von Florian Eder und Gabriel Rinaldi
Diese Meldung stammt aus dem folgenden Briefing des Dossiers Platz der Republik:
Die Bundesregierung will sich mit einer weiteren Ausnahme von der Schuldenbremse aus ihrem Schlamassel befreien. Finanzminister Christian Lindner sagte am Donnerstag, auf dem Kabinettstisch werde in der kommenden Woche ein Nachtragshaushalt für 2023 liegen. Es brauchte aber eine Sprecherin und einen Tweet, damit klar wurde, was er ebenfalls mitteilen, wenn auch vielleicht nicht sagen wollte: Die Bundesregierung wird dem Bundestag vorschlagen, für das laufende Jahr eine außergewöhnliche Notlage zu erklären und so – gerade so – den Bundeshaushalt verfassungskonform zu machen. Dafür reicht eine einfache Mehrheit. Auf vier Dinge achten wir nun.Welche Not? Die Notlage, die nun noch im Dezember erklärt werden soll, ist kaum durch Einflüsse entstanden, die zu Jahresbeginn noch nicht absehbar gewesen wären. Anders als taktisch motiviert oder einigermaßen alternativloses Eingeständnis, dass der Haushalt 2023 juristisch anders nicht zu retten sein wird, ist das Vorhaben kaum zu lesen.
Worauf also wird die Begründung des außergewöhnlichen Schocks abheben – Gefahr für den Zusammenhalt der Ampel und damit für die politische Stabilität? Mit der dringenden Notwendigkeit, Zweifel an der Unfehlbarkeit des Bundeskanzlers auszuräumen, dem Ideengeber oder Urheber der nun kassierten Sondertöpfe? Der ehrliche, aber wenig salonfähige Grund: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus der vergangenen Woche, das den Pfusch derselben Bundesregierung monierte.
Es gibt hier nichts zu sehen: Einige Vertreter und Vertreterinnen der Koalitionsfraktionen waren in Gesprächen noch eine ganze Woche nach dem Karlsruher Urteil überzeugt, die Schrittfolge zum Bundeshaushalt 2024 ohne Weiteres einhalten zu können. Das hieß, ihre Nachtarbeit im ersten Teil der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses am vergangenen Donnerstag für recht bedeutsam zu halten; im geplanten zweiten Teil gestern abstimmen zu wollen; und ab Montag eine Haushaltswoche im Plenum bestreiten zu können.
Das wird nichts, aber der Verweis auf „Gründlichkeit vor Schnelligkeit“ hat dieser Koalition schon öfter geholfen, vermurkste Ansätze noch gerade zu ziehen. Nun ist er wieder zu hören: Nächste Woche jedenfalls wird kein Bundeshaushalt 2024 beschlossen.
Ob das in der nächsten regulären Sitzungswoche Mitte Dezember passieren soll, in einer Sondersitzung in der Woche darauf, der vor Weihnachten, oder erst im neuen Jahr, wer weiß: Dafür müsste die Regierung ja eine Antwort in der Sache darauf haben, wie die Vorgaben des Verfassungsgerichts mit den eigenen Ausgabenwünschen in Einklang gebracht werden sollen. Es herrscht maximale Orientierungslosigkeit und große Verwunderung darüber, wie es aus der SPD-Fraktion hieß, dass auch der Kanzler immer noch keinen Plan B verraten wolle (oder habe).
Schuldenbremse unter Feuer: Teilen der SPD-Fraktion kommt diese Lage nicht völlig ungelegen, wie mein Kollege Georg Ismar berichtet, zum Preis, dass ihr Kanzler dabei nicht sehr gut aussieht. Auch der Grünen-Parteitag, der noch das ganze Wochenende läuft, hat neben der Migrationspolitik ein weiteres heißes Thema bekommen: „Mit der Schuldenbremse, wie sie ist, haben wir uns freiwillig die Hände hinter dem Rücken gefesselt“, sagte Vizekanzler Robert Habeck am Abend in Karlsruhe, bezugnehmend auf andere große Industrienationen der Welt. „Und so wollen wir einen Boxkampf gewinnen? Die anderen wickeln sich Hufeisen in die Handschuhe, wir haben noch nicht mal die Arme frei.“
Wegner hat’s genommen: Der Berliner Regierende Bürgermeister Kai Wegner war gestern der erste Ministerpräsident, der seinem Parteivorsitzenden Friedrich Merz die Freude am Urteil der Vorwoche nahm: Er nannte die „derzeitige Ausgestaltung“ der Schuldenbremse „gefährlich“ und will sie ändern, auf dass sie nicht nur „Zukunftsbremse“ werde. Jetzt ein Wort aus Düsseldorf, und die Berliner Debatte – kurzzeitig geführt über einen verfassungskonformen Bundeshaushalt und eine zukunftsfeste Finanz- und Wirtschaftspolitik – ist wieder in der Kuhle angelangt, in die sie sich am liebsten schmiegt, bei der K-Frage der Union.
Was der Bundestag übrigens mit der geschenkten Plenarwoche anfängt? Heute kommt der Ältestenrat zu einer Sondersitzung zusammen.