Es ist erst rund zwei Monate her, dass Chinas Spionage in der EU ein Gesicht bekommen hat. Das von Jian G., einem chinesischstämmigen deutschen Mitarbeiter des AfD-Politikers Maximilian Krah im Europaparlament. Der Generalbundesanwalt hatte ihn festnehmen lassen, das Parlament ihn suspendiert – weil er EU-Interna an China weitergegeben haben soll. Geredet und geschrieben wurde seitdem viel über die AfD. Weniger über die Bedrohung, die von China ausgeht.
Influencer für ein makelloses Trugbild: Taiwan sei zwar seit Jahren das oberste Ziel chinesischer Einflussnahme, sagte Katja Drinhausen vom Mercator Institute for China Studies (MERICS). Doch auch in Deutschland und anderen europäischen Ländern ist China aktiv. Es gab mehrere Fälle in Europa, bei denen Influencer von chinesischen PR-Organisationen kontaktiert wurden, um ein positives Bild Chinas zu verbreiten, wie etwa der Fall MrWissen2go in Deutschland. Zudem arbeiten ausländische Studierende und Content-Creator in China teils für chinesische Staatsmedien, um ein künstliches Gegengewicht zu kritischen Stimmen zu schaffen.
China setzt auf viele Kanäle: Beobachten, so die Expertin, könne man das auf jeder Plattform, insbesondere aber auf X/Twitter und Youtube. Und Tiktok? Die globale Kommunikations-App chinesischen Ursprungs steht spätestens seit Donald Trumps Versuch, sie in den USA zu verbieten, stark unter Beobachtung. „Man muss aber aufpassen, nicht allein auf ein Unternehmen zu fokussieren“, sagte Drinhausen. Das verstelle den Blick auf die Vielschichtigkeit der chinesischen Strategie und den Umfang der Aktivitäten auf verschiedenen Plattformen.
Eliten umgarnen statt Chaos stiften: Chinas Strategie variiert je nach Land und Lage. Deutschland ist für Peking ein wichtiger Handelspartner. „Daher möchte China diese Beziehungen so lange wie möglich nicht gefährden“, sagte Drinhausen. Große Desinformationskampagnen, die Berlin zu einer Reaktion zwingen würden, wären kontraproduktiv. Im Gegensatz zu Russland erhoffe sich China auch nicht, westliche Staaten von innen zu destabilisieren, sondern könne stattdessen wirtschaftliche Drohmittel einsetzen. „In Deutschland versucht China daher, die öffentliche Meinung direkt über Eliten aus Wirtschaft und Politik zu beeinflussen.“
Warum tun, was Russland schon erledigt? Noch ein Grund, der erklärt, warum vergleichsweise selten von chinesischer Desinformation zu hören ist: Peking könne sich oft zurücklehnen und Moskau die Arbeit machen lassen. Die beiden Regime unterstützten sich sogar gegenseitig: Chinas Staatsmedien verbreiteten vielfach Kreml-Positionen und Desinformation weiter, teils im Rahmen von Kooperationsvereinbarungen mit russischen Medien. „Da wird quasi Narrativ-Hilfe geleistet“, sagte Drinhausen. Zwar teste die chinesische Regierung durchaus neue Möglichkeiten und Wege der Einflussnahme – experimentiere beispielsweise mehr mit Inhalten in Landessprachen, Bildern und Videos, aber auch Desinformation. Beim destruktiven Messaging sei China jedoch noch in der Lernphase und schaue sicher sehr genau an, was Russland mache.
Persönliche Netzwerke statt Social Media: Aktuell, so Drinhausens Einschätzung, habe China es jedoch gar nicht nötig, alle diese Instrumente einzusetzen. Stattdessen konzentriere sich Peking auf den nicht-digitalen Raum. 2023 wurden Delegationen linker und rechter Parteien nach China eingeladen. Das Ziel: neue Fürsprecher in der deutschen Politik zu finden. Wie erfolgreich die Volksrepublik damit ist, zeigt ein Blick in arabische Länder. Dort ist der Rückhalt für China zuletzt stark gestiegen. Das verwundert, wenn man etwa an die Umerziehungslager in der Region Xinjiang denkt. „China hat seit Jahren daran gearbeitet, mit persönlichen Kontakten und wirtschaftlichen Anreizen glaubhaft zu vermitteln, dass Berichte über die Uiguren westliche Desinformation seien.“ Um westlichen Vorwürfen mit Blick auf Xinjiang etwas entgegenzusetzen, würden bewusst Menschen aus Ländern mit einer großen muslimischen Bevölkerung wie in Indonesien angesprochen.