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Briefing

Platz der Republik,

Nicht faul, aber ineffizient

Guten Morgen. Auch wenn es sich gerade nicht nach Sommer anfühlt, politisch ist nicht mehr viel los. Die parlamentsfreie Zeit füllen viele Politiker mit Sommerreisen und Sommerinterviews, die zuletzt mal mehr, mal weniger Durchschlagskraft entwickelten. Auch beliebt: Sommertouren mit Wählerinnen und Wählern in der Heimat.

Das Kabinett war aber noch fleißig. Die wichtigsten Ergebnisse der Sitzung haben wir für Sie zusammengefasst. Apropos Fleiß: Warum die Deutschen nicht so viel arbeiten, wie Kanzler Merz es gerne hätte, lesen Sie im Tiefgang.

Willkommen am Platz der Republik.

1.

Die Bundesregierung macht Tempo bei der Aufrüstung: Das gestern vom Kabinett beschlossene Bundeswehr-Planungs- und Beschaffungsbeschleunigungsgesetz soll Bürokratie abschaffen, Munition und Waffensysteme schneller beschaffen und der Aufbau neuer Stützpunkte beschleunigen. Konkret sollen unter anderem die Pflicht zu Ausschreibungen bei Rüstungsaufträgen sowie die Umweltstandards etwa beim Kasernenbau gelockert werden, berichten Sina Schweikle und Bastian Brinkmann in der SZ.

Die Zeit drängt: Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sprach in Berlin von einem richtungsweisenden Gesetz, schließlich sei der „Faktor Zeit“ angesichts der Bedrohung durch Russland entscheidend. Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) betonte, dass alle Rüstungsgüter, aber auch zivile vom Gesetz erfasst würden. „Die Bundeswehr muss schneller, effizienter, einfacher und technologisch auf der Höhe der Zeit beschaffen können“, sagte sie. Das Gesetz soll zunächst für zehn Jahre gelten.

Schneller und einfacher ausschreiben: Im Detail sieht der Gesetzesentwurf vor, dass in dringenden Fällen komplett auf eine Ausschreibung verzichtet werden kann. Zudem müssten größere Aufträge nicht mehr in kleinere Ausschreibungen aufgeteilt werden. Bislang, so Pistorius, habe man nur Aufträge unter 15 000 Euro ohne förmliches Vergabeverfahren erteilen können. Diese Schwelle soll nun auf 443 000 Euro angehoben werden. So könnten nach Angaben des Verteidigungsministers fast 8000 Aufträge schneller bearbeitet werden.

SPD macht Ausnahme: Der Gesetzentwurf soll der Rüstungsindustrie mehr Planungssicherheit geben, damit Kapazitäten hochgefahren werden können. In der Vergangenheit hatte die Rüstungsindustrie immer wieder beklagt, ihr fehle es an langfristigen Aufträgen und. Für die Bundeswehr räumt die SPD auch extra eine bürokratische Hürde weg, für die sie lange gekämpft hatte: Im sogenannten Tariftreuegesetz ist eine Ausnahme für die Verteidigung vorgesehen. Die Ausnahme sei nötig, weil die Bundeswehr wieder aufrüsten und viele Bauaufträge verteilen müsse, schreibt das Arbeitsministerium in der Gesetzesbegründung.

2.

Die Bundespolizei bekommt eine neue Waffe: Neben Einsatzstock, Reizstoffspray und Schusswaffe werden die Beamtinnen und Beamten künftig mit einer Elektroschockpistole („Taser“) ausgestattet. Das hat das Kabinett gestern beschlossen und einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt, der noch vom Bundestag beschlossen werden muss. Der Entscheidung war ein jahrelanger Prozess vorausgegangen; die Einführung der Taser bei der Polizei war immer wieder Thema. Es gibt immer wieder Kritik an den Geräten: Die Taser können beim Einsatz gegen Menschen etwa mit Herzerkrankungen oder Herz-Kreislauf-Problemen zu gesundheitlichen Folgen führen.

