Regelmäßig erklingt das Klagelied, die Deutschen arbeiteten zu wenig, um im internationalen Wettbewerb mithalten zu können. Das betrifft die Diskussion um sozialabgabenfreie Überstundenzuschläge ebenso wie die drohende Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland. Dabei wird eine Frage gern übersehen: Nicht, wie lange – sondern: wie effizient die Deutschen arbeiten.
Dabei stehen die Deutschen nicht besonders gut da. Das aber liegt nicht an Faulheit, sondern an den Rahmenbedingungen. Zentrale Messgröße für den Erfolg einer Volkswirtschaft: Statt auf die Wochenarbeitszeit sollten Politik und Öffentlichkeit besser auf die Arbeitsproduktivität schauen. Sie gilt als wichtiges Maß für die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft.
Sinkende Produktivität bedeutet, dass mit gleichem Einsatz des Faktors Arbeit weniger Güter und Dienstleistungen produziert werden. Die Zahl ist damit entscheidend für das Wirtschaftswachstum.
Ins Minus gedreht: Gemessen als BIP je Arbeitsstunde stieg die Arbeitsproduktivität im Zeitraum von 1990 bis 2022 zwar an, allerdings in immer geringerem Maße. Anfang der 1990er Jahre wurden, auch dank der deutschen Wiedervereinigung und der Produktivitätsfortschritte in Ostdeutschland, noch hohe Raten von deutlich über zwei Prozent verzeichnet. Seither sinken sie – mit einem starken Einschnitt von minus 2,6 Prozent anlässlich der Finanzkrise 2009.
In den Jahren 2023 und 2024 dann erneut der Dreh ins Negative: Die Arbeitsproduktivität der Deutschen schrumpft seither, laut Statistischem Bundesamt um minus 1,0 beziehungsweise minus 0,4 Prozent. Gleichzeitig stiegen sowohl Löhne als auch Sozialabgaben und damit die Lohnstückkosten.
Logisch scheint das nicht. Schließlich herrscht in Deutschland seit Jahren Rekordbeschäftigung. Die Digitalisierung verspricht zusätzliche Produktivitätsgewinne. Nicht zuletzt steigen Qualifikation und Akademisierungsgrad der Beschäftigten seit Jahren, der Anteil der einfachen Arbeit nimmt hingegen ab.
All das sollte doch dafür sorgen, dass mit selbem Aufwand mehr produziert wird, nicht weniger. Woran hakt es also? Deutschland ist mit diesem Rätsel nicht allein. Praktisch alle großen, entwickelten Volkswirtschaften haben mit diesen Entwicklungen zu kämpfen.
Schon vor Jahren, als sich die Stagnation abzuzeichnen begann, gaben Bundeswirtschafts- und -finanzministerium ein Forschungsgutachten zu diesem Thema beim IfW Kiel in Auftrag. Auch am DIW und beim Statistischen Bundesamt macht man sich schon länger Gedanken. Die Wissenschaftler finden verschiedene Erklärungsansätze.
Vergrößerung des Dienstleistungssektors: Tatsächlich haben einige Wirtschaftszweige mit geringer Produktivität – etwa das Gesundheits- und Sozialwesen – in den vergangenen Jahren vergleichsweise viele Beschäftigte hinzugewonnen. Das erklärt aber allenfalls einen kleinen Teil des bremsenden Effekts.
Zunehmende Bürokratisierung der Arbeitswelt: Eine andere Veränderung der Beschäftigungsstruktur ist gewichtiger. Jobs, die der Bewältigung bürokratischer Anforderungen dienen, gewinnen an Bedeutung. Sie schaffen aber keinen wirtschaftlichen Mehrwert. Negativ auf die Produktivität der Angestellten wirken sich den Fachleuten zufolge zudem eine mangelhafte Infrastruktur und Digitalisierung aus – beides bremst effektives Arbeiten.
Fachkräftemangel: Dass fehlende Arbeitskräfte die Produktivität senken, ist nur auf den ersten Blick kontraintuitiv. Zwar könnte man annehmen, dass dann mit weniger Fachkräften dieselbe Arbeit erledigt wird. Vielmehr ist es jedoch so, dass stattdessen Aufträge abgelehnt werden müssen, wie Umfragen der Industrie- und Handelskammern immer wieder ergeben.
Klimakrise und Umwelt: Nicht unbedingt auf der Hand liegend und dennoch einflussreich sind Faktoren, die gern vergessen werden. DIW-Präsident Marcel Fratzscher verweist in der Zeit auf Studien, denen zufolge der menschengemachte Klimawandel und die daraus resultierenden Hitzetage die Arbeitsproduktivität, besonders in Industrie und Bau, um bis zu zehn Prozent senken können. Nach Schätzungen des Bundesarbeitsministeriums gehen demnach allein durch Hitzetage jährlich rund drei Millionen Arbeitstage verloren.
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