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Meldung

Ein Rechtsruck ermöglicht den Migrationskompromiss

Diese Meldung stammt aus dem folgenden Briefing des Dossiers Platz der Republik:

Mit der Einigung auf eine Reform des EU-Migrationsrechts in dieser Woche ist es den Unterhändlern von Rat und Parlament gelungen, Kompromisse zu schließen, obwohl die Parteien in ideologischen Kernfragen nach wie vor weit auseinander liegen. Wie das ging – und was zu tun ist, damit die Einigung hält und in der Zukunft trägt? Darüber habe ich mit Schinas gesprochen, dem zuständigen Vizepräsidenten der Europäischen Kommission. Ein erster Grund, warum es gelang: das Bewusstsein, dass das Fenster zu einer Einigung sich wieder schließen würde. „Wir waren an einem ‚Jetzt oder nie‘-Moment angelangt“, sagte der Politiker, der der Europäischen Volkspartei angehört. In der vorangegangenen EU-Kommission war Schinas als Sprecher Teil des Kreises um den Präsidenten Jean-Claude Juncker – und hat das Scheitern erlebt. „2016 bis 2018 hatten wir auch versucht, uns auf eine neue Asylreform zu einigen, und sind gescheitert“, sagte Schinas. „Es war klar: Wenn wir jetzt erneut scheitern, bekommen wir die Teile nicht noch einmal wieder zusammengesetzt.“

Zweitens half öffentlicher und selbst gemachter Erwartungsdruck: „Die Zeit war knapp bis zu den Europawahlen. Alle Parteien haben ein starkes Interesse daran zu zeigen, dass Europa bei den Themen, die den Menschen am wichtigsten sind, etwas erreichen kann.“ Der Unterschied in Deutschland: Das gemeinsame Interesse von Koalition und Union ist zwar da, das Thema vor den Wahlen abzuräumen – zu einer Verständigung hat es dennoch nicht gereicht.

Verpflichtet zur Freiwilligkeit: Kreativität war drittens hilfreich, und die Fähigkeit, ein Paradox in einen Rechtstext zu gießen. „Als wir vor über drei Jahren den Pakt entwarfen, wussten wir, dass wir etwas für alle auf den Tisch legen mussten“, sagte Schinas dem Platz der Republik. Eine „Landezone“ musste her, „in der wir die Spaltungen der Vergangenheit überwinden konnten.“ Eine komplexe Angelegenheit zwischen Nord und Süd und Ost und West sowie diametral unterschiedlichen Vorstellungen zwischen den Fraktionen im Europaparlament: Die einen wollten nicht ohne einen verpflichtenden Mechanismus zur Übernahme von Schutzsuchenden aus den Grenzstaaten – genau daran war 2016 aber der vorherige Versuch einer Einigung gescheitert. Mit der heutigen Regelung, die es Regierungen ermöglicht, die Übernahme durch Zahlungen zu ersetzen, „schlagen wir eine neue Seite auf, und diese Vereinbarung wird dazu beitragen, diese Wunden zu heilen“, sagte Schinas.

Der Zeitgeist, viertens, ermöglichte eine Einigung – zum Preis eben einer Verschärfung des Asylrechts, die auch auf nationaler Ebene von Regierungen aller möglichen Parteien betrieben wird. „Der Pakt wird von einer starken Mehrheit der liberalen, Mitte-Rechts- und sozialistischen Parteien unterstützt, die sich für eine bessere Zukunft einsetzen“, sagte Schinas; eine Spitze gegen die Grünen, die bei der EVP im Ruf stehen, im Europaparlament immer hart zu verhandeln und dann doch nie zuzustimmen. „Das entlarvt aber auch die anderen“, sagte Schinas. „Wer nicht für einen solchen ausgewogenen Ansatz stimmen kann, zeigt, dass er sich nicht wirklich für Lösungen einsetzt.“ 

Gestatten, Herkules M. Schinas: „Die Arbeit ist noch lange nicht beendet“, sagte er, und wenn nicht alles täuscht, verband er es mit einer Bewerbung, als griechisches Mitglied auch der nächsten Kommission nominiert zu werden. Für das nächste Mandat „steht die ebenso herkulische Aufgabe an, das umzusetzen, was jetzt vereinbart worden ist.“ Der Bau der Aufnahmelager an den Grenzen wird Geld kosten und dauern, der stärkere Fokus auf Abschiebungen ebenso. Die Kommission, sagte Schinas, hat im Rahmen der Halbzeitüberprüfung des (siebenjährigen) EU-Haushaltsrahmens „bereits zwei Milliarden Euro für die unmittelbare Umsetzung des Paktes vorgesehen.“

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