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Briefing

Platz der Republik,

Die kommunalen Kassen sind leer, die Perspektive schlecht

Guten Morgen. Finanzminister Lars Klingbeil hat dieser Tage viel zu rechnen – kaum ist der Haushalt für das laufende Jahr vorgestellt, geht es direkt weiter: Heute soll das Kabinett den Etat für das Jahr 2026 beschließen, Klingbeil stellt die Pläne am Mittag vor. Diese sehen Ausgaben von 520,5 Milliarden Euro vor. Und neue Schulden von insgesamt rund 174 Milliarden Euro.

Apropos Haushaltsloch: In den Kommunen sind die Kassen leer, das Defizit größer als je zuvor. Tim Frehler hat den Kommunalen Finanzreport im Tiefgang ausgewertet.

Willkommen am Platz der Republik.

1.

Selbst Kanzler Friedrich Merz hat zugegeben, dass die Hilfsaktion für die Menschen in Gaza per Luftweg eher ein Symbol ist: „Diese Arbeit mag humanitär nur einen kleinen Beitrag leisten“, sagte Merz nach einem Treffen mit dem jordanischen König Abdullah II. im Bundeskanzleramt. Dort hatten die beiden über den von Deutschland und Jordanien organisierten Abwurf humanitärer Güter aus der Luft gesprochen. „Aber sie ist ein wichtiges Signal: Wir sind da. Wir sind in der Region. Wir helfen“, sagte Merz weiter.

Der Hintergrund: Nach Angaben des Kanzlers sind zwei Maschinen vom Typ A400M der Bundeswehr in die Nahost-Region aufgebrochen. In Jordanien würden die Flugzeuge aufgetankt und ausgerüstet. Sie würden ihre Einsätze, bei denen sie Hilfsgüter über dem Gazastreifen abwerfen sollen, möglicherweise schon an diesem Mittwoch, spätestens aber ab dem Wochenende fliegen, fügte Merz hinzu. Seit vergangenem Sonntag werfen Flugzeuge aus Israel, Jordanien und den Vereinigten Arabischen Emiraten Hilfsgüter über dem Gazastreifen ab, nun beteiligt sich auch Deutschland.

Scharfe Töne von Hilfsorganisationen: Vertreterinnen und Vertreter mehrerer Hilfsorganisationen kritisierten am Dienstag die Aktion als ungenau, teuer und gefährlich: Riad Othman, Nahostreferent bei Medico International bezeichnete die Aktion in der Bundespressekonferenz als „Farce“ und „Imagekampagne, die die Bundesregierung nicht unterstützen sollte“. Die Mengen, die Deutschland über Gaza abwerfe, passten in einen Lkw. Zudem seien Abwürfe gefährlich, immer wieder würden Menschen von den fallenden Paletten erschlagen oder ertränken bei dem Versuch, Hilfsgüter zu retten, die im Mittelmeer gelandet sind.

2.

Weitreichende Präzisionswaffen, 10 000 zusätzliche Stellen, neue Luftverteidigungssysteme: Die Wunschliste der Bundeswehr ist lang und es fließen bereits viele Milliarden Euro in militärische Ausrüstung. In den Zentralen deutscher Hilfsorganisationen sieht man bei den Investitionsplänen mit Staunen zu. Zwar laufen auch im Generalsekretariat des Deutschen Roten Kreuzes in Berlin die Vorbereitungen für den Ernstfall. Im Unterschied zur Bundeswehr allerdings kommt hier bislang nur wenig zusätzliches Geld an. Deutschlands größte Hilfsorganisation schlägt nun deshalb Alarm und warnt vor gefährlichen Defiziten: „Die Bevölkerung ist im Krisenfall kaum geschützt“, sagt der Generalsekretär des Roten Kreuzes, Christian Reuter, der SZ, wie Markus Balser berichtet.

