Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben
Briefing

Platz der Republik,

Die Koalition der schiefen Töne

Guten Morgen. Bislang war Schwarz-Rot mehr oder weniger erfolgreich damit, koalitionsinternen Streit nicht in der Öffentlichkeit auszutragen. Die ein oder andere hörbare Dissonanz gab es dennoch bereits zwischen Union und SPD.

Noch kein Grund zur Sorge, könnte man meinen. Nach den Erfahrungen mit der Ampel, nimmt man sowieso alles hin, was nicht unmittelbar dazu führt, dass die Regierung auseinanderfliegt.

Doch jetzt gibt es sogar unionsintern Kritik an der Entscheidung in Sachen Stromsteuer. Und auch die unterschiedliche Haltung zu einem AfD-Verbotsverfahren birgt Potenzial für Streit zwischen den Partnern.

Interessant wird also, ob und wie es Merz und Klingbeil gelingt, die Reihen wieder zu schließen.

Willkommen am Platz der Republik.

1.

Wenn der Besuch im Kriegsgebiet zur Geschäftsreise wird: Beim Antrittsbesuch von Außenminister Johann Wadephul (CDU) in der Ukraine hat Präsident Wolodimir Selenskij in Aussicht gestellt, dass in den kommenden Tagen 20 Rüstungspartnerschaften zwischen Deutschland und der Ukraine abgeschlossen werden könnten. Wadephul wurde bei seinem Antrittsbesuch in Kyiv von hochrangigen Vertretern deutscher Rüstungsunternehmen begleitet. Der Bundesaußenminister nannte es eine „Win-win-Situation“, dass deutsche Rüstungsunternehmen teils schon in der Ukraine tätig seien und dass umgekehrt ukrainische Firmen in Deutschland arbeiteten.

Kostbare Gastgeschenke: In der Nähe von Kyiv ließ sich Wadepuhl eines von sechs deutschen Iris-T-Flugabwehrsystemen zeigen. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes spielt die Flugabwehrstellung nahe der Hauptstadt eine wichtige Rolle bei der Luftverteidigung Kyivs. Selenskij hat Deutschland um die Lieferung weiterer Iris-T-Flugabwehrsysteme für die Abwehr der schweren russischen Angriffe mit Drohnen und Raketen gebeten. Deutschland hat der Ukraine mit Stand April sechs dieser Systeme zur Verfügung und weitere zehn in Aussicht gestellt. Bei seinem Besuch übergab der deutsche Außenminister zehn von insgesamt 65 Unimog-Lastwagen für den ukrainischen Grenzschutz.

Gemeinsam gegen Putin: In Kyiv betonte Wadephul, dass Deutschland „felsenfest“ an der Seite der Ukraine bleibe. Er erklärte die Unterstützung der Ukraine zum wichtigsten außenpolitischen Ziel der schwarz-roten Koalition. Auch die EU will erneut gegen Russland vorgehen und hat ihre harten Wirtschaftssanktionen gegen Russland bis zum 31. Januar 2026 verlängert.

Neues Paket noch nicht in trockenen Tüchern: Ein mittlerweile 18. Paket mit Sanktionen ist in Vorbereitung, steht aber noch auf der Kippe. Die Slowakei fordert vor ihrer Zustimmung zum Paket das Versprechen, dass sie kompensiert wird, wenn ein Plan der EU-Kommission für einen Importstopp russischen Gases zu wirtschaftlichen Schäden in der Slowakei führen sollte.

2.

Unionspolitiker haben den Druck auf die Bundesregierung erhöht, die Stromsteuer für alle zu senken. Bei ihrer Konferenz im rheinland-pfälzischen Bad Dürkheim fassten die Fraktionsvorsitzenden der Union in Bund und Ländern sowie der Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament einen Beschluss, in dem es heißt, es brauche zügig die Senkung „der Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß für alle Unternehmen sowie für alle Verbraucherinnen und Verbraucher“. Die derzeit geplante Verstetigung der Stromsteuersenkung für das produzierende Gewerbe könne nur ein erster Schritt sein.

Union sieht Glaubwürdigkeit in Gefahr: „Was im Wahlkampf versprochen wurde, gilt auch in schwierigen Haushaltslagen. Wer jetzt kneift, bricht Vertrauen“, sagte etwa Andreas Bühl, Vorsitzender der CDU-Fraktion im Thüringer Landtag. „Wenn man alles mit der Finanzlage erklärt, kann man sich jede Zukunftsentscheidung sparen. Politik heißt: Prioritäten setzen – und das heißt jetzt: Entlastung vorziehen“, sagte Bühl.

Woher nehmen, wenn nicht stehlen? Auf eben jene Haushaltslage hatte jüngst Bühls Parteichef, Bundeskanzler Friedrich Merz hingewiesen. In einem Video auf Instagram sagte er: „Wenn wir mehr machen könnten, würden wir mehr machen.“ Man müsse dabei aber auch den Bundeshaushalt im Blick haben, die Verschuldung müsse schließlich die nächste Generation bezahlen. CSU-Chef Markus Söder pocht derweil darauf, die fehlenden Mittel etwa beim Bürgergeld einzusparen.