„Moderne Sicherheitspolitik“: Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) ist jedoch überzeugt vom Nutzen der neuen Waffen und sprach gestern von „moderner Sicherheitspolitik“. Der Einsatz von Tasern sei „bei unserer Polizei zwingend notwendig“ und ein „geeignetes Mittel, um auf die gestiegene Bedrohung der Polizei im öffentlichen Raum zu reagieren.“ Mithilfe der Taser könne man Personen mit Schlag- oder Stichwaffen auf Distanz halten.

Weniger traumatisierte Beamte: Neben einer deeskalierenden Wirkung führt der Einsatz der Taser dazu, dass weniger Einsatzkräfte durch den Gebrauch einer Schusswaffe belastet würden: „Schusswaffengebrauch führt zu langen Ausfallzeiten“, so der Innenminister. Der Gesetzentwurf zur Einführung der Taser nennt den Einsatz der Schusswaffe „stets das letzte Mittel der Wahl“.

Fünf Millionen Euro eingeplant: Die Geräte waren in der Vergangenheit bereits testweise im Einsatz und werden laut Dobrindt nun flächendeckend eingeführt. Zunächst sollen 10 000 Geräte angeschafft werden. Im Haushalt 2025 seien dafür fünf Millionen Euro eingeplant, für die Folgejahre jeweils die gleiche Summe, die bei Bedarf aufgestockt werden könne, sagte der Innenminister.

3.

Die FDP will „mutige, innovative Reformpartei“ werden. Groß denken, das wollen die Liberalen also wohl auch in einer Welt ohne Ex-Parteichef Christian Lindner. Aber anscheinend will die Partei auf dem Weg dahin den eigenen Leuten besser zuhören. Das lässt zumindest ein Papier zur ersten Sitzung der „Grundsatzprogrammkommission“ verlauten, das SZ Dossier vorliegt.

Auferstanden aus Ruinen: Wie sich auch die SPD das vorgenommen hatte, versucht die FDP den Wiederaufbau nach dem Wahldebakel als Momentum zur Neuerfindung zu nutzen. Der neue FDP-Chef Christian Dürr hatte vor der Einsetzung der Kommission gesagt, die Liberalen wollen „Politik wieder greifbar machen – verständlich, lebensnah und wirksam“. Damit das gelingt, will man sich erstmal anhören, was die Mitglieder so meinen – etwa per Sprachnachricht, die „in eigener Alltagssprache“ eingeschickt werden sollen. Das schaffe das bewusste Signal: „Die FDP denkt nicht nur voraus – sie hört zu“, heißt es in dem Papier.

Knapp zwei Drittel der Mitglieder der FDP sind nach Angaben der Partei erst nach 2012 eingetreten und damit nach den „Karlsruher Freiheitsthesen“, dem aktuellen Grundsatzprogramm der FDP. Der Reformprozess soll aus einem „offenen, datengestützten und transparenten“ Beteiligungsverfahren bestehen, in den auch eine Allianz mit externen Fachleuten, Forschenden und Organisationen eingebunden werden soll. Ebenso wie „technologische und gesellschaftliche Megatrends“ und KI-basierte Auswertungstools.

Das neue Grundsatzprogramm soll beim ordentlichen Bundesparteitag Ende Mai 2026 verabschiedet werden.

Regelmäßig erklingt das Klagelied, die Deutschen arbeiteten zu wenig, um im internationalen Wettbewerb mithalten zu können. Das betrifft die Diskussion um sozialabgabenfreie Überstundenzuschläge ebenso wie die drohende Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland. Dabei wird eine Frage gern übersehen: Nicht, wie lange – sondern: wie effizient die Deutschen arbeiten.

Dabei stehen die Deutschen nicht besonders gut da. Das aber liegt nicht an Faulheit, sondern an den Rahmenbedingungen. Zentrale Messgröße für den Erfolg einer Volkswirtschaft: Statt auf die Wochenarbeitszeit sollten Politik und Öffentlichkeit besser auf die Arbeitsproduktivität schauen. Sie gilt als wichtiges Maß für die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft.