Es fehlt an eigentlich allem. Dabei ist klar, was das Land im Ernstfall bräuchte. „Laut Weißbuch der Bundeswehr muss der Staat ein bis zwei Prozent der Bevölkerung unterbringen und versorgen – also zwischen 800 000 und 1,6 Millionen Menschen“, sagt Reuter. „Bislang aber klappt das nur für einige Zehntausend.“ Das Rote Kreuz befürchtet einen Mangel in vielen Bereichen. „Egal, wo Sie hinschauen: Es fehlt an funktionierenden Schutzräumen, an Vorräten für eine Krise, an Kapazitäten in Krankenhäusern und an Medikamenten wie Antibiotika. Wo die Ressourcen sind, um Bürger in der Krise zu helfen? Die haben wir in den meisten Fällen nicht“, stellt Reuter klar.

Nicht genug Geld eingeplant: Und so schnell dürfte sich daran auch nichts ändern. Denn im Haushalt für das laufende Jahr ist kein Umsteuern zu erkennen. „Das eingeplante Geld reicht nicht hinten und nicht vorne“, klagt Reuter. „Für den Bevölkerungsschutz sind 2,5 Milliarden Euro jährlich im Haushalt nötig. Eingeplant ist für 2025 derzeit nur die Hälfte. Das ist nicht akzeptabel.“

Deutschland als Drehscheibe: Dabei drängt die Zeit. Bei der Bundeswehr geht man davon aus, dass für die Vorbereitung eines möglichen Ernstfalls wenig Zeit bleibt. Russland könne 2029 dazu in der Lage sein, Nato-Gebiet anzugreifen. Im Bündnisfall käme Deutschland eine Drehscheibenfunktion zu. Internationale Truppen würden über die Bundesrepublik an eine mögliche Front im Osten Europas verlegt. Deutschland würde zum Zentrum für Aufmarsch und Logistik – und deshalb möglicherweise auch zum Ziel weitreichender russischer Raketenangriffe. Zudem müssten im Fall der Fälle wohl verwundete Soldaten in Deutschland versorgt werden.

3.

Die EU hat für das Zollabkommen mit Trump zugesagt, aus den USA binnen drei Jahren fossile Brennstoffe im Wert von 750 Milliarden US-Dollar zu importieren – also 250 Milliarden jedes Jahr. Es wäre das Gegenteil von Resilienz: Die EU würde aus einer Energieabhängigkeit – von Russland – in die nächste fallen, diesmal von den USA.

Der Plan gilt als nicht umsetzbar. Weder in Brüssel noch in Washington können die Behörden den Händlern und Rohstoffkonzernen ihren Energiehandel diktieren – schon gar nicht beim ultra-flexiblen US-Flüssiggas (LNG), berichtet Christiane Kühl im Dossier Geoökonomie. Da wolle sich niemand drei Jahre lang jedes Jahr zu großen Mengen verpflichten, erwartet Anne-Sophie Corbeau, Expertin für europäische Gasmärkte am Center on Global Energy Policy der Columbia University in Paris.

Auch das Ziel selbst ist unrealistisch. Laut Rystad Energy beliefen sich die gesamten US-Energieexporte 2024 auf 318 Milliarden US-Dollar, davon gingen etwa 74,4 Milliarden US-Dollar in die EU, wie die US-Nachrichtenseite Semafor berichtet. Um die Zusage zu erfüllen, müsste die EU also ihre Einkäufe von fossilen Brennstoffen aus den USA mehr als verdreifachen – und die USA müssten den Verkauf an fast alle anderen Länder einstellen.

Grüße aus Absurdistan: Die ganze Verrücktheit wird deutlich bei der Gesamtschau. Insgesamt importierte die EU 2024 für 375 Milliarden Euro Brennstoffe. Die 250 Milliarden Dollar pro Jahr aus den USA des Zollabkommens entsprechen rund 217 Milliarden Euro. Die EU müsste also knapp 60 Prozent ihrer Energieimporte aus den USA beziehen, um den Deal zu erfüllen. Eine irrwitzige Quote.

Anfang April bekamen sie es in den Städten und Gemeinden schriftlich: Das Loch in den kommunalen Haushalten ist so groß wie noch nie seit der Wiedervereinigung, gut 25 Milliarden Euro beträgt es. Und laut dem Kommunalen Finanzreport der Bertelsmann Stiftung sollten sich die Kämmerer auch keine allzu großen Hoffnungen machen, dass sich daran schnell etwas ändert. „Der Ausblick für die kommunalen Finanzen ist pessimistisch“, heißt es in der Studie, die heute veröffentlicht wird.

