionen besitzen die deutsche Staatsbürgerschaft, dürfen also wählen, sofern sie das entsprechende Wahlalter erreicht haben. Hinzu kommt zweitens: Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung gehen Menschen muslimischen Glaubens seltener zur Wahl. Das zeigte etwa eine Allensbach-Studie für die FAZ im Jahr 2021.
Auffällig ist der hohe BSW-Wert dennoch. Wie lässt er sich erklären? Thomeczek verweist einerseits auf die vielen Politiker mit Migrationshintergrund in den vorderen Reihen des BSW. Wagenknechts Vater ist Iraner, Amira Mohamed Ali, Co-Chefin des BSW, war einst die erste Muslimin an der Spitze einer Bundestagsfraktion. Shervin Haghsheno, stellvertretender Parteivorsitzender, wurde in Teheran geboren und kam mit zehn Jahren nach Deutschland. Und mit Amid Rabieh kommt ein weiterer stellvertretender Parteivorsitzender gebürtig aus dem Iran. „Das sieht man einfach nicht bei anderen Parteien“, sagte Thomeczek.
Kritisch aus Erfahrung: Der Politologe hält neben dem Personal des BSW auch die Einstellung unter einigen Muslimen für einen Erklärungsfaktor: Schließlich gebe es auch in dieser Gruppe „konservative Wertvorstellungen“, sagte Thomeczek. Wer etwa nach Deutschland eingereist sei, würde sich noch gut an diese Erfahrung erinnern, daran, wie schwer es gewesen sei, die Sprache zu lernen – und es nun als ungerecht empfinden, wenn „andere diesen harten Weg nicht gehen müssen“, sagte Thomeczek. Eine migrationskritische Einstellung, die zu Wagenknechts Programm passt. Und die vor allem in Kombination mit dem Aspekt Gerechtigkeit – ebenfalls ein wichtiger Pfeiler im Programm des BSW – gut bei muslimischen Menschen ankommen könnte, sagte Thomeczek.
Als Erklärung könnte aber noch ein weiterer Grund taugen: SZ Dossier berichtete Anfang Mai über einen Vortrag der Sozialwissenschaftlerin Naika Foroutan im Willy-Brandt-Haus. Es ging um das Wahlverhalten von Menschen mit Migrationsgeschichte. In diesem Zusammenhang berichtete Foroutan von einem Treffen mit muslimischen Akteurinnen und Akteuren. Grüne und SPD seien dort kein Thema gewesen, sagte Foroutan. Stattdessen habe einer, der sie eingeladen hatte gesagt, er wolle alle von der Strategie überzeugen, das BSW zu wählen – aufgrund der Haltung der Partei im Gaza-Krieg. Das BSW fordert etwa ein Waffenembargo gegen Israel, beantragte im April im Bundestag auch, Deutschland solle seine Rüstungsexporte an Israel stoppen.