Wenn die 135 stimmberechtigten Kardinäle – das sind alle unter 80 Jahren – in ein paar Wochen zusammenkommen, um den Nachfolger des verstorbenen Papstes zu wählen, wird Franziskus’ Erbe allen präsent sein. Die Mehrheit stellen diejenigen, die in seinem Pontifikat zu Kardinälen ernannt wurden. Mehr als drei Viertel der Papstwähler wurden von Franziskus eingesetzt, die jüngsten erst im Dezember.
Er hat oft Männer in das hohe Amt berufen, die theologisch und kirchenpolitisch auf seiner Linie liegen. Die Wahl seines Nachfolgers hat er damit schon geprägt – in jedem Fall.
In der katholischen Kirche herrscht ein harter Kampf. Eine Zementierung des Kurses des Verstorbenen nehmen sich die im kirchenpolitischen und theologischen Sinne Liberalen vor. Das andere Lager sieht jetzt die Chance (manche: die letzte), das Pendel zurückschwingen zu lassen. Zurück zu einer konservativen Kirche – im Zweifel einer der Überzeugten, nicht der Vielen.
Der verstorbene argentinische Papst, der erste überhaupt aus Lateinamerika, hat die Verhältnisse in der Weltkirche verschoben, hin zur Welt, weg von Italien und Europa. Dort hat die Kirche ihren Sitz und dort hatte sie lange ihr Kraftzentrum. Aber Europas Kirchen schrumpfen. Diese Entscheidungen prägen die Wahl seines Nachfolgers.
Im Konklave stellen die Italiener weiter die größte einzelne Gruppe. Doch die spanischsprachigen Kardinäle aus Europa und Amerika sind zusammen mehr. Für die Gespräche, die ab jetzt bis vor Beginn der Wahlgänge stattfinden, spielen Sprache und Kultur eine große Rolle.
Die drei deutschen Papstwähler sind die Kardinäle Reinhard Marx, der Erzbischof von München und Freising, sein Kölner Amtsbruder Rainer Maria Woelki und Gerhard Ludwig Müller, der von Franziskus abgesetzte frühere Präfekt der Glaubenskongregation. Die drei sprechen gern, aber sicher nicht mit einer Stimme. Sie sind damit auch ein Bild für die Spaltung der europäischen Ortskirchen, jedenfalls ihrer Bischofskonferenzen.
Die Europäer stellen mehr als ein Drittel der Papstwähler. Wenn sie sich zusammentäten, wären sie eine nicht zu ignorierende Größe im Konklave, wo hart um Mehrheiten gerungen und eben Politik gemacht wird. Nur zarte Seelen würden das bestreiten; noch wenige solche wurden je Kardinal.
Von einer einheitlichen Linie sind die Europäer aber weit entfernt. „Wir sehen neue Spannungen, nicht nur zwischen Ost und West, sondern auch innerhalb der Gesellschaften in Polen und Ungarn“, sagte Marx vor ein paar Jahren im Interview. „Sie existieren auch innerhalb der Kirche.“
Damals war er als Vorsitzender der Kommission der europäischen Bischofskonferenzen mit der Suche nach einer gemeinsamen Linie in politischen und gesellschaftlichen Fragen betraut. Er selbst zählte zum engen Ratgeberkreis des Verstorbenen in Wirtschaftsfragen und wird nun während der Sedisvakanz eine herausgehobene Rolle haben, wenn das Kardinalskollegium den Betrieb Weltkirche am Laufen hält.
Papst Franziskus hatte ein kritisches Verhältnis zu Europa. Seine erste Rede zum Thema, im Europaparlament 2014, ließ die EU irritiert, geschockt zurück: „Man gewinnt den Gesamteindruck der Müdigkeit und der Alterung“, sagte er damals über Europa. Den Kontinent verglich er mit einer „Großmutter“, die „nicht mehr fruchtbar und lebendig ist“. Er nahm davon nicht viel zurück, auch nicht, als ihm zwei Jahre darauf der Aachener Karlspreis verliehen wurde und die gesamte EU-Spitze dafür nach Rom pilgerte.
Die polnischen und andere Bischöfe aus Zentral- und Osteuropa sind in Fragen von Gesellschaft, sexueller Selbstbestimmung, Abtreibung und Familienpolitik wiederum näher an Afrikanern als etwa an Marx. Müller, ein Wortführer der Rechten, outete sich vor wenigen Wochen als Trump-Fan und gab im Gespräch mit dem Corriere della Sera an: „Viele Kardinäle und Bischöfe denken wie ich, auch wenn sie Angst haben, es zu sagen.“
Von einem „Trumpistischen“ Papst träumen konservative Kreise bereits und davon, dass ein vibe shift auch die Kirche erreicht und ihnen zur Chance verhilft, ihre Anliegen jetzt durchzusetzen. Der Bruch könnte nicht größer sein.
Franziskus wollte, dass die Kirche „an den Rändern“ tätig ist, in Solidarität mit den Schwachen und in einer lateinamerikanischen Tradition einer den Menschen und ihren Nöten menschlich zugewandten Kirche. Gemeindepfarrer-Vibes strahlte er absichtlich aus, ging sehr weit darin, Liturgie wie auch den eigenen Auftritt schlicht zu gestalten.
Das war es, was in vielen Abschiedsworten hervorgehoben wurde. Franziskus' Botschaften gerieten manchmal allerdings ähnlich schlicht. Wenn er zum Frieden aufrief, aber nicht den Aggressor benannte; als er im Dezember an einer Weihnachtskrippe betete, in der das Jesuskind auf einer Kufiya gebettet war.
Im besten Falle war er sich der politischen Macht eines Papstwortes nicht immer bewusst. Bei der Wahl eines Nachfolgers treffen die Kardinäle auch die Entscheidung, wie politisch die katholische Kirche unter dem nächsten Papst sein will – und wie relevant in welchem Teil der Erde.