Die Analyse der Fachleute zeigt gleich mehrere beunruhigende Tendenzen: So fallen Regionen, um die es ohnehin schon nicht gut bestellt ist, weiter zurück. Hart errungene Konsolidierungserfolge aus der Vergangenheit drohen verloren zu gehen. Und dann ist da noch der Umstand, dass Städte und Gemeinden in Zukunft Milliarden für Klimaschutz und Klimaanpassung ausgeben müssten, gleichzeitig aber einen Investitionsstau von gut 216 Milliarden Euro vor sich herschieben.

Die Ursache für die Krise der Kommunalfinanzen sehen die Autoren des Berichts – anders als in früheren Jahren – weniger auf der Einnahmen- als auf der Ausgabenseite: Allein die Personalkosten hätten sich in den vergangenen zehn Jahren „nahezu verdoppelt“. Verantwortlich dafür seien der Stellenzuwachs und die Tariferhöhungen. Durch die Inflation stiegen zudem die Ausgaben, um Gebäude zu bewirtschaften, Dienstleister zu bezahlen und Büros auszustatten; der Anstieg in diesem Bereich belaufe sich in den vergangenen beiden Jahren auf 26 Prozent, heißt es in dem Bericht. Im gleichen Zeitraum stiegen auch die Sozialausgaben – um ein Viertel auf 85 Milliarden Euro. Die Steuereinnahmen hingegen stagnierten wegen der schwachen Konjunktur.

Wie hoch die Lebensqualität in einem Ort ist, hängt auch damit zusammen, wie viel die Stadt oder die Gemeinde in Kitas, Schulen, Straßen oder Sportanlagen investieren kann. Bayerische Kommunen führen diese Liste seit Jahren an – gefolgt von Baden-Württemberg. Die Autoren des Berichts beobachten über die Zeit aber, dass sich eine Gruppe von Ländern herauskristallisiert, die „im Investitionsverhalten den Anschluss verlieren“. Dazu zählen sie das Saarland, Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen.

Als wichtiger Krisenindikator der kommunalen Haushaltslage gelten sogenannte Kassenkredite. Denn die Kommunen nutzen sie nicht, um damit Investitionen zu tätigen, sondern um laufende Ausgaben zu bezahlen. Wie sich die Kassenkredite gerade entwickeln, bereitet den Fachleuten allerdings Sorgen: „Nach sieben Jahren des Abbaus steigen diese seit 2023 bundesweit wieder an“, teilt René Geißler mit, er ist Mitautor der Studie und Professor für öffentliche Verwaltung an der TH Wildau. Die Kassenkredite sind zwar vorrangig ein Problem in Nordrhein-Westfalen, allerdings drohen laut Geißler in Ländern, die wie das Saarland oder Rheinland-Pfalz zuletzt Hilfsprogramme für ihre Kommunen aufgelegt haben, „die hart errungenen Erfolge der vergangenen Jahre angesichts neuer Defizite verloren zu gehen.“

Die Autoren der Studie formulieren aber auch Ansätze, um die Situation zu verbessern. Wichtig sei etwa, dass die Bundesländer die Mittel aus dem Sondervermögen Infrastruktur „möglichst umfassend und unbürokratisch an die Kommunen weiterreichen“. Um außerdem privates Kapital zu mobilisieren, schlagen sie einen öffentlich-privaten Investitionsfonds vor. Außerdem plädieren sie dafür, die Umsatzsteuer anzupassen und so die „strukturelle Unterfinanzierung der Kommunen dauerhaft zu entschärfen“. Zudem müsse das Konnexitätsprinzip strikter eingehalten werden.

Diese Vorschläge, so die Autoren, sollten schnell angegangen werden. Eher langfristiger Natur seien hingegen Ansätze wie die Übernahme zusätzlicher Soziallasten durch den Bund, eine Reform der Gewerbesteuer oder die Bundesbeteiligung an der Übernahme der Altschulden.

von Tim Frehler

4.