Streit in der Koalition: Alexander Schweitzer, SPD-Regierungschef in Rheinland-Pfalz, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, er sei „sehr überrascht und irritiert“, dass die CDU die Einigung hinterfrage. Der Beschluss zur Stromsteuer sei ja „ein gemeinsamer Beschluss der Koalition, abgestimmt zwischen Kanzleramt, Bundeswirtschaftsministerin und Bundesfinanzminister“, sagte Schweitzer. Morgen tagt der Koalitionsausschuss – Gelegenheit also, um die Sache noch einmal zu besprechen.

3.

Kurz vor der parlamentarischen Sommerpause sieht die Grünen-Bundestagsabgeordnete Karoline Otte ihre Fraktion im Übergang zur nächsten Phase des Neuaufstellungsprozesses: „In der Fraktion haben alle ihren Platz gefunden, jetzt geht es auch darum, inhaltliche Fragen zu klären“, sagte Otte. Den ersten Aufschlag dazu haben die beiden Fraktionsvorsitzenden Katharina Dröge und Britta Haßelmann am Wochenende mit einem Strategiepapier gemacht.

In Klausur: Der Fraktionsvorstand hat gestern gemeinsam mit den Parteivorsitzenden Franziska Brantner und Felix Banaszak über die Ausrichtung der Grünen in der Opposition beraten – auf Grundlage des Strategiepapiers. Heute soll es eine Schalte mit der gesamten Bundestagsfraktion geben, auch mit den Fraktionsvorsitzenden in den Ländern soll die künftige Ausrichtung besprochen werden, sagte Dröge gestern.

Diskussionsbedarf: Auf dem „Zu-Klären“-Zettel, aber bisher nicht im Strategiepapier sieht Karoline Otte Steuerthemen. Dabei zeige die Debatte um die Stromsteuer und die fatale Lage in den kommunalen Kassen ja, dass es dabei um große Gerechtigkeitsfragen gehe. „In der Bundesrepublik sind Vermögen so ungleich verteilt, wie noch nie. Das müssen wir zum Thema machen“, sagte Otte. Ihr Fraktionskollege Julian Joswig sagte, es komme jetzt vor allem darauf an, dass die Grünen ihr eigenes Profil wieder stärken und zeigen, „dass wir eine Kraft sind, die gestalten will“. Dafür sei das Papier eine sehr gute Grundlage.

Der amerikanische Online-Bezahldienst Paypal, gegründet unter anderem von den US-Milliardären Peter Thiel und Elon Musk, ist derzeit der beliebteste Anbieter für das Bezahlen im Internet. Der europäische Zahlungsdienst Wero (eine Zusammensetzung aus „we“ und „Euro“) soll die Abhängigkeit Europas und Deutschlands von den USA im Finanzbereich nun abbauen. Die European Payments Initiative (EPI), in der sich europäische Banken und Zahlungsdienstleister zusammengeschlossen haben, treibt das Vorhaben voran.

Wero ging vor knapp einem Jahr an den Start und funktioniert bisher bei teilnehmenden Banken in Frankreich, Deutschland, Belgien und den Niederlanden. Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass Luxemburg nächstes Jahr hinzukommt. In Deutschland stehen vor allem die Postbank, sowie Sparkassen und Volks- und Raiffeisenbanken hinter dem Vorhaben.

„Wero hat als Zahlungssystem auf Basis von Sofortzahlungen das Potenzial zu einer europäischen, souveränen Lösung“, sagte Patricia Battenberg, verantwortlich für strategische Beziehungen bei Worldline, einem französischen Zahlungsdienstleister, der die EPI mitgegründet hat. Wero biete „eine nahtlose, fortschrittliche Alternative zu internationalen Karten“.

Die aktuelle geopolitische Lage zeige, wie abhängig Europa ist – „unter anderem in Bereichen wie Finance oder IT“, sagte Battenberg. Das Ergebnis: „Wir beobachten auf jeden Fall, dass Politik und Wirtschaft in den vergangenen Monaten europäischen Ressourcen und Lösungen wie Wero deutlich mehr Aufmerksamkeit schenken.“ Zudem solle konkretisiert werden, wie genau die Zusammenarbeit mit der Europäischen Zentralbank für eine einheitliche Lösung aussehen könne, so Battenberg.

Die EZB arbeitet parallel nämlich am digitalen Euro. „Der digitale Euro unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von Wero“, sagte dagegen Battenberg von Worldline. Zwar stünden beide Systeme für mehr Souveränität in Europa, sie verfolgten aber verschiedene Ziele – und seien unterschiedlich ausgestaltet.

„Als staatliche, von der Zentralbank getragene Initiative für die gesamte Eurozone zielt der digitale Euro auf eine stabile, innovative Zahlungsinfrastruktur ab – inklusive Offline-Nutzung und verpflichtender Händlerakzeptanz“, sagte sie. Wero diene hingegen als privatwirtschaftliches Wallet sofortiger Konto-zu-Konto-Zahlungen.