Sinkende Produktivität bedeutet, dass mit gleichem Einsatz des Faktors Arbeit weniger Güter und Dienstleistungen produziert werden. Die Zahl ist damit entscheidend für das Wirtschaftswachstum.

Ins Minus gedreht: Gemessen als BIP je Arbeitsstunde stieg die Arbeitsproduktivität im Zeitraum von 1990 bis 2022 zwar an, allerdings in immer geringerem Maße. Anfang der 1990er Jahre wurden, auch dank der deutschen Wiedervereinigung und der Produktivitätsfortschritte in Ostdeutschland, noch hohe Raten von deutlich über zwei Prozent verzeichnet. Seither sinken sie – mit einem starken Einschnitt von minus 2,6 Prozent anlässlich der Finanzkrise 2009.

In den Jahren 2023 und 2024 dann erneut der Dreh ins Negative: Die Arbeitsproduktivität der Deutschen schrumpft seither, laut Statistischem Bundesamt um minus 1,0 beziehungsweise minus 0,4 Prozent. Gleichzeitig stiegen sowohl Löhne als auch Sozialabgaben und damit die Lohnstückkosten.

Logisch scheint das nicht. Schließlich herrscht in Deutschland seit Jahren Rekordbeschäftigung. Die Digitalisierung verspricht zusätzliche Produktivitätsgewinne. Nicht zuletzt steigen Qualifikation und Akademisierungsgrad der Beschäftigten seit Jahren, der Anteil der einfachen Arbeit nimmt hingegen ab.

All das sollte doch dafür sorgen, dass mit selbem Aufwand mehr produziert wird, nicht weniger. Woran hakt es also? Deutschland ist mit diesem Rätsel nicht allein. Praktisch alle großen, entwickelten Volkswirtschaften haben mit diesen Entwicklungen zu kämpfen.

Schon vor Jahren, als sich die Stagnation abzuzeichnen begann, gaben Bundeswirtschafts- und -finanzministerium ein Forschungsgutachten zu diesem Thema beim IfW Kiel in Auftrag. Auch am DIW und beim Statistischen Bundesamt macht man sich schon länger Gedanken. Die Wissenschaftler finden verschiedene Erklärungsansätze.

Vergrößerung des Dienstleistungssektors: Tatsächlich haben einige Wirtschaftszweige mit geringer Produktivität – etwa das Gesundheits- und Sozialwesen – in den vergangenen Jahren vergleichsweise viele Beschäftigte hinzugewonnen. Das erklärt aber allenfalls einen kleinen Teil des bremsenden Effekts.

Zunehmende Bürokratisierung der Arbeitswelt: Eine andere Veränderung der Beschäftigungsstruktur ist gewichtiger. Jobs, die der Bewältigung bürokratischer Anforderungen dienen, gewinnen an Bedeutung. Sie schaffen aber keinen wirtschaftlichen Mehrwert. Negativ auf die Produktivität der Angestellten wirken sich den Fachleuten zufolge zudem eine mangelhafte Infrastruktur und Digitalisierung aus – beides bremst effektives Arbeiten.

Fachkräftemangel: Dass fehlende Arbeitskräfte die Produktivität senken, ist nur auf den ersten Blick kontraintuitiv. Zwar könnte man annehmen, dass dann mit weniger Fachkräften dieselbe Arbeit erledigt wird. Vielmehr ist es jedoch so, dass stattdessen Aufträge abgelehnt werden müssen, wie Umfragen der Industrie- und Handelskammern immer wieder ergeben.

Klimakrise und Umwelt: Nicht unbedingt auf der Hand liegend und dennoch einflussreich sind Faktoren, die gern vergessen werden. DIW-Präsident Marcel Fratzscher verweist in der Zeit auf Studien, denen zufolge der menschengemachte Klimawandel und die daraus resultierenden Hitzetage die Arbeitsproduktivität, besonders in Industrie und Bau, um bis zu zehn Prozent senken können. Nach Schätzungen des Bundesarbeitsministeriums gehen demnach allein durch Hitzetage jährlich rund drei Millionen Arbeitstage verloren.

