Wenn die Ukraine bloß westliche Wortspenden bräuchte, um sich zu verteidigen, der Feind wäre längst geschlagen. Allein auf dem EU-Gipfel gab es gestern reichlich. Sie reichten Präsident Wolodimir Selenskij nicht, sagte er den versammelten Staats- und Regierungschefs laut einer Abschrift seiner Videobotschaft.
Er packte sie an der Ehre: „Leider ist der Einsatz von Artillerie an der Front durch unsere Soldaten eine Demütigung für Europa in dem Sinne, dass Europa mehr leisten kann. Und es ist wichtig, dies jetzt zu beweisen“, sagte er. „Die gesamte Luftabwehr, die der Ukraine insbesondere von europäischen Ländern zur Verfügung gestellt wird, hält unsere Städte und Dörfer am Leben.“ Aber „die vorhandenen Luftabwehrsysteme reichen nicht aus, um unser gesamtes Territorium vor dem russischen Terror zu schützen.“
Drei Beobachtungen, die zur Lageeinschätzung besser geeignet sind als warme Worte.
Er ist doch der Kanzler! Und er findet die Debatte also peinlich und lächerlich. Scholz’ jüngster Versuch, die Diskussion in Deutschland zu beenden, der zweite innerhalb weniger Wochen, fruchtete nicht bei den Freunden der Ukraine, weder in der Opposition noch der Regierung. Wenig ist so lächerlich wie ein Machtwort, das verhallt, wie ein Richtlinienanspruch, der vom Koalitionspartner öffentlich weggewischt wird: wie ein nackter Kaiser.
Ablenkungsdebatte: Was dem Kanzler und der SPD allerdings sehr gut gelang, unter tätiger Mithilfe der Union, war die Verlagerung der Debatte darüber, „wie wir die Ukraine noch besser unterstützen werden“, wie Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge sagte, ins Klamaukhafte: indem sie tun, als seien Indiskretionen aus dem Verteidigungsausschuss die eigentliche Frage und die Lieferung des Marschflugkörpers Taurus das entscheidende Problem für Kyiv und nicht der schließlich in Friedenswissenschaften ausgebildete Rolf Mützenich.
Kann sich die Ukraine auf Deutschland verlassen? Die Bundesregierung tut viel, vielleicht nicht genug, aber das gälte dann ebenso für alle anderen. Wie lange? Solange der SPD nicht die Gelegenheit winkt, Friedrich Merz dem Wahlvolk als einen darzustellen, der Deutschland in den Krieg verwickeln werde, und wenn auch nur aus außenpolitischer Tollpatschigkeit. Und so lange sie im Kanzleramt nicht laut sagen, was leise längst zu hören ist: dass es „deren Krieg“ sei, nicht unserer.