Gemessen an den Befürchtungen in einigen europäischen Regierungen hätte der Nato-Gipfel kaum besser laufen können. US-Präsident Donald Trump war meist freundlich – am freundlichsten zur niederländischen Königsfamilie – und fand gestern Nachmittag sogar Zeit für ein Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij. Der US-Präsident war also zufrieden. Was aber bleibt darüber hinaus von diesem Gipfel?
Fünf-Prozent-Ziel: Alle 32 Nato-Staaten verpflichten sich, bis 2035 ihre Ausgaben für das Militär auf 3,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) zu erhöhen. Das ergibt sich aus den neuen Anforderungen der Nato an Truppenstärke und Bewaffnung, die vor zwei Wochen von den Verteidigungsministern beschlossen wurden und deren Details geheim sind. Dazu kommen 1,5 Prozent des BIP für Investitionen, die die Sicherheit unterstützen – von Brücken die die Überfahrt eines Panzers aushalten bis zur Cyber-Resilienz. In diesem Bereich dürfte es reichlich Interpretationsspielraum geben. Nur wenige Staaten wie die USA, Estland oder Polen haben die 3,5 Prozent schon erreicht. Erst in diesem Jahr werden laut Nato-Generalsekretär Mark Rutte alle Mitglieder die zwei Prozent erreicht haben, die 2015 beschlossen wurden. Man müsse nun „die Ärmel hochkrempeln“ und umsetzen, sagte Rutte.
Ausnahmen gibt es im Prinzip keine, alle müssen die Anforderungen erfüllen. Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez hatte in den vergangenen Tagen für Stirnrunzeln gesorgt, weil er sagt, sein Land könne diese auch mit einem Aufwand von rund 2 Prozent des BIP erfüllen. Während Deutschland mittels neuer Schulden die 3,5 Prozent schon 2029 erreichen will, tun sich andere, weit höher verschuldete Länder wie Spanien oder Italien schwer. Sánchez bemühte sich Teilnehmern zufolge, die besondere Lage seines Landes zu erklären und versicherte, Spanien werde die Anforderungen erfüllen.
Trump blieb in der Sitzung ruhig, nahm sich aber am Ende in seiner Pressekonferenz das Land noch einmal vor: Dass Spanien sich drücken wolle, sei „fürchterlich“ und er werde im Zweifel mit besonders hohen Zöllen reagieren. Er ignorierte damit freilich, dass Spanien als EU-Land gar keine eigene Zollpolitik hat.
Auch Italiens Ministerpräsidentin Georgia Meloni verwies auf Haushaltsprobleme. Wie die Italienerin sehen auch viele andere Staats- und Regierungschefs Probleme, die neuen Prioritäten ihren Bevölkerungen zu erklären. Anders als nach 2015, als auch Deutschland die zwei Prozent lange ignorierte, soll es nun von Seiten der Nato genauere Prüfungen und eine Zwischenbilanz im Jahr 2029 geben.
Beistandspflicht: Nicht nur über die Abschlusserklärung, auch vor Journalisten bekannte sich Trump zur Beistandspflicht. Wenn einer angegriffen wird, helfen alle, auf diesem Prinzip beruht die Nato. Rutte sagte, die Diskussion müsse nun enden oder die Medien sollten sich ein anderes Land vornehmen und fragen, ob es zur Beistandsverpflichtung stehe. Es gelte weiter: Wenn auch nur ein Quadratzentimeter Nato angegriffen werde, werde die gesamte Gemeinschaft reagieren.
Rutte, Merz und viele andere nannten Russland als Hauptbedrohung. Trump dagegen nahm in der nichtöffentlichen Sitzung das Wort Russland kein einziges Mal in den Mund. Was Artikel 5 angeht, gibt es allerdings eine Grauzone: Merz sagte, Cyberangriffe und andere ständige Übergriffe Russlands seien heute vielleicht relevanter als Panzer. Kriege des 21. Jahrhunderts seien völlig anders als die des 20. Jahrhunderts. Wann daraus so etwas wie Krieg werden könnte, will die Nato bewusst nicht definieren.
Ukraine: Viele der Staats- und Regierungschefs lobten Trump für den Militärschlag gegen das iranische Atomwaffenprogramm, und der US-Präsident tat es in seiner Pressekonferenz auch ausführlich selbst. Er rechne nach dem „Zwölf-Tage-Krieg“ nicht mit einem Wiederaufflammen der Angriffe zwischen Israel und Iran und habe auch nichts dagegen, wenn Iran wieder mehr Öl verkaufe – das benötige das Land für den Wiederaufbau der Wirtschaft. Die Europäer versuchten, Trump dazu drängen, sich wieder stärker dem Krieg in der Ukraine zu widmen. Nur die USA könnten noch neue effektive Sanktionen verhängen, sagte Merz, der in der Sitzung direkt nach Trump sprechen durfte.
In seiner Pressekonferenz räumte der US-Präsident ein, dass der Ukraine-Krieg schwieriger zu beenden sei als andere Konflikte. Wochen wie die vergangene mit laut Trump 7000 Toten auf beiden Seiten seien aber schrecklich und sowohl Wladimir Putin als auch Wolodimir Selenskij wollten jetzt ein Ende der Kämpfe. Putin sei „schwierig“, aber er werde ihn bald wieder anrufen. Das Gespräch mit Selenskij bezeichnete Trump als gut, er werde prüfen, ob er der Ukraine neue Patriot-Raketenabwehrsysteme liefern könne. Das war mehr, als die EU-Seite erwartet hatte. Was „Daddy“ Trump, wie ihn Rutte nur halb scherzhaft nannte, aber tatsächlich machen wird, weiß wieder einmal nur er selbst.