Für den Erfolg von beiden Initiativen sei es essenziell, dass sie untereinander und mit anderen lokalen Zahlungssystemen kompatibel sind. Nur so lasse sich die weitere Fragmentierung der Zahlungslandschaft vermeiden, sagte Battenberg.

Die europäische Fragmentierung sei generell eine der größten Hürden für Wero. Dabeigeht es hauptsächlich um Technik, die im Zusammenspiel so vieler Akteure und Staaten eine Herausforderung darstellt. Es erfordere „enorme Anstrengungen und Investitionen“, um Lösungen einzuführen, die in allen Ländern funktionieren, sagte Battenberg. Unter anderem fehlten Standards und Protokolle. Das Ergebnis: Zahlungssysteme sind nicht interoperabel.

Diesen Text konnten Abonnentinnen und Abonnenten unseres Dossiers Digitalwende bereits am Montag lesen.

von Laurenz Gehrke

4.

Weidel und Chrupalla langen zu: Die beiden AfD-Fraktionschef Alice Weidel und Tino Chrupalla haben sich selbst eine Gehaltserhöhung verschafft. Wie das Nachrichtenportal t-online berichtet, haben die beiden eine Fraktionsvorlage abstimmen lassen, die ihnen jeweils 12 000 Euro monatlich für ihre Position als Fraktionsvorsitzende ermöglicht.

Immer zweimal mehr als du: Zusammen mit der Abgeordnetendiät kommen Weidel und Chrupalla damit auf jeweils mindestens rund 24 000 Euro pro Monat. Auch dem Rest des zwölfköpfigen Fraktionsvorstands wird die Zulage verdoppelt, zusammen mit der Abgeordnetendiät erhalten sie nun rund 18 000 Euro pro Monat. Ausgenommen von den Zulagen ist laut einem Sprecher der Fraktion lediglich der AfD-Ehrenvorsitzende Alexander Gauland.

Selbst in der eigenen Fraktion ist der Unmut groß: „Unverschämt“, nannte einer im Gespräch mit t-online die Erhöhung der Zulagen. Vor allem, da mancher im Fraktionsvorstand kaum Leistung erbringe. Die Fraktion ist nach Angaben von Abgeordneten über die Zuschläge am Ende ihrer Fraktionssitzung am vergangenen Dienstag unterrichtet worden. Ans Ende der Sitzungen werden dem Bericht zufolge vom Vorstand oft besonders strittige Themen gestellt, um sie schnell abzuhaken.

5.

Keine Ausnahme für Trump: Im Gegensatz zu Kanada will die EU sich bei ihrer Digitalpolitik nicht vom US-Präsidenten erpressen lassen. Das hat die Kommission am Montag erneut betont. Demnach stehen EU-Digitalgesetze wie der Digital Markets Act (DMA) und der Digital Services Act (DSA) bei den Handelsverhandlungen mit den USA nicht zur Debatte, wie unser Dossier Geoökonomie berichtet.

Zoll-Deadline rückt näher: Angesichts der immer näher rückenden Deadline des Zoll-Moratoriums am 9. Juli flackern diese Gerüchte immer wieder auf. Kommissions-Vizepräsidentin Teresa Ribera, unter anderem für Wettbewerbsfragen zuständig, wies gestern Medienberichte zurück, wonach die EU bei ihrer Digitalgesetzgebung zurückrudere, um Trump in Zoll-Fragen gnädig zu stimmen.

Wenn jemand an der deutschen Grenze sagt Asyl, dann muss er erstmal ein Verfahren bekommen. Meinetwegen direkt an der Grenze, aber ein Verfahren. So habe ich das europäische Recht verstanden.

Im Sommer 2015 sagte Angela Merkel den Satz: „Wir schaffen das.“ Zehn Jahre später geht die Altkanzlerin auf Distanz zu den Zurückweisungen an der deutschen Grenze

Kanzler Friedrich Merz will eine Schulsteuer einführen, die Arbeitszeit erhöhen, Kontroll-Hausbesuche bei Krankmeldungen anordnen und außerdem verfügen, dass die Nachtruhe früher beginnt. So steht es zumindest im Internet – auch wenn das alles natürlich nicht stimmt. Aber was einmal in der (Online-)Welt ist, muss mühsam wieder eingefangen oder revidiert werden. Und bei dem ein oder anderen bleibt es trotzdem hängen.

Seit dem Tag seiner Amtseinführung hat die Zahl der Falschnachrichten, über Merz eklatant zugenommen, wie ein Regierungssprecher der dpa bestätigte. Ein gefälschtes Video lässt Merz sogar für zweifelhafte Finanzprodukte werben. Eingebettet ist die Filmsequenz scheinbar in den Online-Artikel einer Tageszeitung. Doch auch der ist gefälscht – auf dem Internet-Portal des Blattes sind weder Text noch Video je erschienen.

Feedback

Wir freuen uns über Ihre Meinung zum Süddeutsche Zeitung Dossier.