Rückzug: Jette Nietzard zieht sich von der Spitze der Grünen Jugend zurück. Sie werde im Oktober nicht erneut als Sprecherin des Nachwuchsverbandes kandidieren, sagte Nietzard gestern in einem Video auf Instagram. Die 26-Jährige war in der Vergangenheit immer wieder durch Provokationen aufgefallen, zum Unmut auch der eigenen Partei.

Kein leiser Abgang: Auch bei ihrem Rückzug sparte Nietzard nicht mit Kritik an den Grünen. Ihr Ziel sei es immer gewesen, Menschen in Machtposition zu kritisieren, sie sei stolz, immer nach oben und nie nach unten getreten zu haben, sagte sie. Ihr Ansatz sei aber auch deswegen an seine Grenzen gekommen, weil die Grünen lieber den Kampagnen „irgendwelcher rechter Medienhäuser hinterhergelaufen sind, statt sich mit ihren eigenen Leuten zu solidarisieren“. Sie bleibe aber Parteimitglied und Mitglied der Grünen Jugend, kündigte Nietzard an.

Apropos Grüne: Nietzard forderte die Partei zu einem Linksschwenk auf. „Megatolle Papiere“ zu schreiben, nütze nichts, wenn man versuche, aus allen Lagern Stimmen zu gewinnen, sagte sie. Ihre Positionen seien in der Partei nicht immer auf Gegenliebe gestoßen, sie sei in Fraktionssitzungen ausgebuht worden oder vom Spitzenpersonal der Realos angeschrien worden, sagte Nietzard. Schon seit einiger Zeit sei daher klar, dass sie keine Zukunft in diesem Bundesvorstand haben könne. Und wenn es die Parteispitze nicht schaffe, dass die Anfeindungen gegen sie endeten, dann ziehe sie eben die Konsequenzen, sagte Nietzard.

5.

Anfangsverdacht: Die Universität Potsdam prüft die Doktorarbeit der CDU-Bundestagsabgeordneten Saskia Ludwig auf Plagiate. Uni-Präsident Oliver Günther sprach von einem „hinreichenden Anfangsverdacht“. Die Vorprüfung könne „einige Monate“ dauern, sagte er der dpa. Ludwig hatte ihre Dissertation 2007 an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät eingereicht. Die Plagiatsvorwürfe waren vor gut einer Woche vom Journalisten und Plagiatsexperten Jochen Zenthöfer erhoben und zuerst von der FAZ berichtet worden.

Harte Linie: Ludwig selbst verwies auf einen öffentlich zugänglichen Link zu ihrer Arbeit und schrieb auf X, jeder könne sich „sein eigenes Bild machen“. Politisch heikel ist der Fall, weil Ludwig zuvor selbst eine harte Linie vertreten hatte: In der Debatte um die Plagiatsvorwürfe gegen Frauke Brosius-Gersdorf forderte sie auf X deren sofortiges Ruhenlassen des Lehrstuhls, solange die Vorwürfe nicht ausgeräumt seien.

Die baltischen Staaten können sich jederzeit auf die Solidarität und die Unterstützung der Bundesrepublik Deutschland verlassen.

Bei seinem Besuch in der litauischen Hauptstadt Vilnius sichert Vize-Kanzler und Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) den Partnern an die Ostflanke der Nato die Solidarität Deutschlands zu

Ihnen wird sicher schon aufgefallen sein, dass der Name dieser Rubrik nicht immer etwas Gutes bedeutet. Heute zum Beispiel: Weil ein Gehege des Nürnberger Tiergartens für die darin lebenden Guinea-Paviane zu klein wurde, sah sich der Zoo in letzter Konsequenz dazu gezwungen, zwölf Tiere zu töten.

„Jahrelang“ habe der Zoo abgewogen, die Tiere zu töten, was letztlich „alternativlos“ gewesen sei. Alle Versuche, die Paviane in anderen Einrichtungen unterzubringen, waren nach Angaben des Zoos erfolglos. Diese Aktion sei keine einmalige gewesen, kündigte Zoo-Direktor Dag Encke gestern an: Auch in den nächsten Jahren werde der Tiergarten Paviane für den Erhalt der Population töten müssen.

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