Es war die bundespolitisch derzeit eher unsichtbare FDP, die in Bonn den Wahlkampf eröffnet hat. Mitte Juni waren die Liberalen die ersten, die Plakate an zentralen Stellen wie der Kennedybrücke über den Rhein aufhängten – nur Stunden später gefolgt von CDU und Grünen. Am 14. September wird in Nordrhein-Westfalen gewählt, und weil das bevölkerungsreichste Bundesland dann den letzte größeren Stimmungstest dieses Jahres liefert, bekommt die Kommunalwahl auch bundespolitische Bedeutung.
In NRW geht es dabei weniger um die Ränder als um die Mitte: Die CDU war bei allen Wahlen der vergangenen fünf Jahre stärkste Kraft und prägt vor allem die Landkreise. In den Großstädten liefern sich CDU, SPD und Grüne ein Dreierduell. Laut einer aktuellen Umfrage der NRW-Tageszeitungen müssen alle drei mit Verlusten im Vergleich zu 2020 rechnen.
Besonders spannend ist das Rennen in Köln, der viertgrößten Stadt Deutschlands. Nach zehn Jahren tritt die parteilose Oberbürgermeisterin Henriette Reker, unterstützt von CDU und Grünen, nicht mehr an. Die Grünen setzen auf die Landtagsvizepräsidentin Berivan Aymaz, aktiv in der kurdischen Gemeinde, die auf Vielfalt und soziale Themen setzt. Die CDU schickt Baudezernent Markus Greitemann ins Rennen – keine einfache Position angesichts wiederkehrender Bauskandale und explodierender Kosten, zuletzt bei der Opernsanierung.
Die SPD, die bei der Bundestagswahl zwei der vier Kölner Wahlkreise gewann, nominiert Torsten Burmester, den bisherigen Vorsitzenden des Deutschen Olympischen Sportbundes und früheren Referenten von Bundeskanzler Gerhard Schröder. Mit ihm will die Partei an frühere Erfolge in der Stadt anknüpfen. Weitere Kandidierende anderer Parteien und Einzelpersonen machen die Ausgangslage zusätzlich unübersichtlich.
Auch die Studentenstadt Münster wird spannend: Dort tritt CDU-Oberbürgermeister und Städtetagspräsident Markus Lewe nicht mehr an. Schon 2020 hatte er sich in der Stichwahl nur knapp gegen einen Kandidaten der Grünen durchgesetzt. „Ich will diese Wahl gewinnen“, sagt Grünen-Landeschef Tim Achtermeyer SZ Dossier. Seine Partei, frei vom Berliner Koalitionsdruck, setzt auf Klimaschutz als „Frage der Lebensqualität“.
Die SPD wiederum will „Rathäuser halten und zurückerobern“ und sieht berufstätige Familien als zentrale Zielgruppe, so Landesgeneralsekretär Frederick Cordes. Die CDU wird genau hinsehen, ob sie in früheren SPD-Hochburgen wie Essen oder Oberhausen weiter Stadtoberhäupter stellen kann – neben der Landeshauptstadt Düsseldorf. Die SPD möchte Dortmund, Bielefeld und Mönchengladbach verteidigen, die Grünen unter anderem Aachen und Bonn.
Richtig los geht der Wahlkampf erst im August – vielerorts hängen noch keine Plakate. Heikel wird die Zeit zwischen der Wahl am 14. September und den Stichwahlen für Oberbürgermeisterinnen und Landräte zwei Wochen später. Dann müssen Koalitionen in oft zersplitterten Räten geschmiedet werden – nicht selten mit sechs oder mehr Parteien.
Wo zwei der drei großen Parteien in der Stichwahl stehen, wird die dritte Partei über eine Wahlempfehlung entscheiden müssen. Das passiert lokal, die Summe aber könnte Signale senden: Im Bund regiert die SPD mit der CDU, im Land die CDU mit den Grünen – klassische Lagerlogik hilft da wenig.
Bei der CDU gibt es gleichwohl Signale, eher den grünen Landespartner als die SPD zu schwächen. In Bonn etwa will CDU-Landtagsabgeordneter Guido Déus die grüne Oberbürgermeisterin Katja Dörner ablösen – und hofft auf SPD-Unterstützung. „Ich kämpfe für eine Mehrheit ohne die Grünen“, sagt Déus SZ Dossier. „Bei Themen wie Wohnungsbau und im sozialen Bereich gibt es viele Übereinstimmungen zwischen CDU und SPD.“ Dörner regiert bislang mit Grünen, SPD, Linke und Volt. Die CDU spekuliert, dass der SPD neue Wohnungen wichtiger sein könnten als Frischluftschneisen.
Selbst wenn Dörner sich gegen Déus durchsetzt, könnte das Regieren schwieriger werden. Eine geplante Kommunalreform soll Verfahren vereinfachen. Déus hätte sich dennoch eine Prozenthürde und die Abschaffung des zweiten Wahlgangs gewünscht – er kritisiert, dass Oberbürgermeister und Landräte durch geringere Beteiligung im zweiten Wahlgang teils mit weniger Stimmen gewählt würden als im ersten Durchgang.
Die drei großen Parteien hoffen, die AfD kommunalpolitisch kleinzuhalten. Landesweit kam sie bei der Bundestagswahl auf 16,8 Prozent. „Die AfD hat kommunalpolitisch nichts drauf, sie fällt vor allem durch Ahnungslosigkeit und Faulheit auf“, sagt Achtermeyer. Déus hofft, dass sie in Bonn unter fünf Prozent bleibt. Und Cordes kündigt an: „Gegen die AfD würden in Stichwahlen alle demokratischen Parteien zusammenstehen.“