Diesen Text konnten Abonnentinnen und Abonnenten unseres Dossiers Geoökonomie zuerst lesen.

von Carolyn Braun

4.

AfD scheitert mit Beschwerden: Das Bundesverwaltungsgericht hat Beschwerden der AfD wegen ihrer Einstufung als rechtsextremistischer Verdachtsfall zurückgewiesen. Das teilte das Gericht in Leipzig mit. Damit sind drei Entscheidungen des nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgerichts (OVG) aus dem vergangenen Jahr rechtskräftig, berichtet die dpa.

Hinreichende Gründe: In seiner mündlichen Urteilsbegründung hatte das OVG in Münster im Mai 2024 ausgeführt, dass im Fall der AfD hinreichend verdichtete Umstände vorliegen, die auf Bestrebungen der Partei gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung hinweisen.

AfD vs. Verfassungsschutz: Hinzugekommen ist seitdem ein Rechtsstreit zwischen der Partei und dem Bundesverfassungsschutz. Dieser hatte die AfD Anfang Mai dieses Jahres vom Verdachtsfall zur „gesichert rechtsextremistischen Bestrebung“ hochgestuft. Dagegen geht die AfD ebenfalls juristisch vor. Bis zu einer Entscheidung in dieser Sache hat der Verfassungsschutz die Höherstufung daher wieder auf Eis gelegt.

5.

Klage gegen Palantir: Das Bundesverfassungsgericht wird sich mit dem umstrittenen Tech-Unternehmen Palantir aus Denver in den USA beschäftigten. Die Berliner Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) hat am Mittwoch gegen den Einsatz von Palantir-Software „VeRA“ durch die bayerische Polizei geklagt, wie die SZ exklusiv berichtete.

Riskante Kooperation mit US-Unternehmen: Der GFF geht es um eine mögliche Verletzung von Grundrechten. Durch die Nutzung von Palantir begibt sich Deutschland zudem bei zentralen Sicherheitsfragen einmal mehr in Abhängigkeit von den USA, berichtet Christiane Kühl in unserem Dossier Geoökonomie.

Kritisch, aber nützlich? Kritik am Einsatz von Palantir gibt es schon seit vielen Jahren, etwa wegen der Überwachungspotenziale der Software oder mangelnder Transparenz bei der Datenauswertung. Bisher haben die deutschen Behörden aber nicht darauf reagiert, zu nützlich ist die Software. Auch die Polizei in Hessen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen nutzt „VeRA“.

In Kopenhagen habe ich immer wieder gehört: Gut, dass Deutschland wieder in der Lokomotive sitzt und nicht mehr im Bremserhäuschen.

Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) berichtet vom Treffen der EU-Innenminister in Dänemark, dass die Partnerländer die neue Haltung Deutschlands beim Thema Migration begrüßen

Seit Streamingdienste wie Netflix und Co. viel Geld in Eigenproduktionen stecken, hat die Vielfalt an Angeboten aus bislang auf deutschen Bildschirmen wenig vertretenen Ländern zugenommen. Spielfilme und Miniserien aus Frankreich, Spanien, Polen oder Südkorea bringen willkommene Abwechslung in Bildsprache, Storytelling und Produktion in die hiesigen Heimkinos.

Eine Entwicklung, die Kulturstaatsminister Wolfram Weimer nicht nur positiv sieht: Gestern hat er Vertreter von Netflix, Amazon, Disney+ und weiteren Anbietern zu einem „Streamer-Gipfel“ ins Kanzleramt eingeladen. Denn die Großkonzerne verdienen zwar in Deutschland gut, investieren aber zu wenig oder gar nicht.

Die Gespräche seien offen und konstruktiv verlaufen, sagte Weimer hinterher. Vor dem Treffen stand auch eine Investitionsverpflichtung für die Anbieter im Raum. Ob es die am Ende wirklich braucht, bleibt wohl erstmal ein Cliffhanger.

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