Während die EU über neue Berichtspflichten streitet und Bundeskanzler Friedrich Merz am liebsten nicht nur das deutsche, sondern gleich auch das europäische Lieferkettengesetz beerdigen würde, setzt China längst auf große Bilder. Auf der jetzt zu Ende gegangenen, internationalen Lieferkettenmesse CISCE in Peking präsentierte sich die Volksrepublik als grüner Ordnungsfaktor der Weltwirtschaft – mit sauberen Technologien, digital vernetzten Transportwegen und visionären Recyclinglösungen. Eine Zukunftserzählung mit System.
Die Inszenierung ist strategisch aufgeladen: „Chinesische Unternehmen sollen nicht nur Innovationsführer in High und Green Tech sein, sondern auch zentrale Positionen entlang der gesamten Lieferkette einnehmen“, sagte Merle Groneweg vom Seminar für Ostasienstudien der Humboldt-Universität zu Berlin SZ Dossier. Auffällig seien zudem Chinas wachsende Investitionen in Forschung und Entwicklung – insbesondere im Maschinen- und Anlagenbau, verbunden mit KI-Anwendungen. Auch diese Strategie finde sich auf der CISCE wieder, etwa im neuen Bereich „Advanced Manufacturing“, sagte Groneweg.
Es ist ein Bild mit zwei Ebenen: China zeigt sich als Weltmarktführer bei grüner Technologie und rühmt sich konkret, die CISCE sei zu hundert Prozent mit Grünstrom betrieben. Zugleich aber hat China 2024 so viel neue Kohlekraft wie seit einem Jahrzehnt nicht mehr ans Netz gebracht. „Diese Diskrepanz zwischen grünem Image und kohleintensiver Realität lässt am Ernsthaftigkeitsgrad von Pekings ‚nachhaltigen‘ Lieferketten zweifeln“, sagte David Stepat, China-Experte bei der Unternehmensberatung Dezan Shira SZ Dossier.
Die Europäische Union hat mit dem EU-Grenzausgleichmechanismus CBAM, den Pflichten zur Berichterstattung bei der Nachhaltigkeit CSRD oder auch der EU-Lieferkettenrichtlinie CSDDD ein anspruchsvolles Regelwerk vorgelegt – und es im sogenannten „Omnibus“-Verfahren selbst wieder weichgespült. Treibende Kraft war unter anderem die deutsche Bundesregierung. „Unter Friedrich Merz ist eine Schwächung des ohnehin schon nicht sehr ambitionierten deutschen Lieferkettengesetzes zu erwarten“, sagte Groneweg. „Deutschland und die EU sollten hier ambitioniert vorangehen, auch mit anderen Partnern weltweit – und sich auch für eine globale Regelung zu Wirtschaft und Menschenrechten im Rahmen eines UN-Vertrags einsetzen.“
Der Gegensatz ist systemisch: Während die EU auf rechtlich durchsetzbare Standards setzt, verbreitet China seine Vorstellungen von wirtschaftlicher Macht. „Formate wie die CISCE zeigen, wie China ein alternatives Modell propagiert – jenseits der europäischen Prinzipien“, sagte Stepat. Statt Normen zu exportieren, liefere China Infrastruktur, Technologie – und eigene, oft weichere Kriterien.
Globale Lieferketten leiden unter Intransparenz, Klimarisiken und mangelnder Krisenfestigkeit. Track-and-Trace-Systeme und digitale Plattformen, wie sie auf der CISCE gezeigt werden, können Teil der Lösung sein – aber sie ersetzen keine verbindlichen Regeln. „Messen sind Austauschformate, keine Kontrollinstanzen“, sagte Groneweg. Fortschritte entstehen durch Regulierung – oder durch glaubhafte, unabhängige Sorgfaltssysteme.
Für Europas Wirtschaft ist das mehr als ein Wettbewerbsnachteil: Der Flickenteppich globaler Standards bedroht die Investitionssicherheit – und verzerrt die Märkte zugunsten jener, die sich an weniger halten müssen. Pekings Plan folgt einer klaren Logik: weniger Importabhängigkeit, mehr Kontrolle über Wertschöpfung. Die Innovationspfade der Volksrepublik verlaufen bewusst abseits westlicher Industrietraditionen – modular, datengestützt, skalierbar. Neue Innovationspfade – etwa im Recycling, im modularen Anlagenbau oder bei KI-gesteuerter Fertigung – entstehen gezielt abseits klassischer westlicher Industrietraditionen.
„Chinesische Green-Tech-Unternehmen leisten einen Beitrag zur globalen Energie- und Verkehrswende – das dahinterstehende Nachhaltigkeitsversprechen ist durchaus ernst gemeint, allerdings steht, wie bei allen Unternehmen, das Wirtschaftswachstum im Vordergrund", sagte Groneweg. Das Auftreten der chinesischen Regierung unterscheide sich dabei unwesentlich von jenen des Westens. „Viele Regierungen stellen ihre Klimaschutzbemühungen sowie grünen Industrien nach vorne, während die Emissionen nicht schnell genug sinken."
Jürgen Matthes vom Institut der deutschen Wirtschaft warnt: Europas Industrie droht in eine neue Abhängigkeit zu rutschen – diesmal bei grüner Technologie. Er sagte SZ Dossier: „Weil China diesen Bereich kräftig subventioniert hat, verzerrt es den globalen Wettbewerb und macht es den europäischen Konkurrenten schwer, sich zu entwickeln.“