Wenn Eva Maydell über den technologischen Wandel spricht, dann spricht sie selten über Technik. Die Europaabgeordnete, eine führende Digitalpolitikerin der Fraktion der Europäischen Volkspartei, sieht weit mehr als wirtschaftliche Transformation: Für sie ist es ein politischer Lackmustest – für Europas Fähigkeit, aus Routinen auszubrechen und Zukunft anzugehen.
„Wir brauchen eine ehrliche Bestandsaufnahme“, sagte Maydell im Gespräch diese Woche in Brüssel. „Wo liegen unsere Stärken, wo sind wir abhängig, wo sollten wir kooperieren – und wo müssen wir eigene Fähigkeiten aufbauen?“ Für sie ist klar: Eine echte europäische Technologiestrategie braucht Mut zur Auswahl und Lücke. „Ich glaube nicht an eine Strategie, die jede Technologie und jede Stufe der Wertschöpfung priorisiert. Eine echte Strategie braucht Fokus – und eine klare Folgenabschätzung und Wirkungsanalyse.“
Der effizienteste Weg zur technologischen Souveränität, sagte Maydell, liegt nicht in der symbolischen Selbstbehauptung, sondern im klugen Einsatz vorhandener Stärken. „Wir sollten unsere bestehenden Industrien stärken, indem wir KI gezielt darin anwenden. Das kann uns schnell wettbewerbsfähiger machen.“
Sie sieht ein strukturelles Defizit: Europas Innovationspolitik bleibt oft bei Start-up-Romantik stehen. „Wir reden ständig über Start-ups, aber kaum über Skalierung. Dass die Kommission jetzt endlich darüber nachdenkt, privates Kapital besser zu mobilisieren, ist längst überfällig.“ Es gehe nicht nur um staatliche Gelder, sondern um intelligent organisierte Finanzierungsmodelle – Pensionsfonds, Versicherungen, Family Offices. „Nicht alles hängt von einer Investition über 500 Milliarden Euro ab. Viele Modelle brauchen gar nicht diese Größenordnung an Finanzierung.“
Trotz aller Investitionen sei Europas Zugang zu Technologie noch immer geprägt von einem überkommenen Mindset. „Die Art, wie wir Tech in Europa regulieren, ist immer noch im alten Denken verhaftet. Technologie-Regulierung verlangt heute einen grundlegend neuen Denkansatz in den Institutionen.“ Denn was sich heute vollziehe, sei nicht nur eine technologische, sondern eine humanistische Revolution.
„Digitalisierung verändert nicht nur Märkte – sie verändert auch die Erwartungen an Politik.“ Der klassische Gesetzgebungsprozess greife hier zu kurz. „Uns fehlen Räume für Diskussionen jenseits des Gesetzgebungsverfahrens. Deshalb habe ich gemeinsam mit der Münchner Sicherheitskonferenz den ‚Council on the Future‘ gegründet.“ Dort geht es um vorausschauende Debatten: nicht nur über Technik, sondern über Gesellschaft, Werte und Wandel.
Der Blick in die USA verdeutlicht die Unterschiede. „Für amerikanische Tech-Konzerne ist das ein geopolitischer Wettbewerb – ein Krieg“, so Maydell. „Für uns ist KI ein Werkzeug, um unsere Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und Bürger zu schützen.“
Dieser Unterschied sei entscheidend: Während die USA in Kategorien nationaler Macht denken, ringt Europa um einen technologiepolitischen Weg, der mit seinen Werten vereinbar ist.
Das allerdings verlange mehr als neue Gesetze. „Wir müssen anerkennen, wo wir Fehler gemacht haben. Es geht nicht um ein weiteres Papier – es geht um Wirkung.“ Technologiepolitik kann nur gelingen, wenn sie sich auch selbst infrage stellt. „Politik ist heute nur noch glaubwürdig, wenn sie sich selbst reflektiert.“
Für Maydell bedeutet das: Weniger Output, mehr Substanz. „Wenn Europa Technologie mitgestalten will, muss es verstehen, wie tiefgreifend sie unsere Gesellschaft beeinflusst. Sonst bleiben wir Zuschauer in einem Spiel, das andere bestimmen.“