Am 6. Mai wollen Union und SPD Friedrich Merz zum Kanzler wählen. Danach soll auch die neue Bundesregierung ihre Arbeit aufnehmen und der parlamentarische Betrieb so richtig beginnen. Viel Zeit bleibt also nicht mehr, um einige zentrale Fragen dieses Betriebsablaufs zu klären. Offen ist zum Beispiel noch, ob die anderen Parteien Politikerinnen und Politiker der AfD zu Ausschussvorsitzenden wählen werden. Oder in welchem Raum die AfD-Fraktion tagen soll.
Vorerst wird also eine Debatte weitergehen, die das Potenzial hat, nicht nur die Union, sondern die ganze Koalition auseinanderzudividieren. Die Frage nämlich, wie mit der AfD umzugehen ist, die in einer neuen Forsa-Umfrage auf einen Höchstwert von 26 Prozent kommt und damit einen Prozentpunkt vor der Union liegt.
Die Debatte losgetreten hat vor gut eineinhalb Wochen Unions-Fraktionsvize Jens Spahn. Der CDU-Politiker war zu Gast bei Bild, dort wurde er gefragt, ob die anderen Parteien die AfD nicht ausgrenzten, indem sie ihr etwa einen Bundestagsvizepräsidenten „gemeinschaftlich vorenthalten“. Spahn rechtfertigte das damit, es gehe schließlich um ein Staatsamt. „Und da sollte man schon die Mehrheit der Mitglieder des Bundestages hinter sich haben.“
Die Kontroverse löste Spahn dann mit den Sätzen aus, die er direkt im Anschluss sagte. Da kam er auf die Abläufe im Bundestag zu sprechen, auf „die Verfahren in der Geschäftsordnung, in den Ausschüssen, die Minderheits- und die Mehrheitsrechte. Und da würde ich einfach uns empfehlen, mit der AfD als Oppositionspartei so umzugehen – in den Verfahren und Abläufen – wie mit jeder anderen Oppositionspartei auch.“
Spahn hatte also nicht gesagt, die AfD sei eine Partei wie jede andere auch. Er hatte auch nicht für eine Zusammenarbeit mit ihr geworben. Wohl aber hatte er die Tür dazu weiter aufgestoßen, Abgeordnete der in Teilen rechtsextremen Partei zu Ausschussvorsitzenden zu wählen. Und natürlich stellte sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob man die AfD nicht erst recht normalisiert, indem man ihre Vertreterinnen und Vertreter in Ämter wählt.
Spahn tätigte seine Aussagen in einem Gespräch, das per Video aufgezeichnet wurde. Der CDU-Politiker konnte also nicht im Zuge einer Autorisierung, die es etwa bei gedruckten Interviews gibt, nachträglich eingreifen.
Der Politikwissenschaftler Thomas Biebricher von der Universität Frankfurt am Main geht von einem geplanten Vorstoß aus: „Es geht darum, sich innerhalb der Union in Stellung zu bringen, zu signalisieren, dass da jemand ist, der für eine andere Umgangsweise mit der AfD offen wäre.“ Spahn, sagte Biebricher, habe gesehen, dass sich seine Partei gerade in einem Dilemma befinde, was den Umgang mit der AfD angeht. „Und er hat erkannt, dass er da gerade ein Vakuum besetzen kann.“ Damit habe er einer nicht unerheblichen Gruppe in seiner Partei eine Stimme gegeben.
Für Friedrich Merz, sagt Biebricher, sollte das eine Warnung sein. Spahns Vorstoß zeige dessen Ambitionen. Sollte er Fraktionsvorsitzender werden, könnte das für ihn „die Machtbasis sein, um sich für höhere Aufgaben in Stellung zu bringen. Und sich im schlimmsten Fall gegen die Regierung zu stellen“.
Trotz Spahns Positionierung ist allerdings noch offen, wie sich die Union bei der Wahl der Ausschussvorsitzenden verhalten wird. Anders als etwa bei der Abstimmung über den Posten eines Vizepräsidenten oder der Besetzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums sei es eigentlich nicht so, „dass der einzelne Abgeordnete entscheidet“, sagte Thorsten Frei, der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, gestern.
Bis zu Beginn der vergangenen Legislaturperiode war es schließlich so, dass die Vorsitzenden der Ausschüsse nicht gewählt wurden, „sondern man hat sie unter den Fraktionen entlang des Stärkeverhältnisses aufgeteilt“, sagte Frei. 2021 gab es aber geheime Wahlen von Ausschussvorsitzenden: Die Bewerber der AfD fielen durch, stattdessen sprangen die Stellvertreter ein. Frei ließ gestern durchblicken, er sei kein großer Freund solcher Abstimmungen. Durch die Wahl eines Abgeordneten sei der Ausschussvorsitz kein Minderheitenrecht mehr, sondern werde der Minderheit im Parlament vielmehr von der Mehrheit „gegönnt“. Das sei nicht „ganz unproblematisch“, sagte Frei. „Deswegen muss man sich das wirklich sehr gut überlegen.“
Klar sei, sagte Frei, dass man wesentliche Punkte innerhalb einer Koalition miteinander bespreche und zu gemeinsamen Lösungen komme. Das heißt, es braucht auch noch eine Einigung mit der SPD in dieser Angelegenheit. Katja Mast, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD, sagte der taz allerdings, für sie sei es unvorstellbar, Personen der AfD in Ämter zu wählen. Sie bestätigte aber, dass man sich in der Frage mit der Union abstimme.
Sollten sich die Fraktionen nicht einigen, werde das Thema in den Ältestenrat gebracht, sagte Bundestagspräsidentin Julia Klöckner der Bild. Dort werde sie dann vermitteln. Ein Termin für die Konstituierung des Ältestenrates steht allerdings noch nicht fest, das teilte die Bundestagsverwaltung auf Anfrage mit. Zeitdruck sieht man in der Verwaltung aber nicht: Ein „spätester Zeitpunkt“ für die Konstituierung des Ältestenrates – etwa vor der Konstituierung der Ausschüsse – ergebe sich weder aus der Geschäftsordnung noch aus anderen Gründen. Tim Frehler, Gabriel Rinaldi