An Zurückweisungen an der Grenze macht die Union unter Friedrich Merz Härte und Entschiedenheit in der Asylpolitik fest. Ein Fehler, sagte der Migrationsexperte Gerald Knaus: „Die Kategorien, in denen wir das interpretieren – ist es jetzt hart, härter oder stahlhart? – ignorieren, ob es praktikabel ist. Das ist politisch gefährlich.“
Knaus hat sich als Chef der European Stability Initiative, eines Thinktanks, mit Vorschlägen für umsetzbare Lösungen einen Namen gemacht. Er hat überhaupt kein Problem damit, die effektive Begrenzung illegaler Migration als Ziel zu benennen. Das hebt ihn ab von jenen Menschen seiner und verwandter Zünfte, die Migration als bloße Integrationsaufgabe sehen, die mit Geld und gutem Willen zu lösen sei.
Was ihn stört an der Betonung von Grenzkontrollen: „Wenn sich Friedrich Merz durchgesetzt hätte mit der Idee, am ersten Tag eine Notlage nach EU-Recht zu erklären und jeden, auch die Asylgesuche, zurückzuweisen, dann hätte er eine Woche lang gute Schlagzeilen, aber er würde in der Sache scheitern. Und das würde ihm in einigen Monaten mehr schaden.“
Es besteht eine gewisse Einigkeit unter Juristen, dass eine Zurückweisung auch von Asylsuchenden über kurz oder lang von Gerichten unterbunden würde. „Das weiß man auch in der CDU“, sagte Knaus im Interview.
Graubereiche auszutesten ist das eine, absichtlich in diese Lage zu laufen, aber von anderer Qualität. „Und es würde nicht funktionieren – und so nur die AfD ermutigen, noch lauter den dauerhaften Ausstieg aus Schengen und den Ausbau von Grenzkontrollen wie an den EU-Außengrenzen zu fordern, de facto Zäune und Pushbacks, um die Grenzen tatsächlich zu ,schließen‘.“
Das werde die Union „als Europa-, Wirtschafts- und Rechtsstaatspartei nicht machen können“, sagte Knaus. „Das will sie auch jetzt nicht.“
Warum Zurückweisungen nicht zu einer sinkenden Zahl irregulärer Migranten führen würden, erklärt Knaus aus der Praxis: „Wenn jemand zweimal aufgegriffen ist und gebeten wird, nach Österreich zurückzukehren, kann er oder sie es trotzdem fünfmal probieren. Und ist dann fünfmal als erfolgreiche Zurückweisung in der Statistik“, sagte er. „Bis es klappt.“
Sein Vorschlag lautet nicht, sich ins vermeintlich Unvermeidliche zu fügen und zu akzeptieren, dass Migration nicht zu steuern sei. Ein Ziel von maximal 100 000 Ankommenden hält er für erreichbar, der Referenzwert aus dem Jahr 2012. „Seither waren es jedes Jahr mehr, egal, wer der Innenminister war.“
Wie also? „Auf europäischer Ebene ergreifen wir mit Blick auf Debatten um das Konzept der sicheren Drittstaaten eine Initiative zur Streichung des Verbindungselements, um Rückführungen und Verbringungen zu ermöglichen“, haben Union und SPD vereinbart. Ein kleiner Satz, der eine deutsche Kehrtwende beinhaltet und besagt, dass abgewiesene Schutzsuchende auch in Drittstaaten gebracht werden können, wo sie nicht schon Familie haben oder einen anderen Bezug.
Ein Satz mit großer Hebelwirkung. „Das ist der wichtigste Satz, die einzelne Maßnahme mit dem größten Potenzial, etwas zu verändern, die im Koalitionsvertrag steht. Die aber als Chefsache auch viel Arbeit für einen Erfolg erfordert“, sagte Knaus – für den Kanzler und etliche Minister sicher mehr Arbeit, als den Grenzschutz zu verstärken: „Bei erfolgreichen Drittstaatsabkommen müssen das Kanzleramt, das Außenministerium und Innenministerium und andere involviert sein. Sonst gelingt es nicht.“
Knaus' Thema seit dem EU-Türkei-Abkommen 2016, das er maßgeblich entwickelt hat, ist es, Drittstaaten als sicher auszuweisen, sie für Abgeschobene und Zurückgewiesene aber auch sicher zu machen.
Wie also gelingt es, dass nicht jedes Jahr zehntausende aussichtslose Asylanträge gestellt werden, „aus Kolumbien, Indien, Vietnam, dem Balkan, Nordafrika“, wo die Anerkennungsquoten gering sind?
„Wenn diese Anträge als Priorität schneller bearbeitet werden – und das kann erleichtert werden, indem man mehr Staaten als sichere Herkunftsländer ausweist – und es dazu mehr Abkommen für die Rücknahme der Staatsbürger von diesen Staaten gäbe, könnte das gelingen“, sagte er. „Man könnte die Zahl der Asylanträge im Jahr um ein paar Zehntausend reduzieren. Bei Georgien hat das im letzten Jahr geklappt, da waren es schnell ein paar Tausend weniger.“
Die EU-Kommission hat in dieser Woche erstmals eine EU-weite Liste sicherer Drittstaaten vorgeschlagen. Darüber wird nun beraten. Ein erster Schritt, für Knaus. Der zweite: „Das Verbindungselement im EU-Recht aufzuheben, ist der Schlüssel“, sagte er. „Der dahingehende Vorschlag der EU-Kommission wird kommen. Wenn Deutschland das dann unterstützt, und das sagen diese zweieinhalb Zeilen, dann könnte das eine sehr wichtige Option schaffen.“
Knaus hält es für überragend wichtig für die Koalition, in der Migrationspolitik Vernünftiges zustande zu bringen. „In einem wichtigen Punkt hat die Union vollkommen recht“, sagte er. „Wer, wie die SPD in den letzten Monaten, die Botschaft verbreitet, es gibt eigentlich kein Problem mehr, wir haben schon alles gemacht, was wir tun müssen, und die Zahlen sinken jetzt von selber oder wegen der jetzigen leichten Grenzkontrollen: Der wird nicht überzeugen.“
„Für sehr viele Wähler war nachweisbar eine andere Migrationspolitik ein Nummer-eins-Thema“, sagte er. „Das war sie auch bei Trump, das war sie in Österreich, jetzt war sie das im Wahlkampf der AfD. Man spielt mit dem Feuer, wenn man bei dem Thema jetzt nichts Überzeugendes anbietet“, sagte Knaus. „Da handeln auch die unverantwortlich, die den Flüchtlingsschutz bewahren wollen. So gelingt es nicht. Siehe